Die klassischen Russland-Relativierer

Oktober 12, 2024
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Valery Gergiev wurde lange von Paul Müller gehalten, dient heute Vladimir Putin. Russland-Nähe hat auch AfD-Mann Matthias Moosdorf.

Der Intendant der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, gesteht im Umgang mit Valery Gergiev keine Fehler ein. Und AfD-Cellist Matthias Moosdorf suhlt sich in der medialen Opferrolle.     

Der Intendant der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, hat den russischen Dirigenten Valery Gergiev auch dann noch unterstützt, als dieser gegen Schwule hetzte, die Annexion der Krim für gut hielt und für Putin und Assad im syrischen Palmyra auftrat. In einem Interview  mit dem Bayerischen Rundfunk legitimiert Müller sein Verhalten nun. Gleichzeitig erklärt der Cellist und AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf auf seinen Social Media-Kanälen, dass seine Russland-Nähe eine  »Brücke zum Frieden« sei und sein Engagement im Putin-Land von hiesigen Medien falsch dargestellt würde. 

Beginnen wir mit Paul Müller. Der scheidende Intendant der Münchner Philharmoniker hat BR-Mann Bernhard Neuhoff (der in der Amtszeit von Gergiev  nicht gerade als kritischer Begleiter des Orchesters aufgefallen war) ein Interview gegeben. Es ging zum großen Teil um den Umgang Müllers mit Gergievs öffentlicher Homophobie und seiner Russland-Nähe. »In den Zusammenhängen, wo genau dieses passiert ist«, antwortet Müller an einer Stelle, »haben wir mit ihm (Gergiev) sofort darüber gesprochen und  gesagt, dass dieses so nicht passieren darf. Daraufhin ist in den wenigen Zusammenhängen, die wir erlebt haben, Ruhe gewesen, und es ist nichts weiter erfolgt.« Das ist schlichtweg falsch, und es wundert, dass Neuhoff Müllers Aussage einfach so stehenlässt.

Müllers verzerrte Wahrheit

Tatsächlich hat der Intendant seinen Chefdirigenten Valery Gergiev mehrfach aus der Schusslinie genommen und seine undemokratischen und zum Teil menschenverachtenden Einlassungen immer wieder als Privatmeinungen verteidigt. Ich selber habe mehrfach bei Müller nachgefragt und wurde immer wieder mit floskelhaften Antworten abgespeist. Bereits im Januar 2015 fragte ich schriftlich beim Intendanten der Philharmoniker an, ob er Gergievs Haltung nicht bedenklich finde: »Gergiev hat einen offenen Brief für den Putin-Kurs in der Ukraine unterschrieben, seine Äußerungen zur Homosexualität sind zumindest ressentimentgeladen, Georgien hat er als ‚mörderisch‘ beschimpft (…). Die Bundesrepublik Deutschland hat unterschiedliche Boykotte gegen Russland beschlossen. Passt Gergiev da wirklich nach München?« Das wollte ich von Paul Müller wissen. Seine lapidare Antwort klang damals so: »Wenn Valery Gergiev sich (…) als Person politisch äußert, macht er von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Wir werden seine politischen Äußerungen nicht kommentieren.«

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Danach ist alles andere als »Ruhe« eingekehrt, wie Müller es nun behauptet. Gergiev machte munter weiter mit seiner Putin-Propaganda und ignorierte Müllers Appelle (wenn es sie denn wirklich gab). In einer weiteren Anfrage wollte ich von Müller wissen: »Unter dem homosexuellen Publikum formiert sich Widerstand, Klassik-Radio Moderator Holger Wemhoff sagt, dass er Konzerte der Münchner Philharmoniker mit Gergiev nicht mehr ansehen würde. Was sagen Sie diesen Leuten?«, und »haben Sie keine Angst, dass Gergiev das Image der Münchner Philharmoniker im Ausland, etwa in den USA, grundlegend beschädigen wird?« Auch hier antwortete Müller erneut mit seiner Standard-Floskel, dass er die Privatmeinung Gergievs nicht kommentiere. Wohl gemerkt: Müller antwortete nicht, dass er mit dem Dirigenten reden würde, nicht dass er dessen Ansichten verurteile. Er ließ mich lediglich wissen, dass Homophobie, die Verteidigung des völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Ukraine und die Propaganda-Arbeit Gergievs in Syrien Teil der in Deutschland geltenden »Meinungsfreiheit« seien. Mir anderen Worten: Es wäre legitim, Gergievs Chefdirigentengehalt auch weiterhin mit Steuergeldern zu finanzieren.

