Berlins Klassik-Szene hat mit einer Petition gegen erwartete Einsparungen im Kulturbereich protestiert. Dabei wären langfristige Veränderungen hilfreicher.
Es war Mitte September, als Berlins Kultursenator Joe Chialo die Kulturschaffenden der Hauptstadt in einem Schreiben darüber informierte, dass die Haushaltsnotlage – Mal wieder – mit Einsparungen im Kulturhaushalt einhergehe: 110 bis 150 Millionen Euro müssten für 2025 eingespart werden und für 2026 wohl noch einmal das Gleiche. Allen war klar, dass derartige Kürzungen in der Regel nach dem »Prinzip Rasenmäher« stattfinden: 10 Prozent Einsparungen an jedem Haus, in jeder Gruppe, bei jedem Museum.
Kultur lockt 13 Millionen Touristen
Briefe wie diese sind in Berlin längst Routine und werden mit so ziemlich jedem Haushalt an die Kulturinstitutionen verschickt. Und die reagierten auch dieses Mal vorhersehbar: Mit einem Protestschreiben. Eines kam vom Deutschen Bühnenverein (was amüsant ist, da hier die Träger der Bühnen, also indirekt der Staat selber, gegen die staatlichen Sparmaßnahmen protestieren). Außerdem wurde eine Petition aufgesetzt, der sich Chefdirigentinnen und Chefdirigenten, beziehungsweise die Intendantinnen und Intendanten der großen Opernhäuser und Orchester anschlossen. Von Kirill Petrenko über Christian Thielemann bis Joana Mallwitz, von Sebastian Nordmann (Konzerthaus) über Elisabeth Sobotka (Staatsoper) bis Anselm Rose (ROC) haben alle darauf aufmerksam gemacht, dass die Hauptstadtkultur nur mit etwas mehr als zwei Prozent vom Berliner Gesamtbudget finanziert würde, dafür aber nicht nur das einmalige Klima der Stadt präge, sondern auch jährlich rund 13 Millionen Touristen nach Berlin locke. Ein Schnäppchen also, an dem man nicht rütteln dürfe.
So weit. So routiniert.
Bislang ist es ja auch weitgehend gut gegangen, solange jeder Player seine bewährte Rolle gespielt hat: Die Politik will die Kultur »auf den Prüfstand« stellen (ein Synonym dafür, dass Gelder gestrichen werden müssen), und die Kultur protestiert im Gegenzug, dass jede Einsparung das Ende aller Kultur bedeute. Am Ende wird ein bisschen gespart und irgendwie weiter gemacht.
In Wahrheit ist die Geschlossenheit, mit der Berlins Kultur-Betriebe dieses Mal wieder aufgetreten sind, nicht voll und ganz gegeben. Es gibt innerhalb der Klassik-Szene durchaus Menschen, die wenig davon halten, das Berliner Krisen-Spiel in jeder Haushaltsdebatte stets aufs Neue mitzuspielen. Es gibt Menschen im Kulturmanagement der Hauptstadt, die – hinter vorgehaltener Hand – anders denken. »Klar. Es ist eine schwierige Situation für alle. Eine Haushaltsnotlage ist halt kein Sonntagsnachmittagsspaziergang. Aber, dass in solchen Situationen seit Jahrzehnten reflexhaft die immer gleiche Panikmaschine angeworfen wird, die identischen Untergangsszenarien beschrien werden, und zwar von allen Akteuren, im Finanzsenat wie in der Kultur: das ist ernüchternd«, sagt ein Kulturmensch, der nicht genannt werden möchte. »All das erinnert ein wenig an die lahme Neuinszenierung eines abgedroschenen Stückes. Wo bleiben die Innovationen, sowohl bei der Politik im Sparzwang als auch in den Kulturinstitutionen? Wo bleiben neue Strukturen? Wo neue Systeme, neue Prozesse? Was hat die Politik, was haben die Verbände, die Institutionen in den guten Jahren vorgearbeitet, um jetzt nicht über Bord zu gehen? Vorsorge? Fehlanzeige!«
Tatsächlich ist es ein gefährliches Spiel, wenn der geschäftsführende Direktor der Deutschen Oper, Thomas Fehrle, wie gerade im Tagesspiegel, mit beleidigtem Unterton fragt: »Sollen wir uns die Premieren sparen?« Eventuell könnte ein Teil der Berlinerinnen und Berliner antworten: »Ja, warum denn nicht?« Wenn man sich in Deutschland umschaut, ist relativ leicht zu erkennen, dass Orchester und Opernhäuser von Bremerhaven über Dresden, Leipzig und Halle, von Dortmund über Wiesbaden bis Karlsruhe nicht mehr automatisch jene breite Akzeptanz finden, die sie vielleicht noch vor 15 oder 20 Jahren hatten. Für viele Menschen gehören sie einfach nicht mehr zur notwendigen Grundausstattung eines städtischen Gemeinwesens.
