Klassik-Komponisten wütend auf GEMA

Januar 19, 2025
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Komponisten kritisieren die GEMA (Foto: BC)

Die GEMA plant neue Kriterien für die Ausschüttung ihrer Gelder. Prominente Klassik-Künstler befürchten, dass die Neuordnung auf ihre Kosten geht. BackstageClassical liegen die Protestbriefe exklusiv vor.

English summary: GEMA plans to revise its distribution criteria, prompting concerns among classical musicians about losing financial support. Historically, GEMA prioritized solidarity and supported non-commercial creativity. Critics fear a shift toward commercialization and the removal of the “E-rating,” crucial for classical music. Protesters demand transparency, fairness, and solidarity.

Eigentlich ist die GEMA eine Erfolgsgeschichte: Die Verwertungsgesellschaft  mit Sitz in Berlin organisiert die Nutzungs- und Urheberrechte für über 90.000 Komponisten, Textdichter und Musikverleger. Die GEMA entstand Anfang des 20. Jahrhunderts nach einer Idee von Komponisten wie Engelbert Humperdinck und Richard Strauss, die eine Anstalt »ohne privatwirtschaftliche Zwecke« forderten, um die Einnahmen von Veranstaltern und Sendern direkt an Künstlerinnen und Künstler zu verteilen.

Heute geht es um Gelder in Milliarden-Höhe, und natürlich spielt der Verteilungsschlüssel eine wesentliche Rolle. Seit den Anfängen der GEMA gibt es ein stilles Einvernehmen, dass Produzenten klassischer Werke und so genannter E-Musik nach einem anderen Schlüssel bedacht werden als Produzenten populärer Musik. Trotzdem sind die GEMA-Einnahmen beider Gruppen kaum vergleichbar. Während in der Populärmusik Millionen-Ausschüttungen gezahlt werden, decken die Ausschüttungen in der klassischen Musik oft gerade einmal die grundlegende Existenz von Künstlerinnen und Künstlern. Doch selbst das könnte sich nun radikal verändern. 

Neue Kriterien für die Ausschüttung

Derzeit werden die Ausschüttungen nach Tantiemen und einer individuellen Wertung ermittelt, in der Punkte nach unterschiedlichen Kriterien wie dem Aufführungsaufkommen und der Art und der Struktur der Komposition bestimmt werden. Bei einem durchschnittlichen Klassik-Komponisten kommen pro Jahr rund 4.000 Euro Tantiemen und 10.000 Euro aus der Wertung zusammen, bei Studierenden übersteigen die GEMA-Mitgliedsgebühren allerdings oft die Ausschüttungen. Doch nun plant die GEMA eine Neuordnung des Verfahrens und eventuell die Abschaffung der E-Wertung. Die neuen Kriterien sollen am 23. Januar vorgestellt werden. Zahlreiche Komponierende befürchten ein intransparentes Verfahren, eine Verfahrensänderung »von oben herab« und, dass die klassische Musik bei all dem unter die Räder gerät. BackstageClassical liegen exklusiv Briefe vor, in denen sich prominente Kunstschaffende mit ihren Protesten an die GEMA wenden.

Der Dirigent, Komponist und Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste, Ekkehard Klemm schreibt an den Vorstandsvorsitzenden der GEMA, Tobias Holzmüller und den Aufsichtsratsvorsitzenden Ralf Weigand: »Die GEMA war bisher trotz aller bereits stattgefundenen Umstrukturierungen und Diskussionen noch immer eine Institution, in der der Solidaritätsgedanke eine nicht unwesentliche Rolle spielte und jenes Schöpferische, das sich nicht umstandslos vermarkten lässt, sondern die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und ihrer Kultur sucht, bewusst unterstützt und gefördert wurde. Ausgerechnet in einer Zeit, in der mehrere Krisen der Kultur (…) ohnehin den Boden unter den Füßen weggezogen wird, strengt die GEMA ein Reformvorhaben an, das die Freien, die Avancierten und mit ihnen die sie musizierenden Ensembles in den Abgrund zu reißen imstande ist.«

Breiter Protest

Auch die Komponistin und Vizerektorin der Sektion Musik an der Akademie der Künste in Berlin, Iris ter Schiphorst, schreibt der GEMA: »Ihre sogenannte Reform ist in Wahrheit eine Revolution von oben!« In ihrem Schreiben erklärt die Komponistin, dass die Geduld vieler Komponierender überstrapaziert sei. Der Präsident der Akademie der Künste, Manos Tsangaris schreibt in einem Brief: »Es drängt sich die Befürchtung auf, dass die GEMA im Rahmen ihrer Reformpläne eine Form der Kommerzialisierung plant, die zwangsläufig zu einer Abwicklung der E-Musik in der Wertegemeinschaft der GEMA führen wird.«

