Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute stellen wir die Gretchenfrage: Was ist Kultur uns Wert? Wir reisen zu einer Demo nach Freiburg, streifen Festival-Kürzungen und Festival-Verlängerungen in Bayreuth und geben Ihnen noch einmal klasse, kuriose und kluge Klassik-Geschenktipps.
Freiburger Weihbischof unter Druck
Nach der Entlassung des Freiburger Domkapellmeisters Boris Böhmann formiert sich immer größerer Protest gegen Weihbischof Peter Birkhofer. Nachdem BackstageClassical vor zweier Wochen berichtet hatte, schrieb uns der ehemalige Stimmbildner der Domsingschule, Ulrich Rausch, dass Domkapellmeister Böhmann bereits verschiedene Abmahnungen vom Weihbischof erhalten hätte, die anschließend allerdings zurückgenommen werden mussten. Außerdem sei das Büro der Dommusik monatelang verwaist gewesen. Im Kompetenz-Streit schlug sich der Weihbischof schließlich offensichtlich auf die Seite der Domkantorin Martina van Lengerich. Von uns mit den Vorwürfen konfrontiert, bliebt die Erzdiozöse Freiburg zurückhaltend. Und antwortete, »aus Gründen des Datenschutzes darf der Dienstgeber öffentlich keine weiteren Angaben zu den Gründen machen.«. Prominente Sänger wie Georg Zeppenfeld, Wolfgang Newerla und Clemens Bieber protestieren ebenso gegen die Entlassung wie die Professoren Christian Elsner und Hanno Müller-Brachmann. Diesen Samstag kam es zu einer großen Protest-Aktion auf dem Münsterplatz in Freiburg. Inzwischen wurde auch eine Petition für den Verbleib von Domkapellmeister Böhmann aufgesetzt. Hier die ganzen Hintergründe.
Was ist uns Kultur Wert?
Im Vergleich zu anderen staatlichen Aufgaben, sieht ein Großteil der Menschen in Baden-Württemberg ein besonders großes Sparpotenzial in der Kultur und in ihren Bauprojekten: Rund zwei Drittel (63 Prozent) finden, das Land sollte bei Kultureinrichtungen wie Theatern und Museen sparen. Immerhin 37 Prozent meinen, der Staat sollte hier mehr Geld ausgeben. Hingegen sehen jeweils mehr als 90 Prozent höheren Investitionsbedarf bei der Ausstattung von Schulen und Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern. Erstaunlich die Zahlen zur Sanierung der Stuttgarter Oper, die auf rund 1,5 Milliarden Euro geschätzt wird. Hier befürworten 45 Prozent der Befragten die hohen Kosten und nur 34 Prozent lehnen sie ab. 21 Prozent sind unentschieden. In der Frage nach Dingen, die eine Stadt lebenswert machen, liegen Natur und Parks mit 77 Prozent auf Platz eins, nur 30 Prozent halten gute Kulturangebote für wichtig. Hier weitere Fakten zur Allensbach-Umfrage im Auftrag des BaWü-Checks.
Im Betriebsraum des Plattengeschäfts
In einem ausführlichen Gespräch mit BackstageClassical erklärt der Musikverleger Günter Hänssler, wie sich der Markt in den letzten Jahren verändert hat. »Die digitalen Einnahmen sind stabil«, sagt er, dennoch stellt er fest, dass nur ein kleiner Teil der Aufnahmen den Großteil der Einnahmen generiert. Besonders im Klassikbereich sei es schwer, profitabel zu bleiben. Werke, die wenig gestreamt werden, könnten schnell in den Hintergrund geraten. Gleichzeitig betont Hänssler, dass hochwertige Aufnahmen, die langfristig erfolgreich sind, weiterhin bestehen können. Die CD sei heute weniger ein Verkaufsprodukt als vielmehr ein Marketinginstrument. Während in den 80er- und 90er-Jahren CDs noch hohe Umsätze erzielten, dienen sie nun dazu, Künstler sichtbar zu machen. Hören Sie das ganze Gespräch hier. (Alle anderen BackstageClassical-Podcasts hier)
Wagner-Festspiele auf Jubiläums-Diät
Die Kultur-Einsparungen wandern nun auch in den Freistaat: Die Wagner-Festspiele können ihr geplantes Jubiläumsprogramm für 2026 nicht mehr stemmen. Sowohl Tristan und Isolde als auch Die Meistersinger von Nürnberg wurden deshalb gestrichen, ebenso wie der Lohengrin mit Dirigent Christian Thielemann und der Tannhäuser in der Regie von Tobias Kratzer. In einer Presseerklärung der Festspiele heißt es: »Die aktuellen Kostenentwicklungen stellen die Bayreuther Festspiele vor große Herausforderungen. Insbesondere die Tarifabschlüsse (…). Aufgrund des sehr hohen Personalkostenanteils am Gesamtetat wird es den Bayreuther Festspielen perspektivisch nicht gelingen, die hierfür benötigten zusätzlichen Finanzmittel aus eigener Kraft zu erwirtschaften.« Derzeit beträgt der Eigenfinanzierungsgrad 55 Prozent. Mehr hier.
Bayreuth Baroque geht trotz Protest der Grünen weiter
Trotz der Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Bayreuth Baroque, über die BackstageClassical berichtet hatte, stimmte die Stadt Bayreuth gerade einer weiteren Förderung des Festivals in Höhe von 340.000 Euro zu. 2025 wird Francesco Cavallis selten aufgeführter Oper Pompeo Magno (1666) gegeben. Der künstlerische Leiter, Max Emanuel Cenčić, übernimmt dabei die Titelrolle. Die Grünen stimmten gegen eine Verlängerung der Unterstützung. Gegenüber BackstageClassical erklärte Stadtrat Stefan Schlags: »Der Fall Bayreuth Baroque ist eine typische Situation der Kulturpolitik: für Verantwortliche ist es allemal bequemer, ein fertiges Festival teuer einzukaufen als eigene Akzente zu setzen, die die gesamte Stadtgesellschaft einbeziehen.« Mehr zum Streit um das Festival hier.
Rehabilitierte Dirigenten? Teil I
Der Dirigent John Eliot Gardiner (81) ist am Samstag nach einem Jahr auf das Konzertpodium zurückgekehrt: Er startete in der Elbphilharmonie Hamburg seine Tournee mit seinem neuen Constellation Ensembles. Zuvor hatte er sich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung reumütig gezeigt. »Ich war schockiert über mich selbst«, sagte Gardiner darüber, dass er einen Musiker nach einem Konzert geschlagen hatte. Gardiner erklärte, er habe eine kognitive Verhaltenstherapie absolviert und die Gründe für seinen Kontrollverlust analysiert. »Es war eine sehr schmerzhafte, aber lehrreiche Zeit«, so der Dirigent.
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Rehabilitierte Dirigenten? Teil II
Ebenfalls bestätigte sich diese Woche, was eigentlich schon länger erwartet wurde. Die Kollegen vom VAN-Magazin berichteten, dass die Staatsanwaltschaft Köln das Ermittlungsverfahren gegen den designierten Chefdirigenten des SWR, François-Xavier Roth, eingestellt hat. Nachdem bekannt wurde, dass Roth Musikerinnen und Musikern unerwünschte Textnachrichten und Bilder geschickt hatte, wurde der Vertrag zwischen der Stadt Köln und ihrem Generalmusikdirektor »in gegenseitigem Einvernehmen« gekündigt – nach Angaben der Kölner Stadt-Anzeiger soll Roth eine Abfindung von 200.000 Euro erhalten haben. Die damaligen Untersuchungen zu den Vorwürfen wurden vorzeitig und ohne Auswertung beendet. BackstageClassical liegt indes ein Abonnenten-Brief an den SWR vor, in dem Konzert-Kunden ankündigen: »Wir werden unser Konzert-Abo nicht kündigen, schließlich fühlen wir uns dem Orchester sehr verbunden. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass das Stuttgarter Publikum Herrn Roth solange ausbuhen wird, bis er freiwillig geht.« Es bleibt spannend.
Personalien der Woche
Die Mailänder Scala hat am Samstagabend ihre neue Saison mit Giuseppe Verdis Oper La Forza del destino eröffnet. Vor Beginn der Premiere, schütteten Demonstranten aus Protest gegen die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Gülle auf den roten Teppich. Ukrainische Staatsbürger protestierten gegen die Anwesenheit der Wahlösterreicherin und gebürtigen Russin Anna Netrebko im Ensemble. Die wiederum wurde nach der Aufführung für ihre Leistung bejubelt. +++ Beim Linzer Wirtschaftsforum verschwammen einst Kultur, Wirtschaft und Politik. Gegründet wurde es von Putin-Manager Hans-Joachim Frey. Nun scheint es an einer Ehrung des entlassenen Ex-Intendanten Dietmar Kerschbaum zu zerbrechen. Warum, lesen Sie hier. +++ Während der kürzlich fertiggestellte Neubau des Staatstheaters Würzburg architektonisch glänzt, herrscht hinter den Kulissen Unzufriedenheit. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, Intendant Markus Trabusch sehe sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Sein Führungsstil wird von Mitarbeitenden als »autoritär« und das Betriebsklima als »toxisch« beschrieben, wie offensichtlich eine interne Mitarbeiterbefragung bestätigte. Nur 26 Prozent der Befragten empfinden die Führungskultur als wertschätzend, lediglich 20 Prozent das Arbeitsklima als konstruktiv.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier – uns haben viele Mails erreicht, die sich über die Geschenktipps unserer Autorinnen und Autoren gefreut haben. Und nun geht es weiter: Heute empfehlen sie Bücher, Aufnahmen und vor allen Dingen Konzerttickets für 2025 zum Verschenken – für Klassik-Freaks und Klassik-Muffel. Hier entlang!
Ach ja, und einen neun Podcast gibt es auch. Bei Alles klar, Klassik?, dem Podcast der Liz Mohn Stiftung, debattiere ich dieses Mal mit Dorothea Gregor über Sinn und Unsinn der Kultureinsparungen in Berlin und andere wichtige Klassik-Themen der Woche. Der Podcast geht dann bis Januar in den Winterschlaf, aber BackstageClassical »sendet« weiter – und ich kann Ihnen heute schon einen ganz besonders aufregenden Newsletter für kommenden Montag versprechen!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann