Wer Wolfram Weimer kritisiert, muss auch sagen, dass Claudia Roth die Ideologisierung der Bundeskultur erfunden hat. Ihr Nachfolger wäre allerdings gut beraten, diesen Fehler nicht zu eskalieren.
English summary: Critics of Wolfram Weimer must also admit Claudia Roth first ideologized German cultural policy. His successor would be wise not to escalate this mistake but instead restore space for open artistic freedom.
Die Befürchtung, dass der designierte Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer die Kultur als Vehikel seiner konservativen Ideologie nutzen wird, ist berechtigt. Es verwundert allerdings, wenn diese Bedenken nun ausgerechnet von jenen angemeldet werden, die bislang nichts dagegen hatten, dass es Claudia Roth war, die das Amt in ihrem Sinne ideologisiert hat. Tatsächlich könnte die Besetzung von Weimer die endgültige Beweisführung dafür werden, wie katastrophal die Amtszeit von Claudia Roth war – wenn er ebenso ideologisch agiert wie sie.
Roth ging es offensichtlich nicht darum, den Aktionsrahmen für Kulturschaffende zu erweitern, als Anwältin der Künstlerinnen und Künstler aufzutreten oder Geldflüsse abzusichern. Stattdessen war es ihr wichtig, andauernd aktuelle Kulturdiskurse zu politisieren. Das tat sie mit missionarischem Eifer, etwa wenn es darum ging, Kultur als Form der Demokratie zu behaupten oder die eigene Ideologie im kulturellen System zu implantieren: Von der Gewichtung diverser, integrativer oder ökologischer Programme bis zum Gendern und zur Förderung grüner Peergroups. Roth schreckte nicht einmal davor zurück, Veranstaltern programmatische Vorschläge zu unterbreiten: Hänsel und Gretel in Bayreuth war der wohl unsäglichste von ihnen. Gleichzeitig blieb die Bundeskulturministerin erschreckend schweigsam, wenn es um Antisemitismus oder wirkliche kulturelle Problemfälle wie die documenta oder die Berlinale ging.
Die Ideologisierung begann mit Roth
Es war Claudia Roth, die als erste Kulturstaatssekretärin die politische Ideologisierung der Kulturpolitik des Bundes vorangetrieben hat. Und deshalb wäre es wohlfeil, Wolfram Weimer vorzuwerfen, er könnte ähnliches im Sinne haben – nur eben mit rechten oder reaktionären Inhalten. Dass es so kommen könnte, zeigen allerdings seine unausgegorenen Kulturbetrachtungen, die sich ein bisschen nach AfD-Rhetorik von Marc Jongen anhören. Etwa wenn Weimer von der »Fortdauer des eigenen Bluts« und der »biologischen Selbstaufgabe« Europas quacksalbert.
Tatsächlich haben die bisherigen Amtsinhaber von Michael Naumann über Julian Nida-Rümelin und Christina Weiss, von Bernd Neumann bis Monika Grütters – egal aus welcher Partei sie kamen – auf eine Ideologisierung des Amtes weitgehend verzichtet. Sie waren alle mehr oder weniger Ermöglicher von Kunst, politische Handwerker und Interessenvertreter der Kultur.
Mit Weimer könnte der deutschen Kulturpolitik nun drohen, was wir in den USA bereits beobachten: ein brutaler kultupolitischer Revanchismus. Nachdem die eine Seite (in diesem Falle die US-Demokraten oder die deutsche »Linke«) Kulturpolitik nach ihren eigenen Werten organisiert hat, will die andere Seite (die Trumpisten in den USA und die neue Rechte in Deutschland) ihnen nacheifern – nur mit noch größerer Vehemenz und Rücksichtslosigkeit! Weimer könnte der Vollstrecker dieser Form des Revanchismus sein.
Will Merz seine realpolitischen Kompromisse kaschieren?
Er hat den Posten sicher auch deshalb bekommen, weil seine Rhetorik gerade bei den Rechten in der CDU gut ankommt, weil Friedrich Merz seine realpolitischen Kompromisse gut hinter der kulturpolitisch rechen Kante von Weimer verstecken könnte. Weimer ist eine politische Besetzung aus dem wirtschaftspolitischen CDU-Umfeld, wäre es nach Qualifizierung gegangen, wäre sicherlich Carsten Brosda der bessere Kulturstaatsminister geworden.
Derzeit bleibt nur eine Hoffnung: Dass Wolfram Weimer aus dem Pendelspiel der Extreme aussteigt, so wie er es dem Stern bereits versprochen hat. Hier wird er so zitiert: »Gegenüber diesem Lagerdenken war ich immer schon skeptisch. Gerade der breite Raum der bürgerlichen Mitte, egal, ob wir nun die Welt aus eher roter, gelber, grüner oder politisch schwarz-türkiser Perspektive sehen, sollte miteinander im offenen Diskurs bleiben, sich zuhören, respektieren und politische Kompromisse finden.«
Merkel beklatscht Castorf
Vielleicht besinnt Weimer sich im neuen Amt ja tatsächlich auf die lange kulturpolitische Tradition seiner Partei, auf Politiker mit Leidenschaft für eine offene und kontroverse kulturelle Landschaft, so wie es bei Wolfgang Schäuble, Norbert Lammert oder Thomas de Maizière der Fall war. Ganz zu schweigen von Angela Merkel, die sich in Bayreuth durchaus von Frank Castorfs ultralinkem Ring des Nibelungen unterhalten ließ – ohne danach daraus ein Politikum zu machen.
Und vielleicht besteht ja genau darin die nächste große Aufgabe von Kulturpolitikern: Die Kultur wieder zu entpolitisieren statt die Extreme der Ideologisierung zu erweitern (das bedeutet übrigens nicht, dass die Kultur an sich nicht politisch sein kann – im Gegenteil!). Dafür müsste die Linke allerdings erst einmal einsehen, dass sie vielleicht in einigen Dingen etwas zu weit gegangen ist, und dass es keine gute Idee war, Kulturpolitik zum Spielball realpolitischen Interessen werden zu lassen. Rechte wie Wolfram Weimar käme in dieser aufgeladenen Zeit indes die Rolle zu, den Pendel nicht aus purem Revanchismus zurückschlagen zu lassen.
Nichts ist derzeit so wichtig wie die Kultur wieder zu jedem sicheren Feld zu machen, auf dem Künstlerinnen und Künstler aller politischer Richtungen die Freiheit haben, sich auszudrücken und jene Dialoge vorantreiben, die uns in unserer tagespolitisch aufgeladenen Gesellschaft gerade so schwer fallen.