
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
in einer ganz besonderen Woche: BackstageClassical feiert ersten Geburtstag! Mehr dazu am Ende dieses Newsletters. Aber dieses schon vorab: Wir beschenken uns und Sie mit dem neuen Podcast Takt&Taktlos. Ab sofort werde ich einmal im Monat gemeinsam mit meiner Kollegin Hannah Schmidt über die aktuellen Themen der Klassik sprechen. Hören Sie doch Mal rein!
Bitte keinen Revanchismus, Wolfram!
Wackeln Ihnen auch noch die Ohren vom rasenden Personalkarussell? Ordnen wir die neue Lage schnell ein: Friedrich Merz will Cicero-Gründer Wolfram Weimer zum Kulturstaatsminister ernennen. Wie viele andere habe auch ich erst einmal aufgeschrien! Es wurden Petitionen gegen seine Ernennung verschickt, aber es gab auch vorsichtigere Stimmen, etwa auf Facebook aus dem Bayreuther Wagner-Gral :-). »Lass ihn doch erst Mal machen!«, hieß es dort in meine Richtung, und ich habe noch einmal nachgedacht. Letztlich gehört es wohl auch zur Wahrheit, dass es Claudia Roth war, die unsere Kultur massiv ideologisiert hat, und es wäre nur konsequent, wenn die (extrem) Konservativen den Spieß nun umdrehen. Doch genau das darf nicht passieren! Kulturpolitik sollte Kultur ermöglichen – in all ihren Ausprägungen. In den USA beobachten wir derzeit, wie verheerend Revanchismus ist. Und Leute wie Ulf Poschardt von der Welt haben bereits alle Skrupel über Bord geworfen und schreiben: »Wolfram Weimer sollte aufräumen. Lieben werden sie ihn nicht mehr. Fürchten können sie ihn am Ende wohl.« Bei derartigen Sätzen wird mir mulmig. Gerade deshalb empfehle ich, die Dinge noch einmal neu zu denken: Hier meine Argumentation, warum Wolfram Weimer gut beraten wäre, nicht auf Revanchismus zu setzen, sondern Claudia Roths Kardinalfehler einfach rückgängig zu machen: die Ideologisierung und Verdummung der Kulturpolitik.
Ciao Ciao Chialo!
Wir haben bei BackstageClassical bereits vor den massiven Sparmaßnahmen in Berlin scharfe Kritik an Joe Chialo geäußert: Damals hatten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus seinem Büro uns über ihre Erfahrungen und seinen Personalstil berichtet. Die Kritik war offenbar nicht ganz unberechtigt. Chialo hat das Amt zur Ego-Show verwandelt, die Politik zur Karriereleiter und die Kultur zur Verhandlungsmasse. Ihm fehlte es schlicht an Respekt. Nun tritt er ab, viel zu spät. Wir schließen das Kapitel in unserem Kommentar bei BackstageClassical mit den Worten: »Die eigentliche Arbeit hat in den letzten Monaten Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson gemacht. Berlin wäre gut beraten, sie als Nachfolgerin einzusetzen und nicht nach irgendeiner neuen Bekanntschaft vom Golfplatz Ausschau zu halten. Joe Chialo findet hoffentlich Trost bei jenen Freunden, die sich auf jeden Fall so nannten, als er noch ein mächtiger Politiker war – bei Ulf Poschardt steht immer eine Hühnersuppe bereit.«

Die USA aus den Augen von Steven und Antonia
Diese Woche möchte ich Ihnen zwei Reiseberichte ganz besonders ans Herz legen: Steven Walter, der Intendant der Beethovenfeste Bonn, war im Rahmen des Thomas Mann-Fellowship in den USA und hat uns seine Reisegedanken mitgebracht: Off-Festivals, die Stimmung am Kennedy Center oder an den US-Universitäten. Das sind sehr lesenswerte Reisenotizen, die wir auch im Podcast besprechen. Eine seiner Erkenntnisse: »Es gibt natürlich noch das gute Amerika – und es wird aus diesem Fiebertraum erwachen.« Auch unsere Autorin Antonia Munding war für uns in den USA, wo sie mit der Komponistin Missy Mazzoli und dem Chefdirigenten der Chicago Lyric Opera, Enrique Mazzola, über politische Oper, Protestkunst und die Frage gesprochen hat, wie laut Musik heute sein darf. Einer der Schlüsselsätze: »Ich glaube, das ist wirklich die Bedeutung von neuer Oper in Trumps Amerika: Du kannst darin Dinge sagen, die inzwischen sehr heikel sind zu äußern.« Ach ja, und dann sind da noch die Erben von Leonard Bernstein. Sie erklären in der New York Times, dass der Dirigent und Komponist seine Werke auch heute im Kennedy Center aufführen würde.

Verachtet mir die Kinder nicht!
Kinderkonzerte – wer würde das bezweifeln? – sind unglaublich wichtig. Umso wichtiger ist es, genau hinzuhören, findet unsere Autorin Shoko Kuroe und hat ihre Beobachtungen aufgeschrieben: Kinderkonzerte haben sich zu kreativen, inklusiven Formaten entwickelt. Doch oft fehlt künstlerische Tiefe. Musikvermittlung muss inspirieren statt nur unterhalten – Kinder sind das Publikum von heute. Lesenswert! Übrigens, bei Facebook wurde dieser Text breit debattiert, und auch hier die Meinung: »Neulich wurde bei einem von mir rezensierten Familienkonzert die Musik gar nicht mehr erwähnt! Das fand ich dann doch deutlich zu kurz gesprungen.« Oder: Die Arbeitsbedingungen in der Musikvermittlung empfinde ich als fragwürdig: a) die Gagen an den Häusern sind auf Dauer nicht tragbar b) es gibt oft keine oder sehr begrenzte Budgets für diese Art von Konzerten, dadurch entsteht viel mehr Arbeit und Reibung.«
Personalien der Woche
Das Bayerische Wissenschafts- und Kunstministerium hat Barbara Gronau mit sofortiger Wirkung als Präsidentin der Theaterakademie August Everding abberufen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll sie im März über eine Tonanlage unerlaubt eine vertrauliche Sitzung mitverfolgt haben. +++ Italiens Parlament hat das Gesetz zur Altersgrenze für Intendanten der Opernhäuser geändert. Mit der neuen Regelung könnten Intendanten wie Fortunato Ortombina (Scala), Carlo Fuortes (Florenz) und Francesco Giambrone (Rom) länger im Amt bleiben als eigentlich gedacht LINK. +++ Georg Rudiger hat diese Woche auf unserer Seite zwei spannende Hörtipps gegeben: Jean-Guihen Queyras Bach und Antje Weithaas mit Pēteris Vasks. +++ Pierre Audi, international renommierter Regisseur und Theaterintendant, ist am Samstag im Alter von 67 Jahren in Peking überraschend an einem Herzinfarkt verstorben. Frankreichs Kulturministerin Rachida Dati würdigte Audi als »bahnbrechenden Erneuerer der Opernsprache« und hob seine künstlerische Disziplin und visionäre Kraft hervor. Simon Reinink, Direktor des Amsterdamer Concertgebouw, bezeichnete Audi als »unsere Bühne prägend und inspirierend für Generationen von Musikern«. In den letzten Jahren hat Audi mit seinem Festival in Aix en Provence gezeigt, wie modernes Musiktheater geht – und gleichzeitig ein großes, aufgeschlossenes Publikum erreicht.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Zum Beispiel genau vor Ihrer Nase! BackstageClassical feiert seinen ersten Geburtstag. Vor einem Jahr ist der Newsletter von Crescendo an diese Stelle umgezogen, und vor allen Dingen: Seit einem Jahr bieten wir Ihnen täglich aktuelle Nachrichten, Essays, Interviews, Recherchen, Podcasts und Kritiken auf der Seite backstageclassical.com. Im ersten Jahr veröffentlichte BackstageClassical über 640 Beiträge von 32 Autorinnen und Autoren, es sind mehr als 60 Podcasts erschienen, wir haben große Themen recherchiert, von der Arbeitssituation bei Bayreuth Baroque über den Umgang mit Protesten innerhalb des SWR Symphonieorchesters, die Russland-Verbindungen in der Klassik-Welt, die Sparmaßnahmen in Berlin, die Situation an den Theatern Kassel, Wiesbaden oder Erfurt und den Strukturwandel an Opernhäusern und in Orchestern. Wir hatten zahlreiche Gastbeiträge, zu unseren Stammautorinnen und Autoren gehören unter anderen Antonia Munding, Stephan Knies, Georg Rudiger, Shoko Kuroe oder Johannes Mundry, Hannah Schmidt ist beim Podcast Takt&Taktlos an Bord. Wir wurden mit einem Sweatshirt »In der Oper gewesen – gekotzt!« von Stuttgart-Intendant Victor Schoner »bestochen« 🙂 und erfolglos vom Salzburger Festspielfonds und Markus Hinterhäuser verklagt. Wir haben über 40 verschiedene Werbekunden aus der Plattenindustrie, dem Veranstaltungsmarkt, dem Kulturbetrieb und der Schaumweinindustrie. Unsere Recherchen, Interviews und Artikel wurden oft zitiert, unter anderem von der dpa, in der ARD, im ORF und in großen deutschen, österreichischen und Schweizer Tageszeitungen (hier noch Mal das Gespräch zur Zukunft des Kulturjournalismus im Deutschlandfunk). Und ich freue mich, dass Sie einer der vielen Menschen sind, die dieses erste, fulminante Jahr von BackstageClassical begleitet haben und sage ganz herzlich: danke!
Hier noch Mal alle Kanäle, über die Sie BackstageClassical nutzen können: Schauen Sie regelmäßig auf unserer Seite vorbei: BackstageClassical.com. Folgen Sie uns bei Facebook, Bluesky oder Instagram. Abonnieren Sie unsere Podcasts bei Spotify oder apple. Und natürlich können Sie uns auch unterstützen – einmalig oder regelmäßig. Es ist für uns eine Freude, Autorinnen und Autoren zu engagieren, ihre Texte zu redigieren, online zu präsentieren, Podcasts aufzunehmen, zu schneiden und hochzuladen – und all das jede Woche als Newsletter zu verschicken. Es macht uns Spaß, unsere Zeit in unsere Leidenschaft für die Musik zu investieren. Aber all das geht ganz ohne Kohle natürlich nicht, und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie uns immer wieder unterstützen. Ein Jahr BackstageClassical hat mir gezeigt, wie groß das Interesse an der Kunst das draußen ist, wie groß die Lust, Themen gemeinsam zu debattieren, dass Gräben zugeschüttet werden und wir immer deutlicher erkennen, dass wir für die gleichen Ideen stehen: Es gibt so viel Zuspruch, so viele Anregungen, Inspirationen und Motivationen. Und, nein: Unsere Kunst ist nicht am Ende, sie befindet sich mitten im Wandel, und es ist das Ziel von BackstageClassical, ein Forum für diesen Wandel zu sein.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann