Der Kampf um 3sat: Mehr Verantwortung wagen!

Oktober 3, 2024
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Die 3Sat Redaktion von 1984 (Foto: ZDF, Schäfer)

Ein Entwurf sieht vor, den Sender 3sat und 15 öffentlich rechtliche Radiosender zu streichen. Ein Kommentar von Axel Brüggemann.

Ich liebe den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch, wenn ich manchmal an ihm verzweifle – sowohl als Konsument als auch als Autor und Regisseur. Es gibt viele Ansätze für Kritik, doch jetzt scheint es den Kultursparten der Sender ernsthaft an den Kragen zu gehen – und da ist breite Solidarität besonders wichtig.

Die nächste Ministerpräsidentenkonferenz am 23. Oktober könnte ein massives Sparprogramm beschließen. Ein Staatsvertragsentwurf, der noch bis zum 11. Oktober zur öffentlichen Anhörung steht, sieht eine radikale Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor. Ganz oben auf der Streichliste steht 3sat (hier ist eine Fusion mit arte geplant). Aber auch Spartensender wie ZDFneo oder One von der ARD stehen zur Disposition, die Info-Programme ARD alpha, ZDFinfo, Tagesschau 24 und Phoenix sollen auf zwei Angebote reduziert werden. Von den derzeit 69 Radioprogrammen sollen nur 53 überleben.

Hausgemachte Krise

Ein großer Teil der Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist hausgemacht. Jeder, der von außen – als freier Mitarbeiter, als Produzent, Regisseur oder Autor – mit den Sendern zu tun hat, konnte in den letzten Jahren ein Klima wachsender Verunsicherung erkennen. Innerhalb der Sender wurden Mechanismen entwickelt, in denen die Verantwortung einzelner Redakteure einem allgemeinen System geopfert wurde, das nach Kriterien des vermeintlich objektiven Erfolges entwickelt wurde. Immer mehr Redaktionen wurden in die Abstimmung einzelner Entscheidungen involviert, der Anforderungskatalog an Themen und ihre Umsetzung wurde immer größer, der Wust von Kriterien-Tabellen und Punkte-Plänen unüberschaubar. Der Planungsvorlauf, bis ein Projekt überhaupt zur Produktion kommt verlängert und verkomplizierte zum Teil auf absurde Weise. Nicht selten werden in diesen aufwändigen und nervenzehrenden Prozessen so ziemlich alle Ecken und Kanten einer Idee geschliffen – und nicht selten ist bei Drehbeginn bereits ein großer Teil des Anfangsgeistes eines Teams aufgezehrt.

Der Weg, bis eine Kultur-Doku im Fernsehen läuft, ist lang. In der Regel beginnt er in den Kultur-Doku-Abteilungen einer Landesrundfunkanstalt der ARD. Hier haben die Redakteure inzwischen gelernt, dass sie nicht weit kommen, wenn sie eigenen Kriterien oder gar einer kreativen Leidenschaft folgen. Sie haben ein Punkte-System im Kopf, mit dem ihre Projekte spätestens auf Bundesebene bewertet werden. Und so stutzen regionale Kulturredakteure Konzepte bereits in einer ersten Runde auf die Kriterien der nationalen Kompabilität zusammen. In einem zweiten Schritt wird das Projekt dann in einem Gremium mit Vertretern aller Landesanstalten zur Debatte gestellt – hier ist dann oft die Strippenzieher-Qualität der Redakteure entscheidender als die Qualität eines Konzeptes.

Die Perversion des »PP-Status«

Sollte auch die nationale Hürde passiert sein, entscheidet schließlich eine weitere übergeordnete Kooperations-Instanz, und zwar nach einem festgelegten Punktesystem. Ziel ist es hier, den »PP-Status« zu erhalten, den »Plattform promotenden Status« (die neuen Wortkreationen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verraten viel über die vergangenen Reformen). Kriterium des »PP-Status« ist ein Punktesystem, mit dem garantiert werden soll, dass eine Dokumentation auch eine jüngere Zielgruppe unter 40 Jahren anspricht. Zum Beispiel gibt es Kriterien für den »Public value« oder das »Distributions- und Plattformpotenzial«. Und auch Themen und Protagonisten werden nach Checklisten abgehakt.

Dieser bürokratische Endlos-Weg durch die Instanzen mit abschließender Punkte-Bewertung aus dem ARD-Katalog konterkariert ironischerweise, was die ARD-Kommunikation derweil als Grundbotschaft nach außen formuliert. Sie fordert für alle Produktionen »Radikale Relevanz, tiefe Persönlichkeiten, Community-Nähe und wahrhaftige Nähe«. Das Problem liegt auf der Hand: Natürlich beschneidet ein genormtes Punktesystem jede kreative Idee, und es ist selten, dass »radikale Relevanz« am Ende eines vielfachen Kompromiss-Mechanismus steht. Ganz abgesehen davon, dass es irrsinnig ist, eine »junge Zielgruppe« im Alter von 18 bis 40 Jahren zu definieren.

Die 3Sat Gründung 1984 mit Dieter Stolte (ZDF), Gerd Bacher (ORF) und Leo Schürmann (SRG)

Doch all diese Regeln haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass es verrückte, ausgefallene und wirklich kreative Projekte kaum noch bis zum Produktionsstatus geschafft haben. Dass ARD-Dokus oft von der Stange kommen, sich in Tonfall, Erzählart, selbst bei den Protagonistinnen und Protagonisten weitgehend ähneln. Leidenschaftliche Redakteure, die vor Ort mutige Entscheidungen treffen und eine Idee bedingungslos umsetzen, sind kaum noch erwünscht. Wenn ein Redakteur überhaupt noch die Kraft aufbringt, sich für ein Konzept zu begeistern, wird er früh zum Advocatus Diaboli des Produzenten, Autoren und Regisseurs, um die Grundideen einer Doku für weitere Schritte »ARD tauglich« zu machen und – im besten Falle – Allianzen mit anderen Regionalsendern zu schließen.

Kulturradio ohne Kultur?

All das sind Gründe, warum das deutsche Fernsehen – gerade auch im Kulturbereich – inzwischen so gleichförmig aussieht. Und gerade deshalb zur Disposition steht. Was ich am Beispiel von Doku-Filmen dekliniert habe, gilt in gleichem Maße natürlich auch für die inhaltliche und musikalische »Gleichschaltung« der Kulturprogramme, wie sie zuletzt beim Kulturradio des rbb stattgefunden hat, das inzwischen radio3 heißt.

Statt regionale Kompetenzen abzubauen, wäre in Wahrheit ihre Stärkung der sinnvolle Weg, um ein vielfältiges und auch ausgefallenes, ja »radikal relevantes« Programm im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu gewährleisten. So wurden Radio Bremen, der NDR oder der WDR einst nur durch starke, regionale Redakteure zu herrlichen enfant terribles des Fernsehgeschäfts und haben legendäre Formate vom Musikladen über den Beat Club, von 3nach9 über die NDR Talkshow bis zu Bios Bahnhof geschaffen. Ganz zu Schweigen vom Engagement des WDR für die digitale Musik eines Karlheinz Stockhausen, dem Experimentalstudio des SWR in Freiburg oder dem Asyl, das Radio Bremen einst dem Alte-Musik-Revoluzzer Nikolaus Harnoncourt gegeben hat. All diese Projekte haben das Image des öffentlich-rechtlichen Fernsehens geschaffen – und würden heute wohl keinen »PP-Status« in der ARD mehr bekommen.

Kritik aus Liebe

Mir geht es ein wenig wie Jan Böhmermann, der auf der einen Seite den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Grundlage unseres gesellschaftlichen Miteinanders feiert, ihn auf der anderen Seite aber scharf kritisiert. Und zwar, um ihn vor der Abschaffung zu bewahren! Gerade weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk von Parteien wie der AfD angegriffen wird, darf er sich hier nicht angreifbar machen.

Die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist zum einen, dass er durch den Rundfunkbeitrag finanziell so ausgestattet ist, dass er sich – im Gegensatz zu privaten Sendern – Nischen nicht nur leisten kann, sondern sie sich leisten muss! Der Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist eine der wesentlichen Säulen, warum wir Rundfunkbeiträge zahlen: Kochshows, Schlagersendungen und Bergdoktoren würden auch in privaten Sendern problemlos funktionieren. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber leisten wir uns als Solidargemeinschaft. So, wie wir durch Steuern unsere Orchester- und Theaterlandschaft finanzieren, bezahlen wir mit unseren Rundfunkgebühren gemeinsam die Übertragung von Frauenfußballspielen oder einer Badminton-WM, von Opernübertragungen oder Kulturdokumentationen, die am Ende vielleicht nur ein Prozent unserer Bevölkerung interessieren.

Außerdem darf sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerade in Zeiten, in denen er von Parteien wie der AfD angegriffen wird, nicht angreifbar machen. Deshalb muss er vollkommen transparent und intern kritikfähig sein. Das aber fällt einigen Sendern schwer. Sie machen sich aus ganz unterschiedlichen Gründen vollkommen ohne Not angreifbar.

Kultur und Radio bei BackstageClassical

Überhaupt: Autoritätsgläubigkeit, ein allgemeiner, überheblicher Umgangston, unantastbare Hierachien, unnötig bürokratische Abläufe oder Redaktionen, die durch Homeoffice fast leerstehen  – all das sorgt nicht für Vertrauen und nicht für Effizienz. Inzwischen fließen nicht einmal mehr 50 Prozent der Gelder in das ARD-Programm, sondern in die Verwaltung und die Infrastruktur. In ein System, in dem viele Menschen damit beschäftigt sind, viele neue Kriterien zu entwickeln und zu befolgen, die einer Kreativität im Wege stehen. Eine Orientierung zurück auf die Inhalte und zum Programm wären auch mit schlankeren Strukturen möglich, ja, vielleicht sogar besser.

Fernsehpreise durch arte

Dass es in der aktuellen Sparrunde ausgerechnet die Kultur treffen soll, ist besonders ernüchternd. Auch, weil beim ZDF fast die Hälfte aller Film- und Fernsehpreise aus arte-Koproduktionen kommen. Natürlich gibt es auch hier Verbesserungsbedarf: arte wird von den Landesrundfunkanstalten finanziert, vom ZDF und von Frankreich. Vereinfacht gesagt: Alle zahlen zunächst Geld ein und bekommen Geld zurück, wenn sie Programme machen.

Deutscher Fernsehpreis für Kulturzeit 2022 (Foto: ZDF)

Früher funktionierte das so: Wenn eine Landesrundfunkanstalt den arte-Zuschlag bekam, hat sie das arte-Geld in der Regel verdoppelt. Doch das findet längst nicht mehr statt. Heute ziehen einige Sender sogar Gelder, die von arte gezahlt werden, aus den Produktion ab – zum Teil fünf bis 20 Prozent. Wie viel Geld vom Sender letztlich einbehalten wird, bleibt intransparent. Ein Prinzip, gegen das Produzenten derzeit mobil machen. Und trotzdem: Eine Schwächung von arte, etwa durch eine Fusion mit 3sat, würde den weitgehenden Exodus von qualitativen Kulturproduktionen bedeuten.

BBC macht das Scheitern vor

Wie eine gerupfte, öffentliche Medienlandschaft aussieht, kann man derzeit bei der BBC in Großbritannien beobachten. Das einstige Flaggschiff der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sortiert sein Programm inzwischen weitgehend nach Quoten und Klicks. Das Ergebnis im Kultur- und Doku-Bereich sind endlose True-Crime-Formate oder ein flaches Dokutainment. Künstlerische Relevanz hat für die Programmauswahl hier kaum noch Bedeutung.

Dass die Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober nun über weitere, radikale Einsparungen, gerade im Kulturbereich debattiert, wird den Druck auf die Redaktionen vergrößern und die interne Angst weiter schüren. Es ist wichtig, dass die geplanten Einschnitte konsequent vermieden werden. Genau so wichtig aber ist es auch, dass innerhalb der Sender möglichst schnell ein Bewusstsein entsteht, dass gerade unter Druck neuer Mut und neue Kreativität gefordert sind. Dass »radikale Relevanz« kein Produkt ist, das an einem Fließband entsteht, an dem eingeschüchterte Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter stehen.

Es ist offensichtlich, dass der eingeschlagene Kurs, weitere Einsparungen durch weitere Gleichschaltung zu erreichen, nicht zur Rettung der Kulturprogramme im Radio und im Fernsehen führt. Um so wichtiger sind in dieser Zeit Redakteurinnen und Redakteure, die mutig vorangehen, die kreativ sind und Missstände in ihren eigenen Reihen aufdecken, ankreiden und abschaffen. Denn letztlich werden nur kreative Qualität und radikale Selbstkritik und Transparenz den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Zukunft retten.

Petitionen zum Erhalt von 3sat

Axel Brüggemann hat zahlreiche Filme für arte, 3Sat, ZDF und WDR gedreht, ist aber auch für SKY und andere Sender tätig.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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