Skandale sind auch nicht mehr, was sie Mal waren

Mai 26, 2025
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Holzingers neue Volksbühnen-Inszenierung (Foto: Wytyczak)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

Peter Konwitschny hat keine Lust, dem Tod zu begegnen, Skandale sind auch nicht mehr, was sie Mal waren und das »trumpatlantische Bündnis« ist ebenfalls am Ende! 

Zahnlosigkeit der Provokation 

Holzingers neue Volksbühnen-Inszenierung (Foto: Wytyczak)

Yes, she did it again! Florentina Holzinger hat dieses Mal an der Berliner Volksbühne auch ältere nackte Frauen vor einen gigantischen »Ursprung der Welt« gestellt und eine Revue aus Sex, Tätowierungen und Fäkalien aufgeführt. Die Aufregung in der Presse blieb dieses Mal überschaubar. Auch die professionelle Provokations-Maschine von Milo Raus Wiener Festwochen läuft irgendwie schleppend. Könnte es daran liegen, dass der eigentliche Skandal uns inzwischen jeden Morgen in den Nachrichten weckt? Dass wir die Kultur gerade für etwas anderes gebrauchen, als eine erhitzte Welt weiter in Flammen zu legen? Ich wurde gefragt, ob ich bei den diesjährigen Wiener Festwochen in einem »Prozess« zum Thema »Canceln« auftreten würde. In diesem Text erkläre ich Milo Rau, warum ich es derzeit für falsch halte, ausgerechnet jetzt in seinem Provokationstheater mitzumachen: »Die Trennung von Kunst und Journalismus ist aus meiner Sicht auch deshalb wichtig, damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Kunst die Probleme, die sie aufwirft, auch selber lösen kann.«

Nackt sein ist auch keine Lösung

Skandalös fanden einige auch das Interview, das wir letzte Woche bei BackstageClassical gebracht haben. Shasta Ellenbogen vom Naked String Quartet erzählte, warum sie jeden Samstag nackt im Berliner KitKat-Club Klassik spielt. Unsere Autorin Shoko Kuroe antwortet ihr in einem klugen Text und erklärt, warum es nicht unbedingt eine Befreiung sein muss, nackt zu spielen: »Welche Musikerin hat nicht schon einmal zu hören bekommen: ‚Sei nicht spießig, du bist Künstlerin und keine Finanzbeamtin‘ oder ‚Sei nicht prüde, wir sind in der Kunst und nicht in der Kirche‘. Die Botschaft solcher Sprüche ist: ‚Du bist nur dann richtig, wenn du dich gern ausziehst. Du bist nur dann eine echte Künstlerin, wenn du offen für Sex bist. Gewalt geht natürlich nicht, aber du willst es doch auch selbst.‘« Zum ganzen Text hier entlang.

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Skandal ist auch eine Frage des Benehmens

Puh – und dann waren da diese Woche noch zwei weitere Skandale. Die niederländische Plattform Pointer wirft dem Dirigenten Jaap van Zweden unangemessenes Verhalten vor: Es wird von einem »Klima der Angst« berichtet, von Demütigungen und Beschimpfungen. Van Zweden reagierte schriftlich: »Es berührt mich, denn ein Dirigent muss sein Orchester immer gut spüren«, ließ er wissen. Er sei erschüttert über das Bild, das von ihm gezeichnet werde und räumte ein, als »anspruchsvoll« zu gelten und manchmal in einem intensiven Ton zu sprechen. Gleichzeitig betonte er aber, dass dies niemals ein Grund für eine angstbesetzte Arbeitsatmosphäre sein dürfe. Er wolle stets das Beste für das Orchester und die Musik erreichen. Derweil arbeitet sich der Spiegel (der in den letzten Jahren so ziemlich jeden großen Kultur-Skandal verpennt hat) an Hamburgs Ballett-Intendant Demis Volpi ab. Mitarbeitende werfen ihm Inkompetenz und die Schaffung eines toxischen Arbeitsklimas vor. Die Vorwürfe reichen von unprofessionellem Verhalten bis hin zu Machtmissbrauch. 

Das »trumpatlantische« Bündnis

Die Geigerin Anne-Sophie Mutter erklärte im BR, sie werde weiter in den USA auftreten: Sie berichtet von einer »fast verzweifelt leidenschaftlichen« Aufnahme klassischer Musik durch das amerikanische Publikum und hebt hervor, dass gerade Universitäten den Austausch mit Europa und Deutschland ausdrücklich begrüßen. Derweil werden die Fronten in den USA klarer: Der Veranstalter Washington Performing Arts, der Künstler bislang im Kennedy Center präsentierte, wird kommende Saison aus Protest gegen Donald Trumps Einfluss ins Music Center at Strathmore und ins Lisner Auditorium ausweichen. Betroffene Künstler sind unter anderem Yo-Yo Ma, Midori, das Chicago Symphony Orchestra, das Pacific Quartet und Sigourney Weaver, die ein Konzert zu Ehren von Ruth Bader Ginsburg spielen sollen. 

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Burnout wird von vielen Künstlern unterschätzt 

Im aktuellen BackstageClassical-Podcast spricht die Sängerin Olga Peretyatko über die schwierige Balance zwischen Leben und Kunst. Trotz großer Erfolge erlebte Peretyatko auch Krisen, darunter Burnout und Selbstzweifel. Das ständige Reisen als Teil des Berufs kann anstrengend sein. Irgendwann kommt Burnout, es sei »normal«. Um sich zu schützen, setzt sie auf Schlaf, Sport, Spaziergänge, Natur, Lesen und Stille. Peretyatko liest keine Meinungen über sich mehr, da dies früher zu Stress geführt hat und ist überzeugt, dass Burnout oft psychologisch bedingt ist und mit dem Verlust von Sicherheit zusammenhängt. Daher studiert sie nun Psychologie und hat die Idee, ein Zentrum für Musiker zu gründen, um ihnen in Sachen Burnout zu helfen. 

Kritiken bei BackstageClassical

Personalien der Woche

Ach, Bogdan Roščić! Erst konnte Wiens Staatsoper-Intendant gar nicht genug klar machen, dass Eurovisions-Gewinner JJ (Johannes Pietsch) an seinem Haus singt. Nun, nachdem JJ mehr als problematische Aussagen über Israel und Russland getätigt hat, schwimmt Roščić in großem Bogen zurück. Der Direktor betont in einem offenen Brief, Pietsch sei lediglich Mitglied der Opernschule der Staatsoper gewesen und zuletzt im März dort aufgetreten. »Er widmet sich derzeit ganz einer Pop-Karriere. Die dabei gemachten Äußerungen haben auch deswegen keine Verbindung zur Staatsoper«, hieß es in der Stellungnahme. Pietsch hatte im Interview den Ausschluss Israels beim kommenden Eurovision Song Contest in Österreich gefordert und Russland sowie Israel als »Aggressoren« und Kriegstreiber bezeichnet. +++ Unsere Berichterstattung über das Auswahlverfahren an der Oper Leipzig von Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke hat für allerhand Aufmerksamkeit gesorgt. Diese Woche war ich zu Gast beim mdr, um auch darüber nachzudenken, ob Oper und Gewandhaus nicht eine grundlegend neue Struktur vertragen könnten. +++ Sarah Wedl-Wilson ist endlich als Kultursenatorin in Berlin vereidigt worden. Ihren alten Job als Staatssekretärin übernimmt die CDU-Politikerin Cerstin Richer-Kotowski. Wedl-Wilson zeigte schon in der Übergangszeit, dass sie immerhin mit den Künstlerinnen und Künstlern spricht. Auch sie hat nicht mehr Geld, aber vielleicht mehr Geschick, das wenige Geld strukturierter zu verteilen. In diesem Podcast spricht die neue Senatorin über ihre Herkunft, über ihr Leben mit der Musik und über ihre ästhetischen Ideale. +++ Ach und dann war da noch diese Meldung aus den Salzburger Nachrichten – und sie ist keine Satire: »Das Direktorium der Salzburger Festspiele – Kristina Hammer, Markus Hinterhäuser und Lukas Crepaz – würdigten Landeshauptmann Wilfried Haslauer für sein prägendes Engagement. Intendant Hinterhäuser überreichte ihm die Festspielnadel mit Rubinen.« So geht Österreich! 

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Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann? 

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier. Ich war am Wochenende in Dortmund – die Oper hatte mich eingeladen. Ich habe ein Podium mit Tobias Kratzer moderiert und mich mit ihm danach auch über seinen Blick auf die Bedeutung der Kunst in unserer verrückten Gegenwart unterhalten (dieses Gespräch, auf das ich Sie gerne neugierig mache, erscheint noch diese Woche als ausführlicher Podcast bei BackstageClassical. Hier abonnieren für apple oder Spotify). An den Abenden gab es Peter Konwitschnys Ring. Und bei Konwitschny kommen bei mir immer ganz große Gefühle an meine Klassik-Sozialisation hoch: Ich werde nie vergessen, wie ich seine Götterdämmerung Anfang der 2000er Jahre in Stuttgart abgefeiert habe. Und da stand er nun: Cordhose, Hosenträger, der Zopf sauber nach hinten gebunden – so wie immer. 80 Jahre alt ist er im Januar geworden. Ich habe mich so viel an diesem Mann und an seinen Inszenierungen abgearbeitet. Er war mein unangefochtener Held, ich habe ihn angezweifelt, weil er sich – so fand ich das – irgendwann nicht weiter mit der Welt gedreht hat. Heute ist mir bewusst: Peter Konwitschny ist ein wesentlicher Teil meines Lebens in der Oper. Gerade weil ich mich immer wieder neu zu ihm verhalten musste. 

Konwitschny ist kein Mann der großen Worte. Was er zu sagen hat, stellt er auf die Bühne. Ich konnte trotzdem nicht widerstehen, ihn um ein kurzes Gespräch zu bitten. In 10 Minuten an der Theater-Theke haben wir im Schnelldurchlauf über den Wandel der Systeme von der DDR bis in die Trump-Wirklichkeit geredet und darüber, dass Konwitschny noch keine Lust auf den Tod hat: »Ich muss ganz ehrlich sagen: Diese Vorstellung gefällt mir nicht.« Wenn Sie Lust haben, können Sie hier reinhören.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.

Ihr

Axel Brüggemann   

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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