Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
diese Woche mit Rauswürfen in Kassel, Neuanfängen in Erl, Wutausbrüchen in Korea und Kampfansagen in Hamburg.
Erl holt Currentzis – und Kaufmann hat nix damit zu tun
Der umstrittene Dirigent Teodor Currentzis wird sein neues UTOPIA-Programm in Erl vorbereiten und ein exklusives Konzert für »ausgewählte Personen« geben. Das Absurde: Intendant Jonas Kaufmann hat damit nix zu tun. Die Einladung für das »nicht öffentliche Konzert« wurde von Erl-Finanzier Hans Peter Haselsteiner und dem Künstlerischen Betriebsdirektor Andreas Leisner verschickt. Leisner war nach dem Abgang des viel kritisierten Dirigenten Gustav Kuhn 2018 schon einmal interimistisch künstlerischer Leiter in Erl und hatte Kuhn damals in dieser Position vehement verteidigt. Auf Nachfrage von BackstageClassical erklären die Festspiele, dass Kaufmann mit der Einladung nichts zu tun habe. »Das Konzert ist nicht Teil des von ihm verantworteten Programms«, heißt es, »die Vermietung erfolgt gemäß der Verpflichtung der Haselsteiner Familien Privatstiftung.« Unter dem »ausgewählten Publikum« befinden sich auch viele Intendanten. Ist all das also eine ausgeklügelter Schachzug zur Rehabilitation von Currentzis? Ein exklusives Publikum im exklusiven Erl soll kommen, hören – und am Ende Currentzis buchen?
Neue Fronten in Kassel
Was ist denn nun schon wieder los in Kassel? Erst protestiert das Orchester gegen den Intendanten Florian Lutz, dann wird mit Ainārs Rubiķis ein GMD gegen den Willen des Orchesters engagiert – und nun wird Kassels Verwaltungsdirektor Dieter Ripberger am letzten Tag seiner Probezeit gefeuert. Er will juristisch dagegen vorgehen und bekommt dabei Rückendeckung von Intendant Florian Lutz. Die Entlassung würde »eine sinnlose Beschädigung unserer Arbeit am Staatstheater Kassel« bedeuten, sagt Lutz. Geraten hier plötzlich die alten Fronten durcheinander? Eigentlich hat der Hessische Minister für Kultur, Timon Gremmels Intendant Lutz – auch gegen Orchester und Öffentlichkeit – loyal unterstützt. Nun scheint sich ein neuer Graben zwischen Politik und Intendanz aufzutun. Die ganze, rätselhafte Story, wie sie bislang bekannt ist, hier.
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Gheorghius Bühnensturm
Bei einer Tosca-Aufführung in Seoul ist es zu einem Eklat gekommen. Die Sopranistin Angela Gheorghiu ist auf die Bühne gestürmt und hat die Zugabe des Tenors wütend unterbrochen. Nun hat ihr Management eine Erklärung veröffentlicht: Man habe sich im Vorfeld darauf geeinigt, keine Zugaben nach den Arien zu geben, heißt es, da Gheorghiu diese Praxis ablehne – sie würde den Fluss einer Aufführung unterbrechen. Nach ihrer großen Arie Vissi d‘arte habe es deshalb keine Zugabe gegeben, als der Tenor – gegen die Absprachen – dennoch eine Zugabe gegeben habe, sei sie emotional aufgewühlt gewesen. Gheorghiu entschuldigte sich bei den Beteiligten und beim Publikum. Schon 2016 gab es einen Eklat mit Jonas Kaufmann, als der eine Zugabe gesungen hatte. Hier ein Video, in dem Gheorghiu nach der Vorstellung ausgebuht wird und die Bühne verlässt.
Lesenswert auf BackstageClassical
- Baustelle Theater: Wie viel Bühne können wir uns noch leisten?
- Vorabdruck: Christine Eichels großartiges Buch über Clara Schumann.
- Podcast: Lisa Batiashvilli und Alondra de la Parra über Musik und Demokratie
- »Keine Angst vor Putin« – großes Interview mit Jewgeni Kissin
Gardiners Krampf-Kampf
Dass John Eliot Gardiner nach seinem Ohrfeigen-Skandal auf die Bühne zurückkehren will, ist selbstverständlich. Die Art und Weise, wie er das tut, lässt allerdings aufhorchen: Sein neues Ensemble, The Constellation Choir & Orchestra, will ausgerechnet dort auftreten, wo sein altes Ensemble, der Monteverdi Choir, schon gebucht war. Hamburgs Elbphilharmonie zeigt beide Ensembles (und bietet absurderweise einen kostenlosen Kartentausch von Monteverdi zu Gardiner). Wien, Luxemburg und Dortmund stehen treu zu Gardiner und verzichten auf sein altes Orchester; Mailand, Frankfurt und London bleiben beim Monteverdi Choir und dessen Leiter Christophe Rousset. Der zeigt sich gegenüber BackstageClassical handzahm: Er wagt keinen Protest gegen Gardiner, sondern hält nach der einen Watschn nun auch die andere Wange hin. Warum und wie die Intendanten Gardiener beim Comeback helfen und was Rousset sagt, lesen Sie hier.
Malkovich spielt Celibidache
Abgedreht: Es wird einen neuen Biopic geben. Die gelbe Krawatte dreht sich um den rumänischen Dirigenten Sergiu Celibidache. Die Hauptrolle spielt Hollywood-Star John Malkovich. Celibidaches Sohn Serge Celebidache hat gemeinsam mit James Olivier das Drehbuch geschrieben und führt auch Regie. Der Film erzählt angeblich sieben Jahrzehnte von Celibidaches Leben. Ben Schnetzer (3 Body Problem) spielt den Dirigenten in seiner Jugend – es wird erzählt, wie er aus zerrütteten Umständen zum Dirigenten der Berliner Philharmoniker aufsteigt. Erste Bilder gibt es hier.
Angespannter SWR
Nachdem BackstageClassical letzte Woche aus dem rumorenden Bauch des SWR Symphonieorchesters berichtet hatte, scheint Programmdirektorin Anke Mai nervös zu werden. Sie reagierte auf die Kritik an ihrer Entscheidung für Roth und daran, dass sie das Orchester in ihrer Kommunikation nicht mitnehme, auf bekannte Art: Mitarbeiter wurden aufgefordert, sich an die Gesetzeslage und an die arbeitsvertraglichen Vorgaben zu halten. Selbstkritik: Fehlanzeige! Und auch Sabrina Haane, die in einer Krisen-Schalte ihre eigene Kommunikation in Sachen François-Xavier Roth lobte, sollte vielleicht noch Mal auf der eigenen Facebook-Seite nachlesen, was ihr Publikum über ihre Arbeit denkt.
Rachlin über die Kriegsmüdigkeit in Israel
Im aktuellen Podcast von BackstageClassical spricht der Geiger und Intendant des Herbstgold-Festivals in Eisenstadt, Julian Rachlin, über die Situation in Israel. Der Chefdirigent des Jerusalem Symphony Orchestra sagt: »Ich war im Oktober, zur Zeit des Attentats, in Tel Aviv – und ich habe seit dem über 50 Tage dort verbracht. Es gibt viele junge Menschen, denen man nun begegnet, die verletzt sind. Viele von ihnen schwerst verwundet. Und die sagen natürlich: ‚Wir möchten, dass das aufhört. Und zwar gestern!’ Aber man hat in Israel auch noch 100 andere Meinungen. Das alles ist so kompliziert, dass niemand wirklich qualifiziert ist, hier ein Urteil über die fast unlösbare Situation zu fällen.« Außerdem sagt er: »Israel ist ja wieder mehr oder wenige isoliert – bei der Einreise in der Reihe ‚ausländische Pässe’ bin ich oft der Einzige. (…) Ich spüre gerade in dieser Situation die Dankbarkeit und die Sehnsucht der Menschen, ein Konzert lang Mal dieser verrückten Welt entkommen zu können. Musik rettet vielleicht keine Menschenleben, aber sie tröstet die Seelen.«
Claudia Roth wehrt sich gegen Vorwürfe
Claudia Roth steht in der Kritik: Ihr Kulturetat steigt 2025 nur geringfügig auf 2,2 Milliarden Euro – Leidtragender ihrer Politik ist besonders die Freie Szene. Die Ministerin selbst verteidigt ihre Arbeit: »Nicht alles, was wir für richtig und notwendig gehalten haben, konnten wir möglich machen«, sagte Roth im Parlament. Das betreffe auch die Freie Szene. Damit reagierte sie auf eine Petition mit inzwischen über 36.000 Unterschriften, die die Rücknahme der Kürzungen im Bereich der freien Künste fordert. Besonders heftig fiel die Kritik an der Kürzung bei den Bundeskulturfonds aus, zu denen unter anderem der Kunstfonds, der Übersetzerfonds und der Musikfonds gehören. Sie sollen künftig mit nur 18 Millionen Euro auskommen statt – wie in diesem Jahr – mit 34,3 Millionen Euro. Roth hielt den Vorwürfen entgegen, die Förderung der Bundeskulturfonds liege trotzdem »immer noch deutlich über den Ansätzen von 2023«.
Personalien der Woche
Die Erste Konzertmeisterin der Berliner Philharmoniker, Vineta Sareika-Völkner, verlässt das Orchester zum Ende ihres Vertrages im Februar 2025. Sie gehe »Nach drei bereichernden und spannenden Jahren«, schreibt sie. »Eines der vielen wertvollen Erkenntnisse der vergangenen Jahre ist jedoch, dass es nicht der Weg ist, Teil dieses Orchesters zu sein, den ich in Zukunft weiterführen möchte.« +++ Die reguläre Bespielung des Theater an der Wien verzögert sich – mindestens bis Januar. Die Technik am renovierten Haus muss noch fertig justiert werden, die ersten Aufführungen fallen deshalb aus oder finden konzertant statt. Auch, wenn die Verzögerung nach deutschen Verhältnissen lächerlich gering ist, ist man am Haus von Intendant Stefan Herheim not amused: Alles wurde auf die Neueröffnung ausgerichtet, für seine Idomeneo-Inszenierung hat Herheim angeblich schon Flüge über dem Gazastreifen gedreht – all das ist nun auf Grund der wackeligen Planung der Vereinigten Bühnen für die Tonne. Aber wie heißt es in der Oper: »So lässt die Zeit der Flora den bejahrten Baum erblühen und gibt ihm neue Kraft.« +++ Christian Thielemann muss wegen einer Operation mehrere Engagements absagen, unter anderen eine Produktion des kompletten Rings an der Scala in Mailand. +++ »Nobelpreis der Kunst« für Maria João Pires: Die portugiesische Pianistin wird mit dem Praemium Imperiale 2024 in der Kategorie Musik geehrt. +++ Der Klavierbauer Grotrian-Steinweg hat Insolvenz angemeldet, offenbar gab es Probleme mit dem China-Geschäft. +++ Heidelbergs Intendant Holger Schultze wird seine Leitungstätigkeit des Theaters und Orchesters Heidelberg am Schluss der Spielzeit 2025/2026 beenden und in den Ruhestand gehen.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Die Sommerpause ist vorbei! Endlich wieder Oper und Konzert. Und auch der Podcast der Liz Mohn Stiftung Alles klar, Klassik? geht weiter. In der ersten Folge nach der Sommerpause unterhalte ich mich mit Doro über das Verhältnis von Orchestern und ihren Intendanten, wir fragen nach der politischen Verantwortung in Kassel und sind begeistert von Angelina Jolie und ihrer Maria Callas!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann