Bei einer Orchesterversammlung bringt Intendant Gniffke das Fehlverhalten des designierten Chefdirigenten François-Xavier Roth zur Sprache, und der erklärte sich. Aber die Spaltung des SWR-Orchesters geht weiter.
Eigentlich sollte endlich Mal Ruhe sein beim SWR Sinfonieorchester. Programmdirektorin Anke Mai hoffte darauf, dass sich das Ensemble zusammenraufen, gemeinsame Verhaltenscodices entwickeln und eine neue Einheit schaffen würde, nachdem sie gemeinsam mit der Gesamtverantwortlichen des Orchesters, Sabrina Haane, beschlossen hatte, an François-Xavier Roth als designierten Chefdirigenten festzuhalten. Doch die Hoffnung nach Harmonie innerhalb des Orchesters erfüllt sich offenbar nicht.
Der Fall Roth bei BackstageClassical
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Verschiedene Mitglieder berichten gegenüber BackstageClassical von zwei Orchesterversammlungen, in denen die Gräben eher größer als kleiner geworden seien. Beim Auftakt am 4. Oktober erklärte SWR-Intendant Kai Gniffke demnach mehrfach sein Missfallen gegenüber Roths früheren Verfehlungen. Der hatte bereits eingestanden, ohne Einverständnis der Betroffenen, anzügliche Textnachrichten und Bilder seines Geschlechtsteils an Orchestermitglieder geschickt zu haben. Doch Gniffkes Ausführungen folgte keine Konsequenz. Im Gegenteil: Anke Mai und Sabrina Haane setzen sich mit ihren Forderungen durch, Roths Vertrag zu erfüllen – trotz großer Bedenken innerhalb des Orchesters. Mitglieder des SWR Sinfonieorchesters sprechen von »betretenen Gesichtern« am Ende der Orchesterversammlung.

Haben Anke Mai und Sabrina Haane ihren Intendanten durch ihren eigenen Kurs und ihr mangelndes Gespür für die Stimmung innerhalb des Orchesters in eine Richtung gelenkt, in der er nun in der Sackgasse steckt?
Das Orchester bleibt gespalten
Fakt ist, dass ein Riss durch die Reihen des Orchesters geht, den die beiden Managerinnen zum großen Teil selber zu verantworten haben. Mai und Haane predigen zwