Sind Kultureinsparungen Populismus?

Oktober 6, 2024
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Logo von 3sat – alles zur aktuellen Spardebatte.

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

als Autor, Regisseur und Moderator hat mich diese Woche die Nachricht sehr beschäftigt, dass der Fernsehsender 3sat zur Disposition steht. Auch in diesem Newsletter steht das Thema im Vordergrund. In einem langen Text habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie es so weit kommen konnte, wie sich die Strukturen der öffentlich-rechtlichen Kultursender verändert haben, und warum es hier nur selten noch eine »radikale Relevanz« gibt.

Die 3Sat Redaktion von 1984 (Foto: ZDF, Schäfer)

I. Die Wahrheit ist: 3sat ist nur eine Baustelle

Im Guten-Morgen-Gespräch von BackstageClassical erklärt die Produzentin Katja Riha, warum sie eine Petition zur Rettung von 3sat gestartet hat. Bislang haben mehr als 50.000 Menschen unterschrieben! Dabei ist 3sat nur ein Teil der Sparvorschläge im Staatsvertragsentwurf. Es sollen unter anderem auch 16 (!) Radiosender abgeschafft werden – besonders die regionalen Kultursender. Und das ist aus meiner Sicht mindestens ebenso dramatisch. Wie absurd zu glauben, dass der Kulturauftrag erledigt ist, wenn jedes Buch in der ARD nur einmal besprochen wird. Kultur braucht regionale Vielfalt! Wer berichtet sonst über Premieren in Oldenburg, Halle oder Bielefeld? Und ist es nicht gut, wenn in Hamburg, Sachsen und Baden-Württemberg ganz unterschiedlich über das gleiche Buch debattiert wird? 

II. Kultur-Bashing ist heute Populismus 

50.000 Unterschriften und ein bisschen Protest unter Kulturschaffenden und Journalisten – aber wie ist die Stimmung da draußen? Es ist absurd, wenn FAZ-Journalist Jürgen Kaube Biathlon-Übertragungen im ZDF gegen fehlende Kultur aufrechnet. Öffentlich-rechtlich bedeutet sehr wohl auch Biathlon, Paralympics und Frauenfußball – ebenso wie die Nische der Kultur! Dass die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Feind markiert, wissen wir. Aber einer der Ersten, die eine Zusammenlegung von 3sat und arte gefordert haben, war Markus Söder – ein Umfragen-Politiker. Dass 3sat-Urgestein Gert Scobel die Sparvorschläge im Tagesspiegel »politischen Populismus« nannte, zeigt: Kultursender abzuschaffen, stößt derzeit offenbar auf wenig öffentlichen Widerstand. Selbst Micky Beisenherz erklärte in seinem Podcast Apokalypse und Filterkaffee, dass er, wenn er ehrlich sei, 3sat schon lange nicht mehr eingeschaltet habe – und wenn, höchstens für die Wiederholung des aktuellen Sportstudios. Wir können das kulturlos finden, müssen die öffentliche Meinung in unseren Protest aber einkalkulieren, so wie diese Statistik von yougov:

III. Erst der Kampf, dann die Selbstkritik    

Jeder, der für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet, kennt den alltäglichen Frust über mangelnden Mut in den Redaktionen und Angst vor Experimenten. In diesem Newsletter (und in diesem Text besonders) habe ich oft beschrieben, dass es eines Kultursenders und des Kulturauftrags von ARD und ZDF nicht würdig ist, Jonas Kaufmann aus Verona zu zeigen, aber nur selten Produktionen unserer Stadttheater, dass der Opus Klassik echte Klassik-Fans ob seiner Flachheit abschreckt und ein junges Publikum ob seiner Biederkeit nicht erreicht, dass Sendungen wie Kulturzeit oder aspekte eher Dauerwerbesendungen für Kulturprodukte sind, statt journalistische und kritische Debatten-Formate. Ja, den öffentlich-rechtlichen Sendern fehlt in der Krise der Mut, auch die eigene Kultur zur Debatte zu stellen. Warum kann man einen Opernabend am Ende nicht auch kritisieren – und dadurch glaubhaft bleiben? Schließlich ist Debatte der wesentliche Grund für jede Art von Kunst! All diese Selbstverständlichkeiten müssen dringend auf den Prüfstand. Das Schielen nach Quote in der Nische ist mit der aktuellen Debatte um Senderschließungen endgültig gescheitert. Doch jetzt, in der akuten Krise, muss es erst einmal darum gehen, die Flächen für eine Kultur der Zukunft zu retten und mit jeder Pore gegen jede Sekunde von Kulturabschaffung zu protestieren! 

Bayreuth würde schon wollen, aber…

Die Stadt Bayreuth hat nach allerhand Hickhack beschlossen, nun doch ein Zentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus zu errichten. Es soll wahrscheinlich im ehemaligen Wohnhaus von Houston Stewart Chamberlain entstehen. Klingt gut, in der Theorie. Die Praxis sieht allerdings so aus: Das Chamberlain-Haus muss zunächst geräumt und saniert werden. Dafür müssten Kulturamt und Jean-Paul-Museum ein neues Zuhause finden. Für letzteres wird derzeit das oberste Stockwerk des Liszthauses favorisiert (auch das muss zunächst saniert werden). Außerdem besteht seit 2017 (!) ein Beschluss zur Erneuerung des Franz-Liszt-Museums, dabei haben die Planungen bis heute nicht einmal begonnen. Mit anderen Worten: das Bekenntnis ist da – aber der Weg, er wird ein langer sein.   

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Zahlen-Wirrwarr in Bremerhaven

Bremerhavens Intendant Lars Tietje erklärte noch kürzlich, dass sein Theater wieder die Vor-Corona-Besucherzahlen erreicht habe. Eine CDU-Anfrage im Stadtrat, die BackstageClassical vorliegt, zeigt nun: das stimmt so nicht. Außerdem kritisiert das Orchester in Bremerhaven weiterhin das Auswahlverfahren für die Bestellung des neuen GMD und will aus Protest kein eigenes Votum abgeben – parallel plant es eine eigene Petition. Mehr zum ganzen Zoff hier.    

Berlins Spar-Zirkus 

Skyline von Berlin (Foto: WikiCommons, Völcker)

Berlins Klassik-Szene hat mit einer Petition gegen erwartete Einsparungen im Kulturbereich von Joe Chialo protestiert. Ich habe mir in einem Essay Gedanken über den immer wiederkehrenden Spar-Mechanismus der Hauptstadt gemacht: Was bringt es, wenn mit jedem Haushalt kurzfristig neue Einsparungen angekündigt werden und dann alle Institutionen reflexhaft erklären, dass sie kurzfristig eigentlich nicht sparen können. Meist wird dann ein bisschen gespart – und alles geht weiter wie immer. Wäre es nicht sinnvoller, wirklich Mal strategisch zu debattieren, welchen Bedarf an Klassik es eigentlich noch gibt? Wer welches Publikum abdeckt? Und ob es nicht mittelfristig Wege gibt, mit gleichen Ausgaben mehr (und anderes) zu erreichen? So eine Initiative müsste freilich von einem kreativen Kultursenator ausgehen – aber der fehlt Berlin derzeit offensichtlich.  

Personalien der Woche

Immer tiefere Abgründe offenbaren sich im Brucknerhaus Linz. Nun wurde bekannt, dass Bürgermeister Klaus Luger 16.000 Euro für ein Gutachten ausgab, das herausfinden sollte, wer dem Intendanten Dietmar Kerschbaum Informationen vor dessen Bewerbungsgespräch durchgestochen hatte. Das Gutachten erklärte, man könne den Täter nicht ermitteln. Heute wissen wir: Die Informationen kamen von Luger selber. Alle weiteren Absurditäten fasst Der Standard hier zusammen. +++ Der Architekt Stephan Braunfels plädierte für ein Neudenken beim Umbau des Gasteigs in München und schlägt vor, den großen Saal nicht abzureißen, sondern für 40 bis 50 Millionen Euro zu verkleinern und akustisch zu optimieren. So könnten 500 Millionen Euro eingespart werden. +++ Valery Gergiev baut nach Medienberichten eine 500-Platz-Konzertsaal in seiner Heimatstadt Vladikavkaz. Der Saal wurde in einem alten Kinosaal eingerichtet und von der Valery Gergiev Foundation und zwei kremlnahen Banken finanziert. +++ Tobias Kratzer will als designierter Intendant der Staatsoper in Hamburg an die große Tradition des Hauses anknüpfen, sagte er der Welt: »Die Staatsoper war in ihren großen Zeiten immer das experimentellste unter den großen deutschen Opernhäusern. Das gilt sowohl für die Dichte an Uraufführungen als auch für musikalische und szenische Handschriften. Das wird besonders in meiner dritten Spielzeit ganz wichtig – da feiern wir nämlich den 350. Geburtstag der Staatsoper. Da sollten wir schon auf die Verdienste und spezifischen Eigentümlichkeiten des Hauses eingehen.« 

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier. Ich finde es bezeichnend, dass ausgerechnet eine freie Mitarbeiterin von 3sat die Petition zum Erhalt des Senders gestartet hat. Hochkultur ist kaum rentabel. Dass sehen wir in Tageszeitungen, die sich zum großen Teil von einem echten Feuilleton verabschiedet haben. Wir sehen das auch an der Krise der Klassik-Titel: Das Fono Forum stand kurz vor dem Aus, das Crescendo gibt es in seiner alten Form nicht mehr, selbst das Magazin vom Deutschen Bühnenverein, Die deutsche Bühne, hat sein Erscheinen reduziert. Private Online-Magazine wie das VAN Magazin oder Rezensions-Seiten wie Nachtkritik, Klassik begeistert oder der online Merker versuchen (jeder auf seine Art) überhaupt noch, klassische Musik im Gespräch zu halten. Und auch BackstageClassical wurde gegründet, um kritischen Klassik-Journalismus zu erhalten. Wir alle tun das ohne öffentliche Förderung und beweisen damit täglich, dass es durchaus Menschen und Institutionen gibt, die Musikjournalismus für wichtig halten und unterstützen (an dieser Stelle Dank an all jene, die sich durch ihre Spende oder Werbung solidarisch mit unserer Arbeit zeigen). Es ist zuweilen frustrierend, dass der Kulturauftrag, den wir mit viel Hingabe am Leben erhalten, ausgerechnet im öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder zur Debatte steht. Und es ist gut zu sehen, dass in der Zeit der Krise niemand in Konkurrenz denkt, da uns allen klar ist, dass die Alltäglichkeit der Kulturberichterstattung für alle Menschen jenseits der Nische auch Basis unserer eigenen Arbeit ist.

In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann   

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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