Normalerweise sucht Stephan Knies in seiner Nordlicht-Kolumne nach innovativen Klassik-Projekten in Skandinavien. Aber wir dachten, der Junge muss mal in die Sonne. Nun ist er auch in Athen fündig geworden und stellt ein florierendes Opernhaus vor.
English summary: Hamburg’s new opera house follows models from Copenhagen and Athens, where private donors fund and build cultural landmarks. In Athens, the Stavros Niarchos Foundation created a modern complex with an opera house, park, and library. It hosts major productions and social projects like “GNO for all,” becoming a vibrant cultural hub—despite lacking a metro connection.
Die aktuelle Lösung in Hamburg sieht so aus: Ein Fracht-Milliardär schenkt der Metropole am Wasser ein neues Opernhaus. Seine Stiftung baut es und übergibt es dann schlüsselfertig der öffentlichen Hand. Neu ist das nicht – das Opernhaus in Kopenhagen ist so entstanden, mit recht viel Kritik daran, dass Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller das Haus nach eigenem Geschmack bauen ließ. Es wurde vor genau zwanzig Jahren eröffnet. 2017 ist die Griechische Nationaloper zusammen mit der Nationalbibliothek und einem großen Kulturzentrum nach demselben Muster entstanden. Der (bereits verstorbene) Gönner, Stavros Niarchos, teilte mit Klaus-Michael Kühne übrigens auch die Liebe zur schönen Landschaft in der Schweiz und der Idee, dort seinen Wohnsitz zu nehmen.
Mit dem Bau genau auf der Stadtgrenze zwischen der Hauptstadt Athen und der Hafenstadt Piräus wurde damals Renzo Piano betraut, der italienische Stararchitekt. Er hat eine künstliche Rampe errichten lassen, ansteigend in Richtung Meer, mit einem Park bepflanzt. Die Plattform ganz oben heißt der »Leuchtturm«, er wäre sicher der weltweit größte seiner Art mit einem Dach auf dem Dach, inklusive Solarzellen auf einem ganzen Hektar! Nach Süden blickt man aufs Meer, auf der anderen Seite den Park hinunter bis auf die Akropolis.
Großes Haus und alternative Bühne
In den Stockwerken darunter ist es licht und weit, das Opernhaus mit 1.400 und die Alternative Stage mit 400 Plätzen werden intensiv mit Leben gefüllt. Der große Saal ist fast immer ausverkauft mit den Repertoire-Schlachtschiffen von Tosca bis Lucia di Lammermoor. Das wäre sicher nicht so ohne die vielen Aktivitäten des Hauses: Mehrere Uraufführungen pro Spielzeit, soziokulturelle Ansätze, oder Projekte wie ein Film über die bisher weitgehend vernachlässigten Jahre in Griechenland der Nationalheiligen Maria Anna Cecilia Sofia Kalogeropoulou – Künstlerinnen-Name: Maria Callas.

Und, besonders wichtig, zahlreiche Projekte, die außerhalb des Hauses in der Stadt und der Region stattfinden, in Schulen, sozialen Brennpunkten, verschiedensten Communities. Ganz aktuell und heiß begehrt: Die Aktion »GNO for all«. Über zwei Jahre werden 10.000 Freikarten in allen Kategorien verlost, an besonders junge oder alte, bedürftige oder sozial benachteiligte Interessenten. Wer gewonnen hat, taucht fast immer auch auf.
Alexandros Efklidis, der Künstlerische Leiter der Alternative Stage, ist davon überzeugt, dass all diese Formate, die dem Haus und seinen Mitarbeitenden oft alles abverlangen, ein wichtiger Teil des Gesamtpaketes der Griechischen Nationaloper sind. Deswegen hat er unermüdlich neue Ideen, vom Stück über die Kultur der sephardischen Juden in Thessaloniki, das kürzlich Premiere hatte, bis zur artifiziellen Kunstoper. Eine eigene Video-Plattform bietet die Möglichkeit, in hochwertiger Aufbereitung orts- und zeitunabhängig zu erleben, was die Nationaloper bietet.
Treffpunkt der Stadtgesellschaft ohne U-Bahn-Anbindung
Und draußen vor der Tür? Ist die Agora, so heißt ja der Treffpunkt für die Stadtgesellschaft schon seit der Antike, auf dem Festivals, Diskussionen, Konzerte stattfinden. Direkt auf der anderen Seite kann jeder in der Nationalbibliothek ungestört arbeiten oder sich auch dort ins Getümmel von Vorlesungen, Events und Führungen stürzen. Oder im Park auf der Rampe flanieren, es ist eine Ruhe-Oase im Fünf-Millionen-Gewusel ringsum. Viele gehen auch einfach so hierhin, gerne auch bis ganz aufs Dach mit dem sensationellen Blick.
Was fehlt, ist die U-Bahn-Station, die ans ansonsten vollständig spendierte Kulturzentrum zu bauen die vertraglich vereinbarte Aufgabe des Staates gewesen wäre. Man muss also mit Bussen, Autos und Taxen hierher kommen. So hatte Niarchos sich das sicher nicht gedacht, dessen Stiftung inzwischen über eine Dreiviertelmilliarde in das Kulturzentrum investiert hat. Aber vielleicht wäre dieser besondere Ort ja mit Metro-Anschluss auch zu überlaufen… Viel Aufmerksamkeit bekommt er so oder so, auch innerhalb unserer Klassikblase. Im November etwa wird hier, unter dem »Leuchtturm«, der International Opera Awards ausgerichtet – eine schöne Belohnung für die beharrliche bemerkenswerte Arbeit, die das Team der Institution hier seit nunmehr acht Jahren leistet.
Transparenzhinweis: Die Oper in Athen hat die Reisekosten übernommen.