Tobias Rempe plant seine erste Saison als Intendant am Konzerthaus in Berlin – Und das in einer Zeit klammer Kassen und mit einer fast übermächtigen Chefdirigentin.
English summary: Tobias Rempe begins his first season as director of the Berlin Konzerthaus amid budget cuts and strong influence from chief conductor Joana Mallwitz. Culture Senator Wedl-Wilson aims to avoid closures through reforms. Rempe stays committed to his vision and seeks to shape his own artistic profile.
Eine echte Perspektive für die Zukunft der Kultur in Berlin gibt es noch immer nicht. Aber wenigstens spricht die neue Kultursenatorin, Sarah Wedl-Wilson, wieder mit den Beteiligten. Und sie macht Zugeständnisse: Für 2026 liegt ihr geplanter Etat rund 20 Millionen Euro über dem Soll, für das Jahr 2027 sogar bei 967 Millionen Gesamtausgaben – und damit 40 Millionen Euro über den Planungen ihrer eigenen Regierung. Manche werfen Wedl-Wilson vor, mit überzogenen Budgets in die Verhandlungen zu gehen, aber genau das ist in der angespannten Situation wohl nötig. Auf jeden Fall machen allein die Zahlen sie zu einer glaubwürdigen Anwältin der Kulturschaffenden.
Die neue Kultursenatorin betont immer wieder, dass sie Schließungen um jeden Preis verhindern will und sucht ihr Heil in den Zusammenlegungen von Werkstätten und anderen Gewerken der Häuser. Klar, das allein wird kaum die nötigen Summen einsparen, aber Wedl-Wilson hofft darauf, den Senat überzeugen zu können, dass allein langfristige Strukturänderungen auch langfristiges Sparpotenzial schaffen. Sie weiß: Jetzt mit der Machete schnelle Einschnitte vorzunehmen, würde eine grundlegende und nachhaltige Gefährdung der Berliner Kulturlandschaft bedeuten.
Rempes erste Jahr am Konzerthaus
Derweil bereitet sich Tobias Rempe auf sein erstes Intendanz-Jahr am Berliner Konzerthaus vor. Ihm macht die finanzielle Situation in Berlin (die so bei seiner Wahl nicht nicht absehbar war) natürlich ebenfalls Sorgen. Der FAZ erzählte er: »Im Moment guckt Berlin ja erst mal gebannt auf die Aufstellung des Doppelhaushalts 26/27 und darauf, welche Weichenstellungen für die Kultur dort verankert werden. Die Situation ist ziemlich gefährlich – nicht nur für das Konzerthaus und die gesamte Berliner Kultur inklusive freier Szene, sondern letztendlich für die ganze außergewöhnliche Stadt Berlin und deren Ansehen in der Welt.« Rempes Haus wird – nach aktuellen Planungen – rund 800.000 Euro einsparen müssen. »Grundsätzlich bin ich aber überhaupt nicht bereit, die Ideen, mit denen ich mich um diesen Job beworben habe, aufzugeben«, sagt Rempe, »die Richtung bleibt.“
BackstageClassical hatte den Auswahlprozess damals begleitet und als erstes Medium gemeldet, dass Rempe vom Ensemble Resonanz nach Berlin kommt. Das Auswahlverfahren noch unter Ex-Kultursenator Joe Chialo war damals recht schwierig, die Mitglieder der Findungskommission waren uneinig, einige verließen das Gremium. Überhaupt war es nicht leicht, einen Intendanten zu finden, der bereit war »unter« Joana Mallwitz anzutreten, denn die hat als Chefin des Konzerthausorchesters ein gewichtiges Wort mitzureden. Mallwitz, die auf der einen Seite bei einem Teil des Berliner Publikums überaus gut ankommt, muss sich gleichzeitig die Kritik gefallen lassen, dass ihr Zugang zur Musik eher bieder und ihre Dirigate eher behäbig sind (im BackstageClassical-Podcast debattieren Hannah Schmidt und ich über die Vorzüge und Nachteile der Chefdirigentin).
Im Schatten von Mallwitz
Rempe selber lobt Mallwitz natürlich dafür, dass sie das Konzerthausorchester »mit größtem Einsatz« entwickeln würde. Doch ob das Orchester diese Euphorie teilt, ist fraglich. Mit Mallwitz muss Rempe auch an der Nähe seines Hauses zur inzwischen sehr angestaubten Deutschen Grammophon festhalten, etwa wenn er sein Programm rund um die längst geplante Aufnahme von Haydns Schöpfung mit Mallwitz programmiert (Mallwitz-Humor: »Es wird ein Haydn-Spaß!«). Auch DG-Musiker wie Avi Avital oder Alice Sara Ott (Artist in Residece) kehren unter seiner Leitung wieder zurück an das Haus. Schluss ist indes für das erfolgreiche Talk- und Musik-Format des Geigers Daniel Hope. Dafür holt Rempe nun den Schauspieler Charly Hübner mit dem neuen Format Herz über Kopf (hier sollen wohl auch Gespräche stattfinden, Platten aufgelegt und musikalische Gäste eingeladen werden).
So richtig klar wird die neue Richtung, die Rempe am Konzerthaus einschlagen will, noch nicht. Die Saisoneröffnung findet in Kooperation mit zwei Freiluftkinos in Friedrichshain und im Wedding statt, und Berlin Tracks heißt eine neue Reihe im Konzerthaus, die sich an Berliner Künstlerinnen und Künstlern orientiert, die sich durch eigenen Zugang zur Musik ein eigenes Publikum herangezogen haben. Ansonsten stehen – wie immer – allerhand »große Klassiker« mit dem Konzerthausorchester auf dem Programm.
Eigene Marke finden
Doch gerade dieses Ensemble scheint seine eigene Rolle noch nicht richtig gefunden zu haben. Wie lange wird es reichen, die One-Woman-Show Joana Mallwitz zu inszenieren, um sich neben dem musikalischen Champions League-Orchester, den Berliner Philharmonikern, dem innovativ und modern denkenden DSO, neben der großartigen Akademie für Alte Musik und der neuen alten Staatskapelle unter Christian Thielemann zu behaupten? Es wäre gut, wenn Rempe ein eigenes Profil jenseits der Chefdirigentin in den kommenden Jahren entwickeln würde.
Sein Vorgänger, Sebastian Nordmann, wird von nächstem Januar an das Lucerne Festival leiten, wo er Michael Haefliger beerbt. Nordmann hat das Berliner Konzerthaus in den letzten Jahren eher als Unternehmen denn als Kunstinstitution geführt und dabei die Möglichkeiten einer alten Klassik-Welt (eben jener Star- und PR-Klassik der Deutschen Grammophon) bis ans Ende ausgereizt. Dieses Rezept wird in Lucerne so sicherlich nicht mehr funktionieren. Wie schwierig es geworden ist, große Konzerthäuser allein mit vermeintlich »großen Namen« zu füllen, zeigt sich derzeit schon in Baden-Baden. Und auch für das Konzerthaus in Berlin ist dieser Weg, für den Nordmann einst Mallwitz verpflichtet hat, inzwischen wohl ausgereizt. Rempe wird gerade in Zeiten klammer Kassen in Zukunft noch mehr innovativen Mut aufbringen müssen, um sein Haus in der Hauptstadt neu zu positionieren.