Kinderkonzerte haben sich zu kreativen, inklusiven Formaten entwickelt. Doch oft fehlt künstlerische Tiefe. Musikvermittlung muss inspirieren statt nur unterhalten – Kinder sind das Publikum von heute.
English summary: Children’s concerts have evolved into creative, inclusive formats, becoming a vital part of cultural education. However, artistic quality is sometimes compromised in favor of entertainment. True music education should inspire and engage, not simplify. Children are today’s audience and deserve performances that are meaningful, imaginative, and musically compelling.
Vorweg dieses: Ich habe seit jeher eine Schwäche für die Musikvermittlung. Bereits in den 90er Jahren habe ich in Familienkonzerten mitgewirkt, als sie noch eine Randerscheinung waren. Es war faszinierend, den Aufschwung seit dieser Zeit sowohl als Akteurin als auch als Publikum mitzuerleben.
Das Kinderkonzert hat sich zu einem der innovativsten, kreativsten, interdisziplinärsten, inklusivsten und vielfältigsten Konzertformate entwickelt. Man könnte fast meinen, dass alles, was in keine formale Schublade passte, im Spielplan als Kinderkonzert etikettiert wurde.
Gleichzeitig entstand eine weitere wichtige Säule der Musikvermittlung: Bei den pädagogisch orientierten Community-Projekten und Workshops haben Teilnehmer und Teilnehmerinnen die Möglichkeit, selbst kreativ werden, unabhängig von ihrem sozialen Status oder ihrer Vorkenntnisse.
Heute gehört die Education-Abteilung standardmäßig zu Kulturinstitutionen. Es ist erfreulich, dass Kinderkonzerte sowie Vermittlungsformate zu einem festen und selbstverständlichen Bestandteil der Kulturlandschaft geworden sind. Parallel dazu beobachte ich jedoch vor allem in der Klassik eine Tendenz zum Qualitätsverlust, da die Programme nicht überall aus Überzeugung und mit der erforderlichen Kompetenz gestaltet werden. Das liegt nicht nur an den einzelnen Akteuren, sondern hat auch systemische Gründe.
Konzerte und Opern für Kinder sind Kunst
An vielen Institutionen laufen sowohl Konzerte als auch Workshops für Familien unter dem Dach »Education«. Nicht zuletzt deshalb verschiebt sich die Grenze zwischen Kunst und Vermittlung zunehmend in eine pädagogische Richtung. Alles soll verständlich und erklärbar sein und in mundgerechten Portionen serviert werden. Kunst – auch und gerade für Kinder oder vulnerable Zielgruppen – darf und muss aber inspirieren, berühren, beeindrucken und Fantasien wecken.
Wenn der fehlende künstlerische Funke durch oberflächliche Unterhaltung kompensiert wird, hat das Publikum zwar eine angenehme Zeit. Die Chance auf eine nachhaltige Begeisterung ist aber vertan. Es ist unzureichend, Kinder lediglich als das Publikum von morgen zu betrachten. Sie sind das Publikum von heute und verdienen Aufführungen, die sie beflügeln.
Mehr Selbstbewusstsein würde gut tun
Die Kinderkonzerte der Konzerthäuser sind vielfältiger geworden – Schattenspiele mit Jazzimprovisation, Akrobatik mit Schlagwerk, szenische Märchenerzählungen mit Weltmusik, Tanz mit Live-Elektronik, Kindermusiktheater mit Neuer Musik. (Darüber hinaus gibt es außerhalb der Konzerthäuser eine noch breitere Kinderkulturlandschaft, die auch Produktionen mit Popularmusik wie Kindermusicals umfasst.)
Das ist großartig. Allerdings bedeutet das auch, dass die Klassik auch in Kinderkonzerten zunehmend als eine Nische wahrgenommen wird. Orchester und Ensembles bemühen sich sehr um klassische Kinderkonzerte. An anderen Orten erlebe ich jedoch immer häufiger, dass die Akteure sich für ihre »reaktionäre« klassische Musik fast schämen. Sie kürzen Musikabschnitte ohne Kontext, um die Kinder bloß nicht zu langweilen, oder sie fügen der Musik Beats hinzu, um moderner zu wirken. Das stellt jedoch keine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Werk dar und überzeugt deshalb nicht.
Natürlich ist es wichtig, bei Kinderkonzerten die altersgemäßen Entwicklungsstufen der Kinder zu berücksichtigen. Zweifelslos obsolet wäre auch eine Einstellung, dass alle bei der Klassik nur ehrfurchtsvoll still sitzen und lauschen sollten. Ein Vermittlungskonzert funktioniert aber nur mit dem festen Glauben, dass die Musik, die man liebt und gerade mit Begeisterung spielt, die Schönheit und die Kraft besitzt, um auch andere Menschen zu erreichen und zu berühren.
Vermittlung und Pädagogik
Einige Veranstaltungen, die als Kinderkonzerte angeboten werden, sind in Wirklichkeit pädagogische Workshops mit Lernzielen, nur ohne die mühsamen Aspekte der Musikpädagogik wie das Notenlesen oder regelmäßiges Üben. Vermittelt werden Themen wie Klänge, musikalische Formen, Instrumente, Komponistenbiografien.
Es geht hier darum, das Wesen des jeweiligen Themas erfahrbar und begreifbar zu machen. Eine solche Veranstaltung wirkt nur dann stringent, wenn die Akteure über ausreichendHintergrundwissen verfügen, um den wesentlichen Kern herauszuarbeiten. Zudem benötigen sie genügend Kreativität und das Handwerk, um die Botschaft zielgruppengerecht und ansprechend zu vermitteln.
Außerschulische Lernorte mit Live-Musik sind vor allem als Impulsgeber wichtig. Idealerweise sollten sie als eine sinnvolle Ergänzung zum Schulmusik- oder Instrumentalunterricht eingesetzt werden. Wo die tägliche Bildungsbasis fehlt, neigt eine punktuelle Veranstaltung leicht dazu, ein Ausflugsevent zu werden. Das führt wiederum dazu, dass bei der Gestaltung mehr Gewicht auf Spaß und Gimmick gelegt werden muss und weniger auf das musikalische Kernthema.
Sackgasse durchbrechen
Musikvermittlung ist ein wachsendes Feld mit Akteuren aus unterschiedlichen Hintergründen. Sie entwickelt sich zu einem strukturierten Wirkungsbereich mit Studiengängen, Forschungen und Netzwerken. Die Debatte darüber, was ein qualitatives Kinderkonzert ausmacht, ist sowohl interessant als auch kontrovers.
Schwierig wird es, wenn die Entscheidungsträger von bestimmten Kriterien gehört haben, die in der Branche allgemein als Qualitätsmerkmale eines gelungenen Kinderkonzerts gelten, und die Konzepte entsprechend bewerten und auswählen. Die Kinder dürfen aufstehen und sich bewegen – Häkchen. Die Kinder singen mit – Häkchen. Die Kinder machen Bodypercussion – Häkchen.
Ein Kinderkonzert wird aber nicht automatisch gut, nur weil das Programm möglichst viele Elemente enthält. Die Mitmachteile müssen aus musikalischer und dramaturgischer Sicht sinnvoll sein, da sie sonst keine wirkliche Einbeziehung des Publikums in das künstlerische Geschehen darstellen. Im schlimmsten Fall kann die Musik als störend empfunden werden, wenn beispielweise die vorgegebenen Bewegungen nicht mit dem Wesen des Musikstücks übereinstimmen.
Die Live-Musik ist kein bequemer Ersatz für eine CD. Sie ist lebendig und anregend. Schön wäre, wenn dies spürbar wird