Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit Mallwitz’ Neuem, Ideen für die Zukunft der Oper, mit klassischen Positionierungen im Nahostkonflikt, der Rolle der Kulturpolitik und einigen Shitstorms, die wir aber nicht mitmachen.
Mallwitz’ Neuer

Berlin muss sparen, und die neue Kultursenatorin überzieht ihren Etat für 2026 mit 20 Millionen Euro, für 2027 sogar mit über 40 Millionen. Einige werfen Sarah Wedl-Wilson das vor. Ich finde: Mit genau diesen Forderungen muss eine Senatorin, die sich als Lobbyistin der Kulturschaffenden versteht, in die Verhandlungen ziehen! 800.000 Euro muss Tobias Rempe einsparen, der neue Intendant des Konzerthaus Berlin. Doch das ist nicht sein einziges Problem. Als »Chef unter Joana Mallwitz« hat er nun seine erste Saison vorgestellt. Das Konzerthaus bleibt weiterhin eine Art Deutsche-Grammophon-Dependance. Wie lange wird es reichen, die One-Woman-Show Joana Mallwitz zu inszenieren, um sich neben dem musikalischen Champions League-Orchester, den Berliner Philharmonikern, dem innovativ und modern denkenden DSO, neben der großartigen Akademie für Alte Musik und der neuen alten Staatskapelle unter Christian Thielemann zu behaupten? Es wäre gut, wenn Rempe ein eigenes Profil jenseits seiner Chefdirigentin entwickeln würde. Etwas mehr Mut täte gut (hier mein Kommentar zur Situation)!

Michael Barenboims Gaza-Komplex
Der Geiger Michael Barenboim schlägt sich im Nahostkonflikt in den letzten Jahren immer lauter und unversöhnlicher auf die palästinensische Seite – gerade erst letzte Woche in einem Interview bei den Kollegen vom VAN Magazin. Es geht um den Boykott Israels, aber auch um eine scharfe Kritik an der Rolle Deutschlands. Vertritt Michael Barenboim hier noch die alten Ideale seins Vaters Daniel Barenboim? Der hat damals bewusst die Werke Richard Wagners in Israel dirigiert, ist bewusst nach Ramallah gefahren, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Sein Sohn erklärt nun, dass er Einladungen nach Israel ablehnen würde. Und damit entfernt er sich von einer Grundkonstanten des West-Eastern Divan Orchestra und der Barenboim-Said Akademie: der andauernden Dialogbereitschaft. Reibung als Möglichkeit, die Perspektiven von Juden, Christen und Muslimen im Dialog zu verschieben, war eine von Daniel Barenboims Grundideen. Harmonische Dissonanz verlangt aber das Zuhören und das gemeinsame Ringen – sie schließt den Boykott per se aus (meinen ausführlichen Kommentar zu dieser Sache lesen Sie hier).
Nicht jeden Shitstorm mitmachen
Immer wieder erreichen unsere Redaktion »Perlen aus dem Internet«. Wir lesen alle Nachrichten, die uns per Bluesky, Instagram, Facebook oder Mail erreichen. Aber es gilt auch abzuwägen, welche dieser Momente es in den redaktionellen Teil schaffen. Mehrfach bekam ich in dieser Woche das Video eines Musikers zugeschickt, der sich bei einer Meisterklasse im Ton vergriffen hat – es ging dabei um die Rollen von Mann und Frau, um Bier und Einfalt. Aber taugt all das zur großen Debatte? Der Musiker rang offensichtlich um die Worte in fremder Sprache und haute dann einen Satz raus, den alte Männer vielleicht lustig finden, der aber durchaus Fremdschäm-Potenzial in sich birgt. Doch taugt das schon zum Skandal? Zur Dekonstruktion eines Künstlers, wie es der aktuelle Shitstorm im Netz fordert? Ich finde nicht. Klar, in einem Text über latenten Chauvinismus könnte der Video-Moment als Beispiel taugen. Aber wir sollten nicht jeden spontanen Augenblick durch den andauernd erhobenen Zeigefinger der Moral in Frage stellen. Ein weiteres Video dieser Woche mit mindestens so großem Peinlichkeits-Potenzial zeigt eine ehemalige Opernsängerin, die sich mit russischen Akzent um den Weltfrieden bemüht… Puh! Lassen wir beides an dieser Stelle lieber im weltweiten Ozean des Netzes schlummern.

Weimers Links-Rechts-Debatte
Ganz verstehe ich die Aufregung nicht. Der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat einen Grundsatz-Text hinter die Paywall der Süddeutschen Zeitung geschrieben (gut, das wäre auf seiner, für alle zugänglichen Minister-Seite vielleicht klüger gewesen). Grundtendenz: Weimer will die Freiheit der Kunst bewahren und sieht es nicht als Aufgabe der Kulturpolitik, politische Leitplanken zu setzen. Eigentlich hat er aufgeschrieben, was wir auch schon gefordert haben, als wir hofften, dass der CDU-Mann keinen Polit-Revanchismus an Claudia Roth vornehmen wird. »Linke wie Rechte wollen die Kunst politisieren, haben sich aber ein denkbar ungeeignetes Objekt ausgesucht«, schreibt Weimer, »es liegt gerade im Wesen der Kunst, Freiheit zu atmen und gerne vieldeutig zu bleiben.« Kritik hagelt es besonders für seine Beispiele: Die Beispiele aus der rechten Ecke sind den Linken nicht genug, die aus der linken Ecke den Rechten zu wenig – und ja, vielleicht war es nicht so klug, Dieter Nuhrs Eingeschnapptheit mit dem Bücherbann von Donald Trump gleichzusetzen. Was aber für mich als zentrale Botschaft bleibt, ist dieser Satz: »Die liberale Antwort auf diese Entwicklung lautet, keinen politischen Einfluss zu nehmen, sondern, ganz im Gegenteil, die Freiheit der Kunst zu verteidigen. Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren möglichst weiten, anstatt sie zu verengen.« Damit kann ich gut leben.
Dortmund: Klasse ohne aufgesetztem Glamour
Als ich den Intendant der Oper Dortmund, Heribert Germeshausen, für unseren Podcast getroffen habe, hat mich ein Satz von ihm besonders zum Nachdenken gebracht: »Wir wollen eine relevante Minderheit werden«. Das fand ich smart! Oper als relevante Nische für die Gesamtgesellschaft! Germeshausen kämpft im Ruhrgebiet um Publikum und positioniert sein Haus dabei klug gegen das auf Hochglanz getrimmte Konzerthaus. In unserem Gespräch macht der Intendant klar, dass Outreach kein Gegenpol zu ambitioniertem Theater sein muss – im Gegenteil. Sein Haus sucht nach ganz verschiedenen Verankerungen innerhalb einer Gesellschaft, in der es nur wenig »altes Bürgertum« gibt, aber eine große Anzahl von Menschen, »die noch gar nicht wissen, was sie verpassen.« Lesen Sie die Zusammenfassung unseres Gesprächs oder hören Sie einfach selber.
Die letzten Podcasts bei BackstageClassical
- Tobias Kratzer über die Zukunft der Oper
- Peter Konwitschny über die Regie in unserer Zeit
- Hannah Schmidt & Axel Brüggemann im Monatsrückblick »Takt&taktlos«

Personalien der Woche
Was macht eigentlich Markus Hinterhäuser? Der hat letzte Woche einen unglaublich wichtigen Society-Termin wahrgenommen und kreuzte gemeinsam mit seinem Geschäftsführer Lukas Crepaz und seiner Ex-Präsidentin Helga Rabl-Stadler beim Red-Bull-Event, der Eröffnung des neuen Hangar-7, in Salzburg auf. Danach machte ihm Cecilia Bartoli bei den Pfingstfestspielen vor, wie moderne Oper geht. Immerhin: Barrie Koskys Hotel Metamorphosis (hier eine Feuilleton-Umschau) wird bei Hinterhäusers Sommerfestspielen dann auch noch mal aufgekocht. Phantasie verleiht Flüüüüügel! +++ Seit Friedrich Merz im Oval Office saß, hat Donald Trump ein Problem. Das liegt aber weniger am deutschen Kanzler als an Elon Musk. Bei so viel aktueller Polit-Aufregung dürfte es den US-Präsidenten kaum kümmern, dass seit seines Amtsantritts als Vorsitzender des John F. Kennedy Center die Ticketverkäufe und Abonnements drastisch weniger nachgefragt werden: Bis zu 50 Prozent Umsatzrückgang meldet die New York Times. +++ Der Komponist, Klarinettist und Dirigent Jörg Widmann übernimmt ab 2026 die künstlerische Leitung der Lucerne Festival Academy. Damit folgt Widmann auf Wolfgang Rihm, der 2023 verstorben ist. Die Ernennung erfolgte durch den designierten Intendanten des Lucerne Festival, Sebastian Nordmann, der sein Amt ebenfalls Anfang 2026 antritt. +++ Ich erinnere meine Studienzeit, in der ich seinen Werken begeistert hinterhergereist bin! Nun ist der international gefeierte dänische Komponist Per Nørgård im Alter von 92 Jahren verstorben. Nørgårds umfangreiches Schaffen umfasste nahezu 400 Werke, darunter acht Sinfonien, sechs Opern, Kammermusik sowie zahlreiche Chor- und Filmmusiken.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Unsere Autorin Antonia Munding ist für BackstageClassical nach Norwegen zum Bergen Festival gefahren. Letztes Jahr war sie hier bereits auf den Spuren der Nazi-Vergangenheit und der Musik. Dieses Mal war sie begeistert davon, wie das Festival in der Geschichte nach Antworten für unsere Zeit sucht: Munding sah William Kentridges Stück The Great Yes, The Great No. Grundlage ist die Fahrt auf einem verrotteten Frachtschiff, das im März 1941 rund 200 Künstler und Intellektuelle auf ihrer Flucht vor den Nazis von Marseille nach Martinique brachte. Unter ihnen der Surrealist André Breton, die Schriftstellerin Anna Seghers und der Ethnologe Claude Lévi-Strauss. Außerdem verfolgte Munding, wie ein Ensemble zur Stimme von Kirsten Flagstad musizierte. Das Vergangene lebt und bietet uns Orientierung für unsere Zukunft.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann