Als ich den Festwochen abgesagt habe

Mai 23, 2025
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Das Plakat der Wiener Festwochen sorgte für Aufsehen (Foto: WIener Festwochen)

Milo Rau versucht mit den Wiener Festwochen zu provozieren. Aber ist das noch zeitgemäß in einer Welt, in der die Provokation alltäglich ist?

English summary: Milo Rau aims to provoke with the Wiener Festwochen, but in today’s world—where provocation is omnipresent—his efforts feel outdated. A minor scandal involving a vandalized poster was amplified, yet the festival remains largely unnoticed. Unlike Christoph Schlingensief, who truly disrupted reality through his art, Rau’s work lacks transformative power. Mere imitation of the real world renders art toothless.

Es ist irgendwie ruhig geworden um Milo Raus Wiener Festwochen. Wäre da nicht der Vorfall gewesen mit einem Russen, der eines der Festwochen-Plakate (es zeigte zwei nackte Männer) abgerissen und verbrannt haben soll. So einen Vorfall hätten Rau und sein Team auch selbst inszenieren können. In diesem Fall haben sie ihn ausgeschlachtet und eine (sehr kleine) Mahnwache am neu aufgehängten Plakat abgehalten. Der Vorfall ging durch die Presse. Aber sonst kriegt man in Wien nicht so richtig mit, dass überhaupt Festwochen sind.

Letztes Jahr sorgte hier Florentina Holzinger mit ihrer Sancta-Aufführung für Tumult. Sie hat gerade ihr neues Stück A Year Without Summer an der Volksbühne in Berlin präsentiert: Dieses Mal ein Tanz um den »Ursprung der Welt« mit allerhand nackten Greisinnen, Tätowierung und Fäkalien. Aber auch hier blieb der Skandal dieses Mal (jedenfalls in der Presse) weitgehend aus (lesen Sie hier die Kritik zu Sancta).

Holzingers neue Volksbühnen-Inszenierung (Foto: Wytyczak)

Das Provokationsgeschäft in der Kunst ist offensichtlich schwerer geworden. Wir leben in einer Welt, in der ein US-Präsident die Provokation längst als Alltäglichkeit für seine erratische Politik gekapert hat. Der Skandal ist zur Realpolitik geschrumpft und weckt uns täglich mit den neuen Nachrichten.

Es zeigt sich in diesen Tagen, dass Milo Rau eben keine Fortsetzung von Christoph Schlingensief ist. Der schaffte es tatsächlich, mit seiner Kunst unsere Wirklichkeit zu verändern. Auch, weil er das sichere Feld der Kunst für unsere Wirklichkeit verlassen hat, etwa als er die Partei Chance 2000 gründete oder mit den Wiener Asyl-Containern die Leute wirklich aufrüttelte. Schlingensief setzte nie auf die pawlofschen Provokations-Reflexe wie Sex, Fäkalien und andere Lächerlichkeiten, sondern veränderte mit seiner Kunst das Fleisch unserer Realität. Auf diese Art sind seine legitimen Erben wohl weniger die Festwochen als das Zentrum für politische Schönheit. Schlingensief tat wirklich weh, nervte unsere Weltsicht und  vertraute gleichzeitig auf die lyrische und leise Kraft der Bühne (Parsifal in Bayreuth), wenn die Welt draußen Mal wieder lauter wurde als er selber.

Im Schatten der Provokation

Dieses Jahr scheinen seine Festwochen vollkommen im Schatten einer auf Provokationen getrimmten Welt zu stehen. Das mag auch daran liegen, dass er ausgerechnet das, was die Welt schon längst verhandelt hat, noch einmal auf der Bühne verhandeln will: In einer weitgehend risikolosen Imitation der Welt. 

Milo Rau hat mich vor einigen Monaten eingeladen, bei seinen Festwochen an einem Kongress zum Thema »Canceling« aufzutreten – unter anderem sollte hier auch »Der Fall Currentzis« debattiert werden. Ich habe damals aus mehreren Gründen abgesagt. Der profanste Grund war, dass die Causa Currentzis für mich zu Ende erzählt ist. Ich schrieb Milo Rau: »Ich habe das Gefühl, dass das öffentliche Interesse an Teodor Currentzis und seinen Ensembles mittlerweile erheblich nachgelassen hat. Currentzis hat lange genug durch sein Schweigen und seine Indifferenz einen Keil in unsere demokratische Gesellschaft getrieben. Und so würde ich ihm durch eine weitere Debatte ungern eine größere Rolle zugestehen als jene, die er derzeit hat.« 

Podcast mit Milo Rau aus dem letzten Jahr

Viel wichtiger aber war mir zu erklären, dass es in Wahrheit gar keine Cancel Culture gibt: »Die Überschrift des Kongresses mit dem Titel Cancel Culture ist problematisch, da sie suggeriert, dass Personen oder Werke einfach von unseren Spielplänen verschwinden (womöglich noch von Staats wegen). Aber das ist weder in Österreich noch in Deutschland der Fall! Es war nie der Staat, sondern höchstens Veranstalter wie Du selber, die nach öffentlicher Debatte und im Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern die transparente Entscheidung getroffen haben«, schrieb ich in meiner Antwort, »die Entscheidung, Veranstaltungen stattfinden zu lassen oder eben nicht. Dieser Prozess hat mit ‚Canceln‘ nichts zu tun. Künstler wie Teodor Currentzis haben im Westen keine Auftrittsverbote, und  damit ist der Titel der Veranstaltung so irreführend wie populistisch. Cancel Culture ist ein Kampfbegriff der Rechten und eignet sich nicht zur Zusammenführung unterschiedlicher Positionen: er suggeriert einen Ist-Zustand, der nicht existiert.«

Am Wichtigsten aber war mir, klar zu machen, dass mein Beruf als Journalist nicht zur Inszenierung taugt. Also erklärte ich: »Ich habe meine investigative, journalistische Arbeit nie als Show begriffen, nie als Kunstwerk, sondern als gewissenhafte journalistische Recherche. Inzwischen haben verschiedene Gerichte (keine Theater-Tribunale) über die Legitimität meiner Artikel entschieden, und ein Teil des Kulturbetriebes und des Publikums haben auf die von mir berichteten Erkenntnisse reagiert. All diese Prozesse waren niemals Teil eines Kunstwerkes, sondern entsprechen der Aufgabe eines verantwortungsvollen Journalismus, der gesellschaftliche Missstände aufdeckt, Fakten benennt und sie zur öffentlichen Debatte stellt.« 

Die Wirklichkeit in der Wirklichkeit verändern

Tatsächlich ist es aus meiner Sicht die Rolle der Kunst und ihrer Institutionen, ihre grenzenlose kreative Freiheit zu nutzen, um relevante Themen jenseits realer gesellschaftlicher Grenzen zu denken, zu entwickeln und zu erzählen. Eben innerhalb der Kunst. Wenn die Kunst nur Wirklichkeit »spielt«, bleibt sie feige und zahnlos. Denn auch die Ergebnisse all dieser Prozesse bleiben am Ende nur: Kunst! 

Die Trennung von Kunst und Journalismus ist aus meiner Sicht auch deshalb wichtig, damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Kunst die Probleme, die sie aufwirft, auch selber lösen kann. Diesem Irrtum war schon Wagner erlegen, der sich selber als besseren Politiker und seine Ideale als grundsätzliches gesellschaftliches Allheilmittel verstanden hat. Die Illusion des Künstlers und seiner Kunst als besseren Ort der Politik halte ich für mehr als gefährlich. Dafür haben wir in einem freien, demokratischen Gemeinwesen andere Orte und Institutionen. 

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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