
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
Heute geht es um die Frage, wie die Bundestagswahl unsere Klassik-Szene verändern kann, wie Komponisten die GEMA kritisieren und wie sich Musik auch in der Krise wirtschaftlich organisieren lässt.
Komponisten-Krach mit der GEMA

Ist das das Ende der E-Musik? Der Ton ist auf jeden Fall scharf, wenn Komponistinnen und Komponisten derzeit gegen die Verwertungsgesellschaft GEMA auf die Barrikaden gehen. Der Grund: Die GEMA will die Ausschüttungskriterien für E-Musik ändern. Für einige Komponistinnen und Komponisten kann das zur existenziellen Krise werden. BackstageClassical liegen exklusiv Brandbriefe prominenter Kulturschaffender wie der Komponistin Iris ter Schiphorst, («die Reform ist eine Revolution von oben«), dem Präsidenten der Akademie der Künste, Manos Tsangaris, (»Die Reformpläne sind eine Art Abschaffung der E-Musik«) und dem Vizepräsidenten der Sächsischen Akademie der Künste, Ekkehard Klemm vor, in denen sie die GEMA bitten, die Verteilungskriterien offenzulegen, einen fairen Dialog zu führen und transparent zu sein. Der Vorsitzende des Komponistenverbandes, Moritz Eggert, schreibt: »Würde Johann Sebastian Bach in diesem neuen System wirken, er wäre bei der GEMA ein kleines Licht, ohne jede Chance auf ordentliche Mitgliedschaft, da seine Aufführungen allesamt kein Inkasso im heutigen Sinn erbrächten.« Alle Hintergründe hier.
Wirtschaftliche Klassik auch in der Krise
Mozart funktioniert noch immer! Rainer Heneis, Geschäftsführer der Stiftung Mozarteum, erklärt im Guten-Morgen Podcast von BackstageClassical, wie klassische Kultur auch in der Krise stabil wirtschaften kann. Im Vorfeld der anstehenden Mozartwoche sieht er die Situation trotz wirtschaftlicher Herausforderungen optimistisch. Die Stiftung Mozarteum steht auf drei Standbeinen: Mozart-Museen, Konzerte und Forschung. Wesentliche Einnahmequellen sind die Mozart-Museen, die behutsam einem breiteren Publikum geöffnet werden und die Mozartwoche, die unter Rolando Villazón Innovation und Tradition verbindet. Globale Kooperationen, Jugendprogramme und Digitalisierung, wie die Überarbeitung des Köchel-Verzeichnisses, machen Mozarts Erbe weltweit zugänglich. Ein spannender Einblick in die Strukturen Salzburger Mozart-Welt.

Die Klassik vor den Neuwahlen
Die anstehenden Wahlen in Deutschland werden auch erheblichen Einfluss auf die Strukturen der klassischen Musik haben. Einer der Spitzenkandidaten für die Nachfolge von Claudia Roth als Kulturstaatssekretärin im Bundeskanzleramt könnte – wenn es zu einer »großen Koalition« käme – Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda sein. Er ist derzeit wohl einer der fähigsten Kulturpolitiker und hat gerade den Kulturhaushalt in der Hansestadt um 11 Prozent erhöht. »Das Bewusstsein für kulturelle Investitionen bleibt hier erhalten, weil wir im engen Dialog mit den Einrichtungen stehen«, so Brosda. Genau das Gegenteil gilt für Joe Chialo, Berlins Kultursenator, der nun erneut für Probleme sorgt. Weil sich zahlreiche seiner Kürzungen nicht wie geplant umsetzen lassen, muss die Kulturverwaltung nun an anderer Stelle Geld streichen – das betrifft auch Einrichtungen, die bislang verschont geblieben sind. Beobachter sprechen von »Chaos«. Hinzu kommt auch ein neuer Skandal um die Sanierung der Komischen Oper. Und die AfD von Alice Weidel? In einem großen Essay habe ich mich mit den kulturellen Forderungen und den Protagonisten der AfD auseinandergesetzt. Staatliche Förderungen sollen radikal gekürzt werden. Kultur nur unterstützt, wenn sie den Menschen auch gefällt – und: wenn sie die Heimat stärkt. Hier geht es zum Essay durch die Kulturwelt der AfD.

