Die Revanche des Dirigenten und die Rolle seiner Intendanten 

September 11, 2024
3 mins read
Christophe Rousset, John Eliot Gardiner, Christoph Lieben-Seutter, Matthias Naske und Stephan Gehmacher

John Eliot Gardiner greift sein altes Ensemble frontal an. Dabei helfen ihm die Intendanten in Wien, Hamburg, Dortmund und Luxemburg. Aber was sagt der Dirigent des Monteverdi Choir dazu? BackstageClassical hat nachgefragt.

Es gibt viele offene Fragen rund um die Gründung von John Eliot Gardiners neuem Ensemble, dem Constellation Orchestra und Choir. Vieles erinnert an einen kompromisslosen Rachefeldzug des Dirigenten gegen sein altes Ensemble, den Monteverdi Choir und Orchestra (MCO), beziehungsweise die English Baroque Soloists, die er nach seinem Ohrfeigen-Skandal verlassen hatte. Offensichtlich ist sein neues Ensemble nun auf Konkurrenz gebürstet und will ausgerechnet zur gleichen Zeit auch dort auftreten, wo eigentlich sein altes Orchester geplant war (statt mit Gardiner allerdings mit dem Dirigenten Christophe Rousset). Ein besonderer Showdown zeichnet sich in der Hamburger Elbphilharmonie ab: Hier sollen beide Orchester nacheinander mit gleichem Programm auftreten, und  Intendant Christoph Lieben-Seutter fällt dem Monteverdi Choir  und Rousset in den Rücken, indem er anbietet, dass bereits gekaufte Karten kostenlos gegen Karten mit Gardiners neuem Ensemble eingetauscht werden können. 

Die Antwort von Rousset Management

Gestern wunderte sich der BR noch, dass sowohl die English Baroque Soloists als auch das Constellation Orchestra zeitgleiche Konzerte am Wiener Konzerthaus, in der Philharmonie in Luxemburg und im Konzerthaus Dortmund auf ihren Homepages aufgelistet hatten. BackstageClassical hat nun beim Monteverdi Choir und dem Dirigenten Christophe Rousset nachgefragt. In einer Antwort seines Managements heißt es, dass die geplanten Konzerte an der Mailänder Scala, in der Alten Oper Frankfurt, in der Elbphilharmonie Hamburg und in London wie geplant stattfinden würden – von den Auftritten in Wien, Luxemburg und Dortmund ist nun allerdings nicht mehr die Rede. 

Mit anderen Worten: Statt Rousset und seinem Ensemble spielt hier nun wohl Gardiners neues Ensemble. Das wirft Fragen auf. Denn wer die Vergabepraxis von Konzertterminen in der Elbphilharmonie kennt, weiß, wie schwer es für Ensembles ist, hier einen Termin zu bekommen. Wie also kam es zu der äußerst spontanen Möglichkeit, dass das Constellation Orchestra kurzfristig auftreten kann – und dann noch an einem Samstag Abend? Welcher Zusammenhang besteht, dass ausgerechnet auch Wien, Dortmund und Luxemburg ebenfalls schnell Termine für Gardiner gefunden haben? 

Tatsächlich haben die Intendanten der Häuser  zum Teil enge Verbindungen und bilden ein unübersehbares Netzwerk: Christoph Lieben-Seutter war lange Konzerthaus-Intendant in Wien, ihm folgte mit Matthias Naske eine Art »Ziehsohn«. Und bevor Naske nach Wien kam, war er Intendant der Philharmonie in Luxemburg, wo Stephan Gehmacher dann seinen Job übernahm. 

Markt statt Moral?

Was all diese Intendanten verbindet, ist ihr unbedingter Wille, Klassik mit allen Mitteln zu verkaufen. Sie denken die Musik in erster Linie als Markt, die Moral steht dabei nicht immer an erster Stelle. Das war bereits in der Nähe des Intendanten-Netzwerkes zum Dirigenten Teodor Currentzis zu erkennen (Naske war sogar zeichnungsberechtigt für die MusicAeterna-Stiftung in Liechtenstein und hat nach eigenen Angaben Gastspiele in Europa abgewickelt). Currentzis schien für ihn eine Gegenfigur zum etablierten Klassik-Markt zu symbolisieren und half dem Wiener Konzerthaus, sich gegen den konkurrierenden Musikverein zu positionieren. 

Von John Eliot Gardiner scheinen sich die Intendanten nun Ähnliches zu erhoffen: Ein Provokateur mit dem Nimbus des Genies, der immer Mal wieder das Image bedient, für die Kunst auch Grenzen der zwischenmenschlichen Konventionen zu überschreiten. Und: Einer, der Tickets verkauft!

Es ist auf jeden Fall bezeichnend, dass die Intendanten aus Hamburg, Wien, Dortmund und Luxemburg nun allesamt bereit waren, gemeinsame Sache mit John Eliot Gardiner zu machen und dessen altes Ensemble, den Monteverdi Choir and Orchestra und den Dirigenten Christophe Rousset zu düpieren. 

Wer wusste wann was?

Es stellt sich auch die Frage, wie lange Hamburg, Dortmund und Wien von Gardiners Idee wussten. Während die Öffentlichkeit und andere Intendanten erst am 10. September von der Agentur Intermusica und dem deutschsprachigen Management von Gardiners neuem Ensemble rund um die österreichische Agentin Nora Pötter über das neue Constellation Orchestra informiert wurden, geht aus dem Handelsregister von Sturminster Newton in England hervor, dass die Springhead Constellation Ltd, unter deren Dach Gardiners Orchester und Chor zu Hause sind, bereits am 21. August gegründet wurde.  

Um so interessanter wäre es, noch einmal genau zu thematisieren, mit welchem Selbstverständnis die Intendanten aus Hamburg, Wien, Dortmund und Luxemburg Künstlerinnen und Künstlern gegenübertreten, wenn deren Interessen mit jenen ihrer musikalischen Helden konkurrieren. Naske, Lieben-Seutter, Gehmacher und Dortmunds Intendant Raphael Graf von und zu Hoensbroech scheinen in diesen Fällen nicht wirklich zimperlich zu sein.

Und was macht der düpierte Dirigent Christophe Rousset? Nachdem ihm der lange Arm der Gardiner-Intendanten eine ordentliche Watschen verpasst hat, scheint er nun bereit, auch die andere Wange hinzuhalten. Sein Management will gegenüber BackstageClassical von einer Demütigung nichts wissen. Stattdessen zitiert sie noch einmal Roussets altes Statement, nachdem es für ihn »eine Ehre« sei, das Weihnachtsprogramm mit dem MCO zu leiten. »Seit jungen Jahren war ich Fan dieses Ensembles und seines Gründers«, erklärt der Dirigent und vermeidet damit bewusst jede weitere Konfrontation mit John Eliot Gardiner. 

Konzerte des Monteverdi Choir:

2.12. Mailand
8.12. Frankfurt
14.12. Hamburg
17.12. London

Konzerte von Constellation Choir:
7.12. Hamburg
9.12. Wien
11.12. Luxemburg
12.12. Dortmund
15.12. Versailles

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Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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