
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
in dieser Woche wird es ernst für die Kultur im Bund: Die Verhandler stehen fest. Außerdem: Prozess für Pereira, Buhs für Vance und die Bedeutung von Karl Böhm.
Der Bundes-Kulturpoker
Der Geigerin Julia Fischer und dem Cellisten Daniel Müller-Schott ist der Kragen geplatzt: München sei auf dem Weg zur kulturellen Provinz, sagten sie der Süddeutschen Zeitung: Technische Probleme in den Häusern und kein Konzerthaus in Sicht. »Würde Markus Söder einen Konzertsaal bauen wollen, würde München einen Konzertsaal bekommen«, erklärte Fischer. Und die Situation in Berlin sieht auch nicht besser aus. Das haben wir bereits letzte Woche debattiert: Es ist kaum wahrscheinlich, dass Joe Chialo (CDU) von seinen 320 Millionen-Einsparungen abweicht (oder abweichen kann) – irgendwo werden die Einschnitte existenziell werden. Derweil wirkt Hamburg wie das Gallische Dorf und Kultursenator Carsten Brosda wie ein Kultur-Miraculix mit Zaubertrank: Neue Oper, Etatsteigerung, coole Personalpolitik! Kulturschaffende feiern ihn wie einen Messias, und, egal wie kritisch man schaut: Der Mann plant perspektivisch, kennt die Strukturen der Häuser und schafft es, die Welt jenseits der Kultur in seine Planungen einzubeziehen. Um so spannender werden die Koalitionsverhandlungen im Bund. Hier wird Brosda die »Arbeitsgruppe 14« Kultur und Medien für die SPD leiten, die CDU schickt Christiane Schenderlein als Vorsitzende ins Rennen, sie ist Sprecherin für Kultur und Medien der Bundestagsfraktion. Aber Chialo ist auch dabei – viele in Berlin hoffen, dass er am Ende Claudia Roth nachfolgt, der Rest der Nation sollte eher auf Brosda hoffen.
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Jetzt ist aber auch Mal Schluss
Puh – jetzt reicht es auch: Nachdem der Salzburger Festspielfonds und Markus Hinterhäuser einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in sieben Punkten gegen mich beim Landgericht Hamburg eingereicht hatten, teilten Ihnen die Richter zunächst telefonisch mit, dass die Kammer dem Erlass voraussichtlich keine Erfolgsaussichten beimessen wird. Trotzdem wurde der Antrag nicht zurückgezogen, daraufhin verloren die Kläger in allen sieben Punkten. Auch danach war die Sache noch nicht gegessen: Der Festspielfonds und Hinterhäuser legten Beschwerde ein. Nun wurde auch sie vom Oberlandesgericht Hamburg abgewiesen. Damit ist das Verfügungsverfahren endlich abgeschlossen!

Solche Prozesse sind aufwändig, können (auch vorgerichtlich) kostspielig sein und zeigen doch, wie wichtig eine unabhängige Justiz in einer Demokratie ist. Was mich auf diesem Weg am meisten überrascht hat, war, wie aktiv die Zivilgesellschaft ist. Ich habe so viele Nachrichten, Anrufe und Mails bekommen, die mich und BackstageClassical unterstützt haben. Das zeigt mir: Unsere Arbeit wird auf breiter Ebene geschätzt und verstanden. Ich danke allen Unterstützerinnen und Unterstützern. Durch Ihre Spenden hatte ich überhaupt erst den Rückhalt, das finanzielle Risiko einer juristischen Klärung vor Gericht auf mich nehmen zu können. Das Geld, das nach Abzug der vorgerichtlichen Kosten übrig bleibt, wird zurückgelegt – ansonsten fließen alle Spenden an BackstageClassical wie gewohnt direkt in die Honorare für Autorinnen und Autoren. Der Ausgang bestätigt mich, die Welt der Klassik, ihre Protagonisten und Institutionen auch weiterhin kritisch und investigativ zu begleiten.
Prozess für Pereira
Juristisch heikel wird es Ende des Monats für den ehemaligen Intendanten der Salzburger Festspiele, für Alexander Pereira. Die Staatsanwaltschaft Florenz wirft ihm vor, als Intendant des Maggio Musicale Fiorentino Gelder veruntreut zu haben. Es geht unter anderem um Ausgaben für Reisen und Umzüge von Mailand in die Toskana, die nicht durch seinen Vertrag gedeckt gewesen seien. Weiterhin wird ihm vorgeworfen, die Kreditkarte des Opernhauses für private Ausgaben genutzt zu haben, die in keinem Zusammenhang mit seiner Funktion standen. Staatsanwältin Christine von Borries fordert vier Jahre und vier Monate Haft, Pereiras Anwälte, Sigfrido Fenyes und Marianna Poletto, erklärten, dass sie die Darstellung der Staatsanwaltschaft nicht teilten und in der nächsten Sitzung eine »diametral entgegengesetzte« Sichtweise präsentieren würden, die zur Klärung der Angelegenheit beitragen solle.