Freiburg kämpft für sein SWR Experimentalstudio
Das SWR Experimentalstudio in Freiburg hat Musikgeschichte geschrieben. Nun sucht der SWR eine neue Bleibe für die Institution, in der Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez und Luigi Nono zu Hause waren. Das bisherige Gebäude möchte der Sender zum Verkauf anbieten, und das sorgt für Unmut in Südbaden und weckt den Kampfgeist der Freiburger, berichtet Georg Rudiger in einer Reportage auf BackstageClassical. Oberbürgermeister Martin Horn sagt, er sei davon überzeugt, »dass wir ein attraktiveres Angebot bieten können, damit das Experimentalstudio auch weiterhin in Freiburg zuhause ist.« Das Ende ist offen.
Personalien der Woche
Wissen unsere Diebe denn nicht, dass unsere Kulturinstitutionen bankrott sind? In der Nacht zum Sonntag sind Einbrecher tatsächlich in die Oper Leipzig eingestiegen und haben das Abo-Büro geplündert. Es wurde Bargeld aus verschiedenen Behältnissen entwendet. Der durch den Einbruch entstandene Schaden beläuft sich nach ersten Schätzungen auf mehrere tausend Euro. +++ Sir Simon Rattle wird für sein Lebenswerk mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet, einer der renommiertesten Ehrungen der klassischen Musik. Die Preisstifter würdigten den deutsch-britischen Dirigenten als eine der prägendsten Persönlichkeiten unserer Zeit, dessen außergewöhnlich breites Repertoire von Klassik und Romantik bis zur Neuen Musik reicht. +++ Nach fast 150 Jahren in Familienbesitz gibt der Wiener Musikverlag Doblinger seine Eigenständigkeit auf und schließt sich der Wise Music Group mit Sitz in London an. Wie der bisherige Eigentümer Peter Pany im Standard mitteilte, sei es für unabhängige Verlage zunehmend schwer, im globalisierten Markt zu bestehen. +++ Zoff in der Schweiz: Ein bisher unbekannter Investor will in Rougemont einen Konzertsal und ein Museum bauen – also in unmittelbarer Nähe des geplanten Neubaus in Gstaad, wo Herzog & deMeuron einen neuen Saal samt Sportzentrum errichten wollen. Christian Berzins berichtet in den Zeitungen der CH media über den Fall. +++ Was die juristische Auseinandersetzung zwischen dem Fonds der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser und mir über die bei BackstageClassical veröffentlichten Texten betrifft, gibt es noch nichts Neues – ein Urteil wird allerdings in dieser Woche erwartet.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Eigentlich ist es ein Trauerspiel! Es mag verwundern, dass ausgerechnet ein Todesfall in dieser Rubrik auftaucht – zumal mir diese Nachricht wirklich sehr nahe gegangen ist. Direkt nach dem Versenden des letzten Newsletters wurde bekannt, dass Bremens Intendant, Michael Börgerding, nach kurzer, schwerer Krankheit plötzlich verstorben ist. Wir haben uns seinerzeit allerhand Scharmützel geliefert und vielleicht auch nie so richtig zusammengefunden – um so mehr ging mir sein Tod nahe. Und hier kommt das Positive, das heute so selten geworden ist: In allen Nachrufen wird Michael Börgerding als Mensch gefeiert, dessen größtes Ziel es war, das kreative Klima innerhalb eines Ensembles zu fördern. In einem bewegenden Podcast spricht der ehemalige GMD in Bremen, Yoel Gamzou, über seinen Förderer Michael Börgerding und erklärt, dass an seinem Haus eine vollkommen angstfreie Freiheit herrschte, dass alle Exzentriker aus dem Ensemble ihre Meinung äußern konnten, und dass kaum ein anderer Intendant sich so bedingungslos vor seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestellt hat wie Michael Börgerding. Möge diese Einstellung als positives Vorbild gelten – gerade jetzt.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann