Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit der Frage: Was ist da los bei Bayreuth Baroque? Wird Joe Chialo die Sparmaßnahmen in Berlin als Kultursenator überleben? Und hat die Konzertkritik eine Zukunft?
Absolutismus bei Bayreuth Baroque?
»You are so fucking stupid!« ist nur einer der Ausdrücke, der während der Proben beim Festival Bayreuth Baroque gefallen sein sollen. Mehrere Beteiligte haben sich in den letzten Wochen an BackstageClassical gewendet und sich über die Arbeitsbedingungen beim Festival beschwert: Sie werfen dem künstlerischen Leiter und Regisseur, Max Emanuel Cenčić, einen beleidigenden Umgangston vor, beklagen übergriffige Textnachrichten und Handgreiflichkeiten während der Proben. Außerdem berichten sie von einer unglücklichen Verquickung von Festivalleitung und Künstleragentur. Auf unsere Anfrage erklärt Cenčić , dass die Berichte »aus dem Zusammenhang gerissen, dramatisiert oder erfunden« seien. Er verteidigt sein Verhalten: »Eine Probezeit ist generell schwierig für alle Beteiligten. Man ist sechs Wochen täglich bis zu sechs Stunden im Probenraum und gibt sein Bestes. Niemand ist jeden Tag gleich gut drauf. Dass einem manchmal Wörter ausrutschen oder man im Umgang miteinander nicht die Höflichkeit einhält, die man unter normalen Bedingungen einhalten würde, ist etwas, was nicht nur Regisseur:innen, sondern auch Sänger:innen und Techniker:innen passiert.« Ein Beteiligter entgegnet: »Im Jahre 2024 ist es einfach nicht mehr okay, sich so bei den Proben zu verhalten.« Bayreuths Oberbürgermeister, Thomas Ebersberger, sieht sich nicht in der Verantwortung. Er antwortet BackstageClassical: »Die Stadt ist Zuschussgeber, nicht Organisator des Festivals. Sollte es zu Unstimmigkeiten oder persönlichem Fehlverhalten im Rahmen der Proben gekommen sein, so wäre dies auf der Ebene der Festivalleitung mit den Betroffenen zu klären.« Eine Ansage, von der sich einige der Beteiligten mit ihren Beschwerden im Stich gelassen fühlen. Die ganze Geschichte hier.
Anruf von Chialos Leitungs-Leiterin
Berlin streitet über massive Sparmaßnahmen in der Kultur. Klar, dass ich da ein Gespräch bei Kultursenator Joe Chialo angefragt habe. Daraufhin rief mich die »Leiterin seines Leitungsstabes«, also eine Art »Leitungs-Leiterin«, Julia Wachs, an. Warum ich überhaupt mit ihrem Chef sprechen wolle – ich hätte doch einen kritischen Bericht über ihn geschrieben (sie meint diesen Text, in dem es um die Umgangsformen des Senators geht, um die hohe Fluktuation seiner Mitarbeiter, um seinen internen Kampf gegen Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson und darum, warum viele seiner Projekte gescheitert sind). Ich habe mich über die Nachfrage von Frau Wachs gewundert. Gibt der Senator nur Journalisten Interviews, die ihn vorher gelobt haben? Und überhaupt: Ich wollte mit ihm eher die Frage diskutieren, ob es neben den aktuellen Einsparungen auch eine langfristige Perspektive für die Hauptstadtkultur gibt. Nach einem Wochenende Bedenkzeit erklärte mir Frau Wachs, dass der Senator interessiert sei – sie würde sich melden. Das hat sie aber dann mehrfach nicht, und letztlich ein Interview »irgendwann nächste Woche« angeboten. Seither habe ich nichts mehr von ihr gehört. Eine kleine journalistische Alltags-Episode, die viel verrät über das Selbstverständnis und die Organisation des Senators und seines Teams.
Berlin wehrt sich gegen Sparmaßnahmen
Wenn Senator Joe Chialo schon nicht redet, sprechen immerhin die Leiter seiner Kulturinstitutionen. Sie erklären bei BackstageClassical, dass die geforderten Einsparungen von 10 Prozent nur mit massiven Struktur-Veränderungen möglich seien. Der Intendant der Deutschen Oper, Dietmar Schwarz, sagt: »85 Prozent unseres Haushalts sind Festgelder: 80 Prozent Gehälter, fünf Prozent Fixkosten wie Strom und Heizung. Es bleiben also nur 15 Prozent des Etats, um wirklich Kunst zu machen. Wenn das am Ende nur noch fünf Prozent sind, können wir schlichtweg nicht mehr sechs Premieren auf der großen Bühne stemmen, sondern müssen hier radikal kürzen.« Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper erklärt, dass sein Haus auf vielfache Weise von spontanen Einsparungen betroffen wäre. Die Verträge für nächstes Jahr seien bereits geschlossen, mit den fälligen Strafzahlungen würde sich der Etat des Hauses nicht um 10 Prozent, sondern um 20 Prozent verringern. Und Tagesspiegel-Feuilleton-Mann Rüdiger Schaper kritisiert, dass Senator Joe Chialo gerade in der Krisensituation eine schlechte Figur macht: »Er ist nicht jemand, der sich eindeutig vor die Kultur stellt.«. Alle Gespräche und Statements lesen Sie hier im großen Berlin-Spezial mit Interviews und einer Ausgabe des Podcasts Alles klar, Klassik?.
Und jetzt, Joe?
Tatsächlich macht Joe Chialo derzeit eine wirklich schlechte Figur, und wird dafür scharf kritisiert. Auch die Benennung der neuen Intendantin des Maxim Gorki Theaters, Çağla Ilk, sorgte für breite Kritik, weil sie ohne transparentes Verfahren und ohne Findungskommission gewählt wurde – als persönlicher Liebling des Senators. Da kommen Erinnerungen an den Findungsprozess für die Konzerthaus-Intendanz auf. Nachdem Chialo Sarah Wedl-Wilson die Leitung der Kommission entzogen hatte, verließen zwei Mitglieder das Gremium. Wohl auch deshalb, weil Chialo dachte, dass er mehr Klassik-Kompetenz besitze als Opern-Experte Bernd Loebe von der Oper Frankfurt. Und nun haben wir die absurde Situation, dass viele Berliner Kulturschaffende hoffen, dass Chialo als neuer Kulturstaatsminister unter Kanzler Friedrich Merz ins Kanzleramt zieht, damit seine Staatssekretärin dann endlich die Arbeit machen kann, die gemacht werden muss. Aber bei Chialos derzeitiger Performance dürfte die CDU noch einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob man ihn wirklich in die Bundespolitik wegloben will. Selbst sein ansonsten loyaler Vorgänger, Klaus Lederer, kritisiert Chialos Arbeit inzwischen in den sozialen Medien: »So wie jetzt geplant, geht es nicht – es ist ein Offenbarungseid!«
Hat die Konzertkritik Zukunft?
Die Sächsische Zeitung antwortete einer Leserin, warum weniger Kritiken gedruckt werden als früher. »Wir wissen heute ziemlich viel über die Lesegewohnheiten unserer Nutzer, weil die Sächsische ‚Einschaltquote’ sowohl einzelne Artikel der Zeitung als auch der digitalen Produkte messen kann«, heißt es in einem erstaunlich ehrlichen Antwort-Brief, »deshalb ist in der Redaktion bekannt, dass Konzertrezensionen nur einen sehr kleinen Leserkreis erreichen. Vermutlich vor allem jene, die das Konzert selbst erlebt haben.« Ist die Kritik also ein Auslaufmodell, hat BackstageClassical in einem Artikel gefragt. bei X, Instagram und Facebook zeigen Ihre Antworten eine klare Tendenz: Die regionalen Feuilletons schrumpfen. »Bei den Nürnberger Nachrichten erscheinen immer mehr dpa-Meldungen, zu Lasten örtlicher Ereignisse«, berichtet ein Leser. Ein anderer kommentiert: »Leser, die sich für die E-Musikberichterstattung interessieren, haben im Grunde nur eine überregionale Alternative: die FAZ. Nahezu zum Totalausfall mutiert: Die Zeit.« Eine weitere Stimme: »Unsere Tageszeitung hatte immer zwei Seiten für die Kultur. Seit kurzem ist die zweite Seite ‚verkauft‘, da wird über Kino und Media berichtet, aber nicht mehr von der Kulturredaktion.« Doch es gibt auch Lob: »Im Münchner Merkur ist die Kulturberichterstattung noch immer sehr gut vertreten – liegt vor allem an den guten Redakteuren.«
Personalien der Woche
Der SWR versucht konsequent, das eigene Orchester von einer Zusammenarbeit mit François-Xavier Roth zu überzeugen – und schafft es nicht, Ruhe zu stiften. Andere Orchester sehen die Sache allerdings anders: Erst hat Barcelona darauf verzichtet, den Dirigenten als neuen Opern-Chef zu holen, und nun entnehmen wir einer Programm-Ankündigung der Berliner Philharmoniker, dass sie Roth am 27. Februar mit Dalia Stasevska ersetzen. +++ Das war selbst der AfD zu viel: Der Cellist und Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf ist nicht mehr außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Der Fraktionsarbeitskreis Außen zog die Konsequenzen aus Moosdorfs Nähe zu Moskau. Über seine Verbindungen mit Russland und zum russischen Kulturmanager Hans Joachim Frey hatte BackstageClassical mehrfach berichtet. +++ Aufstieg für die Dirigentin von Italiens Rechtspopulistin Giorgia Meloni: Das Teatro Colón in Buenos Aires hat Beatrice Venezi als Gastdirigentin verpflichtet. Venezi gilt als kulturpolitische Strippenzieherin der Meloni-Regierung. Ihr Engagement in Argentinien wird angeblich von der italienischen Botschaft gefördert. +++ Kassels Theater-Geschäftsführer Dieter Ripberger wurde erst im Februar berufen, dann gegen seinen Willen rausgeschmissen. Nun ist man sich über den Abschied einig geworden – Fragen bleiben dennoch.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Kommendes Jahr feiern wir den 200. Geburtstag von Johann Strauss: Die Wiener Philharmoniker spielen beim Neujahrskonzert nicht nur seine Blaue Donau, sondern auch das Werk einer Zeitgenossin: Den Ferdinandus-Walzer von Constanze Geiger (1835-1890). Gerade ist ein neues Buch von Bernhard Ecker und Peter Hosek erschienen, das sich mit dem Giga-Gastspiel von Strauss in den USA auseinandersetzt. BackstageClassical druckt exklusiv ein Kapitel ab, in dem es um den Auftritt im Bostoner Coliseum geht, ein Veranstaltungsort, der für 60.000 Besucherinnen und Besucher errichtet wurde. Zeitgleich trafen hier auch die Präsidentschaftskandidaten Ulysses S. Grant von den Republikanern und Horace Greeley von den Liberalen aufeinander. Eine Leseempfehlung!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann