BackstageClassical-Autor Georg Rudiger liebt das Musikhören – und hat uns zwei aktuelle Streaming-Empfehlungen geschickt. Es geht um Bachs Cellosonaten und Vasks Violinkonzert.
Gebannt von Bach
Man sieht sich immer zweimal im Leben, heißt es. Nachdem Jean-Guihen Queyras 2007 eine ausgewogene, stimmige Aufnahme von Johann Sebastian Bachs Cellosuiten vorgelegt hatte, brachte er im Programm »Mitten wir im Leben sind« die Suiten mit einem Tanzensemble der belgischen Choreographin Anne Teresa De Keersmaeker laut Booklet rund hundert Mal auf die Bühne. Nun hat er seine Erfahrungen damit in einer zweiten Gesamtaufnahme verarbeitet. Der Frankokanadier löst sich stärker vom Notentext. In den Wiederholungen der Tanzsätze baut er oft wie in der barocken Gesangspraxis Verzierungen ein, so dass ein improvisatorisches Element in die Interpretation gelangt. Außerdem fügt er zusätzlich zu Bachs Mehrstimmigkeit weitere Doppelgriffe hinzu, die die Melodie noch stärker harmonisch einbetten. Dass die Gigue der ersten Suite durch ein langsameres Tempo ausgebremst wird, um die zusätzlich gespielten Sechzehntel unterzubringen, ist allerdings problematisch. Auch manche agogischen Freiheiten gefährden den tänzerischen Puls wie in der Gigue der zweiten Suite. Der starke Nachhall der Aufnahme macht zwar den Celloklang weich und weit, verhindert aber auch maximale Transparenz.
Großartig gelingt der Gegensatz zwischen der schnellen, schnörkellos gespielten Courante und der tastenden Sarabande in der zweiten Suite in d-Moll. Die beiden Menuette werden von Queyras durch teilweises Pizzicatospiel und Punktierungen statt Achteln neu beleuchtet. Das Prélude der Dritten spielt er nachdenklich statt selbstbewusst strahlend. Die rauschhafte Gigue der Vierten und die mit starken Akzenten zum Schwingen gebrachte Courante der Fünften sind echte Highlights wie auch die gesamte sechste Suite. Hier erzeugt der Cellist in der hohen Lage einen reinen, strahlenden Klang, der eher nach innen geht und zusammen mit den vielen genau musizierten Details eine stark erzählerische Note in die Interpretation bringt. Da lauscht man gebannt.
Bach: 6 Suiten für Cello solo. The 2023 sessions; Jean-Guihen Queyras (2022), 2 CDs und 1 Blue-ray-Disc; harmonia mundi.
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Vasks mit viel Wärme
Ein melancholischer Grundton liegt über dem zweiten Violinkonzert Vakara gaismā (Im Abendlicht) von Pēteris Vasks. Antje Weithaas und die Camerata Bern widmen sich diesem tief in der Romantik verorteten, in manchen Passagen auch schwülstigen Werk aus dem Jahr 2020 mit nie nachlassender Gestaltungskraft. Die großen Ab- und Aufschwünge, von denen das eröffnende Andante con passione durchzogen ist, haben Spannung und Richtung.
Antje Weithaas‘ Violinklang schält sich fast unmerklich aus dem Tutti. Erst in der von Doppelgriffen geprägten Cadenza I tritt die Solovioline ganz in den Vordergrund. Die langjährige künstlerische Leiterin der Camerata Bern hält die Spannung hoch. Und kann bei der emotionalen und rhythmischen Zuspitzung im Andante cantabile, das mit seinen manischen Wiederholungen und dem forcierten Streicherklang an die Musik Schostakowitschs erinnert, noch zulegen. Die Camerata Bern kann ebenfalls zupacken, aber auch einen transparenten Streicherteppich auslegen. Im finalen Andante con amore schwebt die Solovioline am Satzbeginn wie erlöst über dem Orchester-Orgelpunkt. Selbst in den eisigen Höhen des Schlusses wird Weithaas‘ Violinton nie kalt, sondern entfaltet Wärme und Dringlichkeit.
Vasks: Violinkonzert Nr. 2; Camerata Bern, Antje Weithaas (2024); CAvi-music.
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