Strategisch statt kurzfristig denken
Letztlich gibt Fehrle in seinem Kommentar selber eine Antwort, wenn er schreibt: »Kurzfristig ist bei den Häusern aus den Etats nicht viel zu holen, ohne große, folgenschwere Schäden anzurichten.» Wohl gemerkt: »kurzfristig«! Und genau hier liegt das Problem: Berlins Kulturpolitik versucht immer wieder »kurzfristig« Millionen zu sparen, und Berlins Kulturinstitutionen antworten regelmäßig, dass »kurzfristig« gar keine Umstrukturierungen möglich seien. Aber genau das ist der Denkfehler in der alljährlichen Spar-Routine: Sie ist nicht langfristig angelegt und folgt keiner Strategie.
Kulturinstitutionen sollten sich regelmäßig grundlegende Fragen stellen: »Haben wir noch eine Relevanz innerhalb unserer Stadtgesellschaft? Wird unsere Arbeit da draußen überhaupt noch akzeptiert und für notwendig gehalten? Erreichen wir die Klientel, die wir erreichen wollen wirklich? Sind unsere Strukturen überhaupt noch zeitgemäß? Müssen wir unsere kulturellen Horizonte vielleicht auch nach anderen Zielgruppen ausrichten? ….«
Es besteht Innovationsbedarf
Hand aufs Herz: Können die Deutsche Oper, die Staatsoper, das Konzerthaus, ja selbst die Berliner Philharmoniker oder die Ensembles der ROC diese Fragen so beantworten, dass ihr Status Quo unbedingt bewahrt werden muss? Oder würde das Nachdenken über neue Strukturen nicht auch den Häusern selber guttun?
Die Protest-Briefe der Berliner Kulturinstitutionen spiegeln sich auch in der Mentalität der Orchestervertretung unisono, die ebenfalls jede Kürzung gern sofort und mit lautem Tam-Tam grundlegend ablehnt und generell darauf pocht, dass jede Kulturinstitution, so wie sie derzeit besteht, wichtig ist, weil …. – ja, weil sie eben eine Kultureinrichtung ist!
Auf den ersten Blick scheinen Vereinigungen wie unisono damit für ihre Klientel zu kämpfen. Aber sie lassen schnell außer Acht, dass die Welt da draußen weiterdreht, dass die Nachfrage an vielen Orten radikal einbricht, und dass es Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern immer schwerer fällt, im Haushalt gegenüber ihren Kollegen aus den Bereichen Soziales oder Bildung Gelder für die Kunst zu retten.
Am Ende könnte das Beharren auf alte Privilegien oder ein routinierter Protest gegen jede Form von Einsparungen zum Bumerang werden: Gerade in einer Zeit des radikalen gesellschaftlichen Wandels könnte ein starres Beharren auf alte Strukturen und Privilegien ihr Ende sogar beschleunigen. Die Debatte um den Baustopp an der Komischen Oper hat gezeigt, wie überraschend und wie schnell selbst ein Haus, dem man nun wirklich Wandlungsfähigkeit, eine innovative Bühnenästhetik und das Erreichen eines neuen Publikums attestieren kann, grundlegend zur Disposition gestellt wird.
Es ist wenig überraschend, wenn in Berlin nun wieder jeder seine alten Arien singt: Joe Chialo, dass er kein Geld hat, und die Kulturschaffenden, dass sie existenziell wichtig für das Image der Hauptstadt sind. Aber wie wäre es einmal mit einem neuen, einem kreativeren Lied?
Warum nicht zusammen neu denken?
Mit einem Lied, in dem Berlins Kultursenator endlich auch Meriten verdienen könnte, mit einem Lied, dessen Regeln den Hauptstadt-Kulturunternehmen helfen könnte ihre Strukturen und Inhalte wirklich auf den Prüfstand zu stellen. Nicht aus Angst vor Einsparungen, sondern mit dem Ziel, eine Kulturszene zu schaffen, die wieder tief mit den aktuellen Zuständen und Lebensrealitäten der Stadt verwurzelt ist und die sich an den veränderten Bedürfnissen der Bevölkerung ausrichtet. Gerade die Krise ist eine ideale Zeit, um neu zu denken – eine Kultur, die sich im gleichen Maße wandelt, wie es auch die Gesellschaft tut.
Wie wäre es, einmal gemeinsam über perspektivische und langfristige Strategien für eine Hauptstadtkultur zu debattieren? Zu fragen, wo Routine zu mangelnder Akzeptanz führt? Und wo bereits Angebote und Strukturen etabliert wurden, von denen andere lernen können. Das wäre sicherlich eine nachhaltigere Kulturdebatte als das alljährliche Formulieren von Haushaltsnotstand und Protestschreiben.
Über Zukunfts-Szenarien der Kultur schreibt Axel Brüggemann auch in seinem aktuellen Buch »Die zwei Klassik Gesellschaft«, hier reinlesen.