Angriff auf Freiburgs Domsingschule
Als Außenstehender ist es schwer zu begreifen, was genau sich da in Freiburgs Dommusik seit einigen Monaten abspielt. Nachdem Weihbischof Peter Birkhofer den Domkapellmeister Boris Böhmann entlassen hatte und die Diözese sich zu den Gründen ausschwieg, rufen mich regelmäßig Vertreter der unterschiedlichen Lager an: Fakt ist, dass Böhmann zahlreiche Fans hat, die bereits für ihn auf die Straße gegangen sind. Nun haben sie kurzerhand eine Alternativ-Veranstaltung zur Domsingschule gegründet: 130 Sängerinnen und Sänger seien der neu gegründeten »Chorakademie Freiburg« schon beigetreten, heißt es in einer Pressemitteilung. Hier soll unter Leitung Böhmanns zukünftig stimmliche Förderung stattfinden, Angebote in Musiktheorie, Einzelstimmbildung sowie interdisziplinäre Projekte in Kooperation mit anderen Institutionen.
Der Mozart im Wagner

Als ich den »gelben Papier-Ziegelstein« mit dem Titel Karl Böhm – Biografie, Wirken Rezeption auf den Schreibtisch bekam, habe ich mich sofort festgelesen. Der Dirigent Karl Böhm spielte in meinem Musikkopf ein Schattendasein. Dabei ist seine Biografie ein politisches und musikalisches Abenteuer. Der von Thomas Wozonig herausgegebene Band thematisiert intensiv Böhms Verstrickungen in den Nationalsozialismus und beleuchtet seine Rolle in der Nachkriegszeit. Ich freue mich, dass wir bei BackstageClassical das Kapitel über Böhm in Bayreuth von Paula Schlüter veröffentlichen durften – ein Deepdive in die Festspielgeschichte, aber auch in die Frage, wie viel Mozart in Wagner steckt! Nehmen Sie sich die Zeit zur Lektüre!
Weitere Vorabdrucke bei BackstageClassical
- Clara Schumann Biografie von Christine Eichel
- Johann Strauss in den USA von Bernhard Ecker
- Richard Strauss – ein Zeitgenosse von Christian Thielemann
Düsseldorfer Hickhack
Die Proteste gegen teure Opernbauten werden immer lauter. Die Linke in Düsseldorf fordert nun einen Bürgerentscheid über den geplanten 1,56 Milliarden Opern-Neubau am Wehrhahn. Die Partei lehnt den Neubau ab und favorisiert stattdessen die Sanierung der bestehenden Oper an der Heinrich-Heine-Allee. Laut einer Umfrage lehnen fast 70 Prozent der Düsseldorfer den Neubau ab.

Personalien der Woche
»Ihr habt diesen Ort ruiniert!«, rief ein Zuschauer in Richtung von US-Vizepräsident JD Vance und seiner Frau Usha, als der ein Konzert des National Symphony Orchestra im Kennedy Center besuchte. Es gab Buhs für den US Vizepräsidenten. Der nippte in der Loge am Sektglas und lächelte. Gianandrea Noseda dirigierte derweil Schostakowitsch.+++ So richtig schlau wurde ich nicht aus dem Porträt, das in der ZEIT über den AfD-Cellisten Matthias Moosdorf erschienen ist: Sollte der Text Verständnis erwecken? Mitleid erregen? Oder für Erstaunen sorgen? Zu viel Raum für einen Mann, der innerhalb des Textes noch mit Beschimpfungen zitiert wird: Moritz Eggert nennt er »Kakerlake«, Igor Levit »Klavier spielenden Polit-Clown«. Der Ton macht die Musik! +++ Wir hatten letzte Woche berichtet, nun ist die Causa entschieden: Wegen unterschiedlicher Auffassungen zur langfristigen Ausrichtung des Hauses wird der Vertrag von Generalintendantin Katharina Kost-Tolmein am Theater Münster nicht verlängert. +++ Die Wiener Symphoniker schießen den Donauwalzer von Johann Strauss ins Weltall. Die Werbekampagne von Wien Tourismus ist eine lustige Satire: Angeblich wurde in der Voyager Mission 1977 zwar die Zauberflöte ins All geschossen, der Donauwalzer aber vergessen – das soll nun korrigiert werden. +++ »Ihr Schaffen ist nicht einfach nur Musik. Es ist eine Offenbarung, in der Schmerz und Hoffnung, Leid und Glaube, Tragödie und der Triumph des Geistes miteinander verschmelzen«, das schrieb der Dirigent und Gründer des East-West Chamber Orchestra, Rostislav Krimer, über den Tod der großen Sofia Gubaidulina in seinem persönlichen Nachruf auf BackstageClassical.

Wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Auch, wenn es eine Binse ist, stimmt es doch, dass jedem Ende ein Anfang innewohnt. Drei Jahre lang habe ich gemeinsam mit Dorothea Gregor den Podcast »Alles klar, Klassik?« gemacht. Drei Jahre mit unglaublich vielen Themen, Deepdives und Geplauder über die Eitelkeiten unserer Branche. Gemeinsam haben wir nun entschieden (Achtung, nächste Binse!), man sollte aufhören, wenn es am Schönsten ist! Nun ist also die letzte Folge von »Alles klar, Klassik?« erschienen. Ich danke Doro und der Liz Mohn Stiftung für die Treue, die Unterstützung und den langen Weg. Es wird sicherlich ein Wiederhören geben – irgendwann und irgendwo. Doro können Sie weiter bei allen Aktivitäten der Liz Mohn Stiftung folgen, mir natürlich bei BackstageClasscial (wo Sie natürlich auch unseren Podcast folgen können, bei apple, Spotify oder für alle anderen Player). Schön, schön, schön war die Zeit …
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann