
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit einem ESC-Gewinner aus der Oper, einem besonderen Theater bei der Intendantensuche, einem wichtigen Prozess und viel Optimismus.
Leipzig kommt nicht zur Ruhe

Eigentlich wollten sie sich um die Intendanz der Oper Leipzig bewerben, aber was die Kandidatinnen und Kandidaten dann erlebten, sorgte bei Einigen für Erstaunen: Rund 50 Menschen hatten sich im Ratssaal versammelt, viele Politiker, einige Stadträte und ein paar Theaterschaffende. Die Kandidaten mussten ein spontanes Rollenspiel mit einer Schauspielerin absolvieren, die eine unzufriedene Sängerin mimte. Für Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke ein ganz normales Verfahren, in der Praxis aber wohl eher unüblich. Vor allen Dingen: Geholfen hat es nix! Am Ende bekam keiner der 36 Bewerberinnen und Bewerber den Job. »Es konnte keine geeignete Persönlichkeit gefunden werden«, musste Jennicke eingestehen und will die Nachfolge von Tobias Wolff (der auf Grund von Meinungsverschiedenheiten nach Braunschweig wechselt) erneut ausschreiben. Ob sich im nächsten Bewerbungsverfahren bessere Kandidaten finden, darf bezweifelt werden. Die ganze Reportage zum Leipziger Bewerbungsverfahren gibt es hier.
Salzburg vor Gericht
Der juristische Streit um die Beschäftigungsbedingungen von Chorsängerinnen und Chorsängern bei den Salzburger Festspielen geht in die nächste Runde: Am Freitag wird das Zivilverfahren nach erfolgreicher Berufung und einem Richterwechsel neu aufgerollt. Drei Zeugen sollen erneut einvernommen werden. Im Kern geht es um die Frage, ob die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor oder der Salzburger Festspielfonds als Arbeitgeber gilt – mit möglichen Folgen für Sozialversicherungs- und Pensionszahlungen. Der Sänger Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, der den Chorsänger Martin Thoma in seiner Klage gemeinsam mit dem Berufsverband art but fair UNITED unterstützt, sieht in der bisherigen Praxis auch einen Verstoß gegen das Theaterarbeitsgesetz, da Vorproben ab Januar weder bezahlt noch versichert wurden, obwohl der Sozialversicherungsverlauf den Kläger über Jahrzehnte als Angestellten des Festspielfonds ausgewiesen hätte. Die Festspiele argumentieren, sie hätten mit der Konzertvereinigung lediglich eine Rahmenvereinbarung, die einen fertig einstudierten Chor zusichert, und sehen kein Fehlverhalten. Die Entscheidung könnte Signalwirkung für die Beschäftigungspraxis im Kulturbereich haben.

Aus der Staatsoper nach Europa
Was für ein Auftritt: Ein Mann auf hoher See. Sturm, Wellen – und dazu eine Stimme wie eine Sirene! Mit seinem Auftritt hat JJ (Johannes Pietsch) den Eurovision Song Contest für Österreich gewonnen. Schon als Kind war der Besuch einer Aufführung der Zauberflöte in der Wiener Staatsoper prägend für ihn. Bis vor einigen Tagen ist er hier auch noch regelmäßig aufgetreten. Geschult wurde JJs Stimme von der Sängerin Linda Watson, das Haus am Ring hatte ihm im Vorfeld per Video alles Gute gewünscht. Aber ob sein Sieg nun auch auf die Oper abfärben wird? Wir werden es sehen. Hier die wichtigsten Klassik-Stationen von JJ.
GEMA-Reform gescheitert
Es war eine kleine Überraschung, die bei der GEMA-Spitze um den Aufsichtsratsvorsitzenden Ralf Weigand für allerhand Verwunderung gesorgt hat. Der von ihm unterstützte Antrag auf eine neue Verteilung der Gelder wurde knapp abgelehnt. Sowohl die Kurie der Komponisten als auch jene der Verleger sprach sich gegen den Entwurf aus. Einer der federführenden Gegner der Reform ist der Komponist Moritz Eggert. Er sagte BackstageClassical: »Ich bin froh, dass wir das gemeinsam verhindern konnten und der GEMA signalisiert haben, dass dringender Redebedarf besteht. Die Kulturschaffenden müssen in eine solche Reform einbezogen werden.« Erstaunlich war in diesem Prozess die mediale Begleitung besonders der Süddeutschen Zeitung, wo Autor Helmut Mauró fast wie eine Art Pressesprecher der GEMA-Reformer agierte.
Wird der Computer den Posaunisten ersetzen?
In einem großen Essay nimmt sich der Dozent für digitale Musikkultur, Michael Schmidt, die aktuellen Trends in Sachen KI und Klassik vor. Welche Rolle werden Computer für Instrumentalisten spielen? Gilt die Kunstfreiheit auch für Maschinen? Und wer füttert eigentlich die KI? Was ist data mining? Und wie gut sind die KI-Programme schon jetzt? Viele Fragen, die Schmidt in seinem Text »Zur Musik des Instruments« umkreist – ein Vorabdruck des neuen Buches Künstliche Intelligenz der Töne in der edition text+kritik.

AfD fordert »Stolz-Pass« für Kultur
Man kann es kaum glauben, aber die AfD in Sachsen-Anhalt forderte im Antrag 8/5478 tatsächlich eine »Stolz«-Stempelkarte für deutsche Kulturinstitutionen und eine »Straße des deutschen Reiches«. Außerdem soll das Landes-Motto #moderndenken gegen #deutschdenken ausgetauscht werden. Die Masken sind endgültig gefallen. Alle Hintergründe hier.
Österreichs Kultur-Paradies in Gefahr?
Bislang lebten Österreichs Kulturschaffende im finanziellen Paradies. Kultur gehört zur nationalen Identifikation. Und eigentlich sagt man, dass deutsche Trends in Österreich erst 20 Jahre später ankommen. Doch nun haben die Kulturinstitutionen auch hier mit einem enormen Spardruck zu tun. Das Österreichische Kulturministerium muss laut Budgetvorgaben bis 2026 insgesamt 38,1 Millionen Euro einsparen. Während die laufenden Budgets der Bundestheater und Bundesmuseen stabil bleiben, werden Investitionen in Bauprojekte wie neue Eingangsbereiche am Kunsthistorischen Museum, Naturhistorischen Museum und Belvedere verschoben. Auch eine Verschiebung der Umbauten bei den Salzburger Festspielen schloss Kulturminister und Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) nicht aus.
Personalien der Woche
Unruhe am Hamburger Ballett: Die Kritik am neuen Direktor Demis Volpi weitet sich aus. Siebzehn derzeitige und ehemalige Mitglieder des Ballett am Rhein Düsseldorf / Duisburg, wo Volpi zuvor vier Jahre lang tätig war, haben sich in einem Brief an Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda gewandt, um ihre Hamburger Kollegen zu unterstützen. 36 von 63 Ensemblemitgliedern in Hamburg hatten Volpi »schlechte Kommunikation, fehlende Transparenz und eine oft abschätzige Haltung« vorgeworfen. +++ Der südkoreanische Dirigent Myung-Whun Chung wird neuer Musikdirektor des renommierten Opernhauses Teatro alla Scala in Mailand. +++ Die Seite Slippedisc berichtet, dass Valery Gergiev sich bei einer Pressekonferenz eine neue Konzerthalle und ein neues Opernhaus für Moskau von Vladimir Putin gewünscht habe.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: BackstageClassical ist nach einem Jahr im Zentrum der Klassik-Berichterstattung angekommen. Unsere Themen werden aufgegriffen, zitiert und debattiert. Vor einigen Wochen habe ich beim Deutschlandfunk über die Zukunft der Kulturmedien gesprochen, diese Woche war BackstageClassical selber Thema beim Radiosender hr2: Es ging um unsere journalistischen Visionen für die Seite und neue Podcasts.
Und noch eine außergewöhnliche Begegnung hatte ich diese Woche: Jeden Samstag tritt das Naked String Quartet im Berliner KitKat-Club auf – wie es der Name sagt: nackt! Ich habe mich für unseren BackstageClassical-Podcast mit der Initiatorin Shasta Ellenbogen unterhalten. Sie kritisiert die Übergriffigkeit und die Arbeitsweisen im Klassik-Betrieb und träumt davon, mit ihrem Quartett im Boulez-Saal aufzutreten. Ein kontroverses Gespräch, das auch schon unter unseren BackstageClassical-Autorinnen Debatten ausgelöst hat. In den kommenden Tagen bringen wir eine Replik von Shoko Kuroe. Aber hier erst einmal das Gespräch mit Shasta Ellenbogen:
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann