»Ich bin nicht die Florentina Holzinger der Kammermusik«

Mai 12, 2025
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Das Naked String Quartet im KitKat Club in Berlin (Foto: NSQ)

Shasta Ellenbogen ist die Violaspielerin und Gründerin des Naked String Quartet. Warum der Klassik-Markt sie frustriert, warum sie nackt im KitKat Club spielt und wie es zu Haydns »Spankig Quartett« kam.

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Vier Musikerinnen haben sich am Pool aufgebaut: Ein nacktes Quartett, mitten im Berliner KitKat-Club. Auf den Pulten steht Haydns Kaiserquartett. Die Meisten Zuhörerinnen und Zuhörer tragen Fetisch-Kleidung, viele hören aufmerksam zu, einige nippen dabei an Getränken. Irgendwann beginnt einer der Männer ganz selbstverständlich den Hintern seiner Partnerin zu schlagen – mit der flachen Hand, stets im Rhythmus der Musik. Das Quartett spielt weiter. Das Publikum hört weiter zu und genießt die Frivolität der Nacht. Nur Haydns Kaiserquartett wird für das Naked String Quartet zukünftig einen neuen Namen tragen: das Spanking Quartett.

Shasta Ellenbogen ist die Violaspielerin und Gründerin des Naked String Quartet. Wenn sie am Morgen nach der Aufführung über die Welt der klassischen Musik spricht, tut sie das mit eben so viel Frustration wie Leidenschaft. Ellenbogen ist eine hoch virtuose Musikerin aus Kanada. Sieben Jahre lang hat sie die Konzertreihe Classical Sundays an verschiedenen Orten in Berlin veranstaltet. Das war ihr erster Versuch, einer reglementierten Klassik-Welt zu entkommen. 

Ellenbogen hat die Nase voll von der Mainstream Klassik. Und das ist noch untertrieben. Sie stört das Auftreten und die Inkompetenz vieler Musikerinnen und Musiker – besonders von Dirigenten. Sie spricht von mangelnder Kommunikationsfähigkeit, von fehlendem Überblick über die Partitur, von schlechter Probenarbeit und miserabler Bezahlung. Für sie ist die alte Klassik-Welt ein »perfekter Mix aus toxischer Männlichkeit und dem Geruch von bully boomern«

Enttäuschungen mit dem Betrieb

Enttäuschungen erlebte Ellenbogen auch in der Kammermusik. Sie beschreibt das Naked String Quartet daher bewusst als untypische Kammermusikgruppe, obwohl auch hier eine art Diktatur herrsche – nur ein »matriarchalisches Diktatorentum in freundlicher Ausführung«. 

Ellenbogen glaubt, dass klassische Musik auch deshalb unpopulär ist, weil sie auf eine überkommene Art und Weise präsentiert wird. Die Klassik-Krise sei keine Bildungskrise, sagt sie, sondern eine künstlerische Krise. Die Hauptprobleme seien mangelnde Partiturkenntnis und undifferenzierte Positionierungen von Musikerinnen und Musikern gegenüber der Musik.

Das Naked String Quartet im KitKat Club in Berlin (Foto: NSQ)

Nach den Classical Sundays wurde Ellenbogen vom KitKat Club zu einem Konzert eingeladen – ein sonntägliches Brunch-Event. Nach einem halben Jahr fragte sie nach, ob Klassik nicht auch in die eigentliche Clubnacht integrieren könnte und bot der Chefin an, kostenlos bei einer Rokoko-Party zu spielen – zum ersten Mal nackt. 

Damals hat das Publikum, Ellenbogen erinnert sich, dass einige ziemlich high waren, die Performance mit Haydn-Musik geliebt und »hörten uns mit offenem Mund zu.« Seit dem war ihr klar, dass regelmäßige Konzerte eine Chance haben. Da musste nur noch »über den finanziellen Zuschlag für das Nacktspielen« verhandelt werden – und seither tritt das Naket String Quartet jeden Samstag im KitKat-Club auf.

Das erste Mal ohne Klamotten

Das erste Mal ohne Klamotten zu spielen war für Ellenbogen und ihre Kolleginnen mit allerhand Aufregung verbunden. »Alle hatten Hemmungen«, sagt die Bratscherin, »meine persönliche Hauptsorge war, dass die Leute mich nicht hot finden.« Doch sobald sie auf der Bühne stand, habe die Nacktheit keine Rolle mehr gespielt. Seither gibt es verschiedene Musikerinnen (und einige Musiker), die an den Samstagen zum Naket String Quartett verschmelzen und in der Regel Musik von Schubert, Mendelssohn, Dvorak, Beethoven, Ravel, Johann Strauss, Smetana oder Offenbach spielen.

Das Publikum im KitKat Club unterscheide sich nicht wirklich von einem normalen Konzertpublikum, sagt Ellenbogen. Zwar tragen es Fetisch Klamotten oder sei ebenfalls nackt, aber das Wichtigste sei, dass die Leute sich unterhalten wollen. Die Musik dient als Inspiration.

Trotz der Nacktheit und der Umgebung empfindet Ellenbogen den KitKat Club als »die sicherste Umgebung, in der ich je gespielt habe«. Es sei ein sicherer Raum abseits der typischen Leistungsängste und vor allen Dingen von alltäglichen Machtspielen und Übergriffen, wie sie in der Klassik Gang und Gäbe seien. »Es ist eigentlich absurd, dass ausgerechnet beim nackten Musizieren Dinge wie #metoo nicht vorkommen«, sagt Ellenbogen.

Das Naked String Quartet im KitKat Club in Berlin (Foto: NSQ)

Das nackte Spiel ist für sie daher auch kein Selbstzweck. Es gehe nicht um das Entdecken des Körpers, sie sein keine Florentiner Holzinger der Kammermusik. Stattdessen gehe es darum, bestehende Erwartung subversiv zu unterwandern und dem Publikum eine neue Erfahrung zu schenken. Es geht nicht darum, dass die hübschen Musikerinnen das Publikum zum Sex animieren, sondern – ihren Dienst absolvieren.

Eine Rückkehr in die »normalen Konzertsäle« hält Ellenbogen für unwahrscheinlich, »nachdem wir nackt waren, will uns wahrscheinlich niemand mehr«. Die klassische Musikwelt sei sehr konservativ und voreingenommen. Ein Traum aber bleibt: Das Naked String Quartet würde gern in einem der großen Säle Berlins spielen – am liebsten im Boulez-Saal. Aber nur, wenn die Nacktheit in diesem Kontext ebenfalls einen Sinn ergäbe. Es dürfe nicht nur darum gehen, nackte Frauen zu zeigen, die klassische Musik spielen. Die Nacktheit müsse zeigen, dass sie für andere Dinge stehen als die klassische Musik.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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