Angeknackstes Image und allerhand Personal-Allerlei

Mai 12, 2025
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Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit der entscheidenden Frage: Was bedeutet es, wenn die Kultur aus unserer Gesellschaft verschwindet? Mit Vertrags-Forderungen der Generalmusikdirektoren für ein besseres Miteinander an unseren Theatern, mit Leipziger Personal-Allerlei, einem gebrochenen Arm und angeknackstem Image. 

Leben wir mitten im Kulturkampf? 

Ernennung des neuen Kulturstaatsministers: Wolfram Weimer und Friedrich Merz (Foto: BKM, Henschelmann)

Selten habe ich so viele Zuschriften bekommen, wie auf die einleitenden Worte des vorletzten Newsletters, als es um das Verschwinden der Kultur aus unserem Alltag ging. Viele Menschen scheinen den komplexen Umweg über Musik, Theater oder Literatur nicht mehr zu brauchen, um unsere Welt zu verstehen. Sie haben ja TikTok und Markus Lanz. Ich habe nun versucht, das alles noch einmal eine Etage tiefer zu denken: Kann man mit Jessy Wellmer von den Tagesthemen oder Dunja Hayali vom heute journal, mit Robin Alexander oder Micky Beisenherz noch über Kultur reden – oder sind sie alle in den Wogen des Alltags abgetaucht, um ihn mit immer kürzerem Atem jeden Tag neu zu ordnen? Und wird jemand wie Wolfram Weimer die Leerstelle der Kultur in unserer Gesellschaft nutzen, um die Kulturpolitik zum Kulturkampf zu verwandeln (Claudia Roth hat den Grundstein dazu gelegt)? Derzeit sieht es zum Glück noch nicht so aus… Lassen Sie uns darüber diskutieren! Hier mein Essay über den kulturlosen Kulturkampf in Deutschland.

Leipziger Personal-Allerlei

Was ist denn da los in Leipzig? Nachdem Opernintendant Tobias Wolff überraschend nicht verlängert wurde, ist nun das (eh merkwürdig intransparente) Besetzungsverfahren für seine Nachfolge gescheitert. Das neue Auswahlverfahren soll nun mit »externer fachlicher Unterstützung« geführt werden. Auch beim Gewandhaus müsste schnell Vollzug in Personaldingen gemeldet werden. Der Vertrag von Chefdirigent Andris Nelsons läuft 2027 aus. Es wird gemunkelt, dass es innerhalb der Politik Bedenken gegen eine Vertragsverlängerung gegeben habe – besonders wohl aus Kostengründen. Doch sowohl das Orchester als auch die politisch Verantwortlichen sollen sich inzwischen auf einen weiteren Weg mit Nelsons verständigt haben, was allerdings noch unbestätigt ist. Der Vertrag von Gewandhausdirektor Andreas Schulz läuft bis 2028, er wird dann in den Ruhestand gehen – auch hier gibt es Besetzungsbedarf. Alle Hintergründe: hier.

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GMD wollen bessere Verträge an deutschen Theatern

Die Generalmusikdirektoren (GMD) in Deutschland fühlen sich in ihrer beruflichen Position zunehmend unter Druck. Bei ihrer Konferenz in Berlin äußerten die Dirigenten Eckehard Stier und Marcus Bosch Kritik an den aktuellen Machtverhältnissen und Vertragsbedingungen an einigen Stadttheatern. Sie sehen den Berufsstand in einer »großen Transformation«. Ein zentraler Kritikpunkt ist laut den GMDs die zunehmende Praxis, Generalmusikdirektoren mit einem Vertrag nach dem Normalvertrag (NV) Bühne zu verpflichten. Eckehard Stier bezeichnete den NV Bühne für GMDs als einen »Knebelvertrag«, Marcus Bosch erklärt, dass sich viele Dirigentinnen und Dirigenten oft in einer »Sandwich-Position« wiederfänden: Einerseits abhängig vom Orchester zu sein, bei Veränderungsvorschlägen aber schnell auf Ablehnung zu stoßen, andererseits Ängste gegenüber der Intendanz zu haben. Ich habe all diese Themen mit den beiden in einem Podcast durchdekliniert, und den gibt es hier:

Gebrochener Arm, angeknackstes Image

Mit Spannung wurde das Konzert von François-Xavier Roth und dem SWR Symphonieorchester zum 100. Geburtstag von Pierre Boulez im Konzerthaus in Baden-Baden erwartet: Ein Teil des Publikums hatte Proteste angekündigt, da es nicht einverstanden mit dem Umgang des SWR mit den Übergriffs-Vorwürfen gegen den Dirigenten ist. BackstageClassical hatte Anfang der Woche einmal nachgeschaut: Und der Verkauf der Roth-Konzerte hatte (sagen wir es einmal so) Luft nach oben (alle Details hier). Außerdem gab es Gerüchte, dass die Konzerte abgesagt werden müssten, da Roth sich den Arm gebrochen habe. Nach unserer Anfrage hat das Festspielhaus dann bestätigt (und auch publik gemacht), dass das Jubiläumskonzert abgesagt wird – für die anderen Auftritte des SWR-Orchesters wird Ersatz gesucht. Es stellt sich Mal wieder die Frage, ob das erneut intransparente Krisenmanagement der Orchester-Gesamtverantwortlichen Sabrina Haane nach dem Currentzis-Hickhack bei Roth nicht ähnlich desaströs wirken wird. Die britische Seite SlippedDisc von Norman Lebrecht titelte jedenfalls erbarmungslos: »Dick-pick conductor breaks his shoulder«. Dem Image des öffentlich-rechtlichen Rundfunkorchesters tut das sicher nicht gut. 

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Der Orchester-Bewahrer geht 

Der Deutsche Orchestertag steht vor der Tür, gleichzeitig verabschiedet sich der Chef der Orchester-Gewerkschaft Unisono, Gerald Mertens, in den Ruhestand. Seine Amtszeit war geprägt durch die Verteidigung alter Privilegien. Dadurch hat Mertens seinen Musikerinnen und Musikern wahrscheinlich mehr geschadet als geholfen. Eigentlich müssten die Orchester längst begriffen haben, dass sie in ihrer Fülle, ihrer Größe und ihren Privilegien nicht mehr so selbstverständlich mehrheitsfähig in einer Gesellschaft sind, wie noch vor einigen Jahren. Klar, man kann Umfragen und positive Trends anführen, um die Bewahrung zu begründen, aber das wird die Mentalität nicht ändern, mit der viele Orchester noch immer auftreten: Es sind mehr Mut und Demut nötig und vor allen Dingen eine größere Flexibilität, um zu zeigen: Wir wollen nicht an der Vergangenheit festhalten, sondern das Abenteuer Zukunft mitgestalten. Ob Mertens‘ Abgang ein Neudenken einleitet – ich habe Zweifel. Hier meine Argumente, warum es kein Gestern im Morgen geben kann.

Personalien der Woche

Musikerinnen und Musiker wie Midori oder Joyce DiDonato fürchten Repressalien durch die Trump-Regierung und haben eine Petition gestartet. Die Petition amerikanischer Klassik-Musiker richtet sich gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch die Trump-Regierung, sie befürchten »eine koordinierte Anstrengung, unsere freie Gesellschaft zu demontieren.« +++ Sarah Wedl-Wilson wird neue Kultursenatorin in Berlin. Im BackstageClassical-Podcast hat sie vor einiger Zeit über ihre Kindheit mit der Musik gesprochen, über ihren Kampf um ABBA-Schallplatten und ihren Blick auf die Kultur, über ihr Leben zwischen England, Österreich und Deutschland. Wer sie kennenlernen will: Hier entlang. +++ Generalmusikdirektor Dirk Kaftan und Akustiker Martijn Vercammen nehmen Feinabstimmungen für die Fertigstellung der Beethovenhalle Bonn vor. Im Dezember soll die Eröffnung stattfinden. +++ Ein Schock für die Theater-Szene: Der unerwartete Tod von Regisseur und Intendant Pierre Audi, der an einem Herzinfarkt in China starb. Für BackstageClassical erinnert Dortmunds Opernintendant Heribert Germeshausen an Audi: »Auch wer sich zu Lebzeiten den Rang der Unsterblichkeit erarbeitet hat bleibt vom Sterben nicht verschont. Pierre Audi hat eine Lücke hinterlassen, die sich nicht schließen wird, sie bleibt. Jeder, der ihm begegnen durfte, wird dafür für immer dankbar sein. Und mein Mitgefühl gilt seiner jungen Familie.«

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Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Liebe Maestri, jetzt ist Schluss mit lustig! Euer Kollege Yannick Nézet-Séguin ist unter die Sport-Infuencer und Coaches gegangen. In den Social Media-Kanälen erklären er und das Philadelphia Orchestra zwar nicht genau, wie man Tristan dirigiert, dafür aber, wie man den Wagner-Marathon überhaupt durchhält. Hier die besten Workouts für einen sicheren Liebestod! Und wenn das Workout Ihnen am Ende keine Zeit gelassen hat, um mit dem Orchester zu proben. Egal: Wedeln Sie einfach mit den Armen und machen Sie eine gute Figur!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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