Auch der Vorsitzende des Komponistenverbandes, Moritz Eggert, fordert in einem Statement ein Umdenken von der GEMA.  Eggert schreibt anhand eines Beispiels: »Würde Johann Sebastian Bach in diesem neuen System wirken, er wäre bei der GEMA ein kleines Licht, ohne jede Chance auf ordentliche Mitgliedschaft, da seine Aufführungen allesamt kein Inkasso im heutigen Sinn erbrächten.«

Unnötige Gräben

Eggert weiter: »Was nun droht, ist eine solch radikale Umwandlung des bisherigen Systems, dass es die Existenz der E-Musik an sich gefährdet. Schon bei der Ankündigung der Reformen heute war von einem ‚Ausgleichsfonds um Härten zu verringern‘ die Rede, was schon Schlimmstes ahnen lässt, denn das heißt, dass den Initiatoren dieser Reform diese Härten sehr wohl bewusst sind. Dieser Fond läuft 2028 aus, und dann schlagen die Konsequenzen der Reform voll ein. Wie es bei Inkasso-Abrechnung und einem drohenden Wegfall der E-Wertung (die z.B. im Jahr 2022 nur 1,3 Prozent der Gesamterträge der GEMA ausmachte) es in Zukunft jemals möglich sein soll, irgendwann einmal ordentliches Mitglied zu werden, bleibt eine unbeantwortete Frage.« 

Der Komponist Moritz Eggert (Foto: Ackermann)

Die GEMA habe das Potenzial, selbstbewusst den Erhalt der E-Musik zu fördern, sagt Eggert, da sie international viel zugunsten von Urheberinnen und Urhebern bewirkt hat. »Musik hat ihren Wert« – dieses Motto müsse auch für E-Musik gelten, die durch steigende Liveaufführungen das Kulturleben bereichert. »Ist es die Aufgabe einer Verwertungsgesellschaft, zu entscheiden, was ‚in‘ oder ‚out‘ ist?“, fragt Eggert. Ein solcher Schritt wäre ein Verrat an der Musikgeschichte und würde die GEMA zur »Geschmacksinstanz« degradieren.

Forderung nach Mitsprache

E-Musik bewahre ein kulturelles Erbe, das durch spezialisierte Bildung gesichert würde. Daher muss die GEMA Widerstand ernst nehmen und E-Komponierende stärker in den Reformprozess einbinden. »Wenn über E entschieden wird, muss E auch wirklich mit am Tisch sitzen.« Nur so kann eine breite Akzeptanz der Reform gelingen. Eggert schreibt: »Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Marginalisierung von E in den Machtstrukturen der GEMA erlebt. Einst war gewährleistet, dass E-Komponierende wirklich eine garantierte Stimme im Aufsichtsrat hatten, diese Zeiten sind lange vorbei. Wir wehren uns gegen diese drohende Marginalisierung und gegen eine Fremdbestimmung der GEMA, die die ursprünglichen Absichten ihrer Gründer zutiefst verrät. Das Geld, was hier umverteilt werden soll, geht an ausländische Großkonzerne, wozu es keinerlei Zwang gibt.«

»Aufgrund all dieser berechtigten Sorgen und offenen Fragen muss E-Musik in den Reformprozess mehr einbezogen werden, als es bisher geschah«, sagt Eggert. »Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Sparten sollten gewichtig besetzte Arbeitsgruppen entstehen, die uns E-Komponierenden die Möglichkeit geben, den Reformprozess – gegen den wir uns keineswegs grundsätzlich stellen – aktiver mitzugestalten, als es bisher der Fall war, nicht nur als Zaungast oder Stichwortgeber. Nur dann werden wir ihn mit unserer Stimme mittragen, sonst nicht.«

Konkret fordern die Musiker von der GEMA:

  • Eine Offenlegung der Verteilungskriterien
  • Einen transparenten Umgang mit Eigeninteressen 
  • Einen fairen und offenen Dialog
  • Den Erhalt des Soldarprinzips
  • Eine offene Diskussion der Konzepte
  • Einen wertschätzenden Umgang     

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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