Gergiev als »enger Freund«

Der ganzen Argumentation des Intendanten liegt eine merkwürdige Eigenwahrnehmung zu Grunde. Etwa, wenn er gegenüber dem BR behauptet: »Es gab eine politische Übereinkunft, eine gemeinschaftliche in diesem Land. Nämlich: Solange wir die Türen zu Russland offen halten können, werden wir das tun.« Das ist insofern Quatsch, da die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern und die Stadt München die Sanktionen gegen Russland zu diesem Zeitpunkt bereits mitgetragen haben. Trotzdem stellte Müller sich weiterhin hinter Gergiev und dessen öffentliche Putin-Verehrung. Müller verteidigte also einen offenkundigen Putin-Propagandisten, als die deutsche Politik längst beschlossen hatte, derartige menschenfeindliche und kriegstreiberische Propaganda in Russland zu boykottieren. 

Was Müller bewogen hat, an seinem Chefdirigenten festzuhalten, wird im BR-Interview ebenfalls offenbar. Müller sagt, er habe mit dem Abgang Gergievs »einen engen Freund verloren«. Spätestens hier wird deutlich, dass zwischen den beiden Männern mehr als ein Dienstverhältnis bestand – Müllers bedingungslose Deckung Gergievs war wohl auch der Beweis einer tiefen Männer-Freundschaft. Stand Valery Gergiev dem Intendanten Müller näher als die Werte unserer freiheitlichen Gesellschaft? Offensichtlich will Müller bis heute nicht einsehen, dass sein damaliger Umgang mit Gergievs menschenverachtenden Äußerungen falsch war und sein Vertrauen in den »Freund« von eben diesem immer wieder bitter enttäuscht wurde. Gergiev war seinem Intendanten gegenüber nie loyal. Seine Treue galt stets – und schon sehr früh – seinem politischen Führer, Vladimir Putin. Gergiev ging es in München nie ums Brückenbauen, er war hier offensichtlich eine Speerspitze von Putins Kulturporpaganda – und Musikmanager wie Paul Müller haben ihm dabei den Rücken gestärkt. 

Verteidigung der Meinungsfreiheit?

Auch nach der Trennung von Valery Gergiev verteidigte Müller die russlandnahen Engagements seiner Musiker. Ich hatte ihn 2022 erneut angefragt, nachdem der Konzertmeister der Münchner Philharmoniker, Lorenz Nasturica, in Russland aufgetreten war – wohl gemerkt: nach dem erneuten Angriff Russlands auf die Urkaine im Februar 2022. Auch hier hielt Müller sich wieder bedeckt und ließ mich wissen: »Unser Handlungsspielraum ergibt sich aus dem Arbeitsrecht. Wir haben die Nebentatigkeit von Herrn Nasturica juristisch prüfen lassen. Mit dem Ergebnis, dass aus arbeitsrechtlicher Sicht dagegen nichts einzuwenden ist. Inwieweit sie ethisch zu vertreten ist, muss jeder, der sie ausübt, für sich selbst verantworten.« Nein, Paul Müller: Diese moralischen Fragen muss immer auch ein Intendant verantworten! Und wir sehen heute, dass Lorenz Nasturica sich derweil ebenfalls für Putin entschieden hat. 

Auch die aktuellen Erklärungen des AfD-Bundestatgsabgeordneten Matthias Moosdorf zu seinen Russland-Engagements weisen argumentative Brüche auf. Nachdem der Blogger Alexander Strauch (und nach ihm auch BackstageClassical) über Moosdorfs Nebenjob an der Musikhochschule in Moskau berichtet hatten, nahmen zunächst t-Online und dann der Spiegel das Thema auf.

Die verquere Moosdorf-Logik

Diese Woche hat Moosdorf in einem langatmigen Video zum Gegenschlag ausgeholt und sich als Medienopfer stilisiert: »So DREIST lügen die Medien über mich!« Der AfD-Abgeordnete erklärt in einem YouTube-Video, dass es ihm um das Brückenbauen gehe, darum, durch die Musik Kommunikationskanäle aufrecht zu erhalten. Er sagt, dass Beethoven überall in der Welt ein Garant für Menschenwürde sei. In seinem Video schwurbelt der Cellist als Politiker, der schon lange keine Rolle mehr im europäischen Musikbetrieb spielt, vor alten Künstler-Plakaten und mit seinen alten CDs in der Hand über den russischen Willen, durch die Musik Brücken schlagen zu wollen. Der zartbesaitete Musiker inszeniert sich als mediales Opfer. Moosdorf palavert davon, dass Europa Russland von sich abtrennen wolle und redet nicht darüber, dass Russland ein freies Land völkerrechtswidrig angegriffen hat. Der AfD-Mann lobt das russische Publikum, die perfekten Säle und die beseelte Stimmung in Putins Kultur-Reich.

Mehr zum Thema bei BackstageClassical

Sein Video kulminiert ausgerechnet in einer Lobhudelei für Winston Churchill, der sich einst weigerte, Londons Opernhäuser im Krieg zu schließen. Schräger geht es nicht! Versteht Moosdorf wirklich nicht, dass Winston Churchill und seine Engländer eine moralische Rückendeckung aus der Kultur gewonnen haben, um jenseits aller Verhandlungen Hitlers Deutschland in seinem völkerrechtswidrigen, mordenden und vernichtenden Handeln zu stoppen? Ist Moosdorf nicht klar, dass ein Krieger wie Putin Beethoven und seine Interpreten stattdessen für sein Morden missbraucht und dass jeder Musiker, der in seiner Machtmusik mitspielt, zu einem Handlanger wird?

Warum redet Moosdorf in seinem Video nicht darüber, dass er neben seinen musikalischen Engagements in Russland (die natürlich auch entlohnt werden) auch anderweitig aktiv ist. Er ist nicht nur bei Konzerten aufgetreten, die Putins Klassik-Mann Hans Joachim Frey in Russland organisiert hat, sondern auch beim russischen Wirtschaftsforum, das nach Correctiv-Recherchen unter anderem den Sinn hatte, innerhalb Russlands behaupten zu können, dass Putin international nicht isoliert sei.

Deutsche bei Putins Wirtschaftsforum

Ein Wirtschaftsforum übrigens, bei dem auch Frey zugegen war. Nach einem Bericht der Novayagazeta kritisierte der deutsche Kulturmanager damals das angebliche »Canceln« russischer Künstlerinnen und Künstler in Deutschland (ohne darauf hinzuweisen, dass regimekritische Künstler in Russland in Putins Zellen zu Tode hungern!). Außerdem nahm Frey vor einem russischen Publikum die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, aufs Korn. Ebenfalls anwesend beim Wirtschaftsforum war übrigens auch der Pianist Justus Frantz, über dessen Salons und Russland-Beziehungen wir in einer ausführlichen Recherche bereits berichtet haben. Hier begegneten sich unter anderem Putin-Mann Frey und Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht.

Bei AfD-Politiker Matthias Moosdorf scheint eine eindeutig russlandnahe Polit-Agenda die Triebfeder hinter seiner Verteidigung der Musik als »Brückenbauerin« zu stehen. Dass jemand wie Paul Müller nun ebenfalls versucht, seine Rolle in Russlands Kulturpropaganda herunterzuspielen, lässt sich nur schwer mit Naivität erklären. Spätestens mit dem letzten BR-Interview zeigt der scheidende Intendant der Münchner Philharmoniker, dass er bis heute nicht verstehen will, dass er ein wesentlicher und williger Teil im Spiel der russischen Kulturpropaganda mitten in Europa gewesen ist. Wäre es denn so schwer gewesen, einzugestehen, dass Paul Müller einfach ein bisschen zu lange an das Gute in Valery Gergiev geglaubt hat?

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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