In seiner Kolumne Nordlicht schreibt Stephan Knies immer wieder über Eindrücke aus dem Norden – dieses Mal war er in Norwegen.
Dass der Neubau des Opernhauses in Oslo eine gelungene Sache ist, wissen wir spätestens, seit die Bild-Zeitung Angela Merkels weit ausgeschnittenes Kleid 2006 zum Anlass nahm, die Eröffnung interessant zu finden: »Ein begehbares Wahrzeichen«, »Architektur-Gletscher im Fjord« – diese Sachen eben. Aber zwischendurch gab es Querelen und das Schiff drohte Schlagseite zu bekommen. Da hatte man die (offenbar sehr gute) Idee, eine Sängerin mit der Intendanz zu betrauen: Randi Stene.
Es stellt sich hier eine Grundsatzfrage: Ist die Wahl von Sänger:innen als Intendant:innen (sorry, Herr Söder) eigentlich per se eine gute Lösung? Irgendwie hat man das Gefühl, dass Egils Silins in Riga oder Cecilia Bartoli in Salzburg und Monte-Carlo das ganz gut hinkriegen. Oder eben Randi Stene. Wir werden sehen, wie sich Jonas Kaufmann (Erl) und Rolando Villazón (Mozartwoche Salzburg) machen werden. Wissen Sänger zum Beispiel besser, wie man mit Künstlern umgeht, weil sie selbst welche sind?
DIE NORDLICHT-KOLUMNE Natürlich sterben Oper, Theater und Konzerte mit klassischer Musik in Deutschland nicht sofort aus. Vielerorts stehen sie nicht einmal auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Aus dem Norden aber hört man bemerkenswert oft etwas von Theaterneubauten, von Erfolgsmodellen und inspirierenden neuen Formaten. Solche »Nordlicht«-Erfahrungen wird diese Kolumne von Stephan Knies in Zukunft vorstellen.
Zurück nach Oslo: Randi Stene hat ihre aktuelle Spielzeit mit einem Doppel eröffnet, das ich richtig gut fand: Eine teure, opulente Traviata im 1920er-Outfit (die das Geld auf jeden Fall wert war und hoffentlich lange gespielt wird), damit die norwegischen Aficionados auf ihre Kosten kommen. Und dazu die Oper Fram, benannt nach dem Polar-Schiff von Fridtjof Nansen, eine Uraufführung über Demenz in einem realen Osloer Pflegeheim gleichen Namens. Das Libretto: Schön dicht, aber ziemlich sprunghaft gebaut. Die Komposition? Im Haus gab es leises Murren über die Qualität der sehr einfach gestrickten Klänge – in der Fachwelt auch. Und das Publikum? Rannte Fram die Türen ein, die Serie war im Nu ausverkauft. Warum? Weil das Stück relevant ist, uns unmittelbar etwas angeht. Das ist Musiktheater ganz ohne Elfenbeinturm. Viele Tränen sind geflossen, garantiert mehr als bei Violetta Valerys Tod. Und darauf kommt es an.
Thomas de Mallet Burgess,der neue Intendant der Finnischen Nationaloper, sagte mir kürzlich: »Wir brauchen zeitgenössische Werke nicht mit riesigen Erwartungen messen an La Bohème. Wir müssen fragen: Erzählen sie eine eigene Geschichte unserer eigenen Gegenwart? Wenn ja: Lass sie uns spielen.« Recht hat er.
Dieses nordische Doppel aus Fram und Traviata zeigt, was Oper sein soll und kann: heutiges Leben, emotionale Verdichtung unserer täglichen Realität, erfolgreiches Sprachrohr für Tabu-Themen – und Hochkultur, gesellschaftliches Event und alte Opern-Welt. Dirigiert hat mit Anja Bihlmaier übrigens eine großartige Interpretin, die wir hoffentlich bald mal an einem großen Haus auch in Deutschland erleben können.
Ich bin gespannt, wie Sie das kommende Spielzeit toppen wollen, Randi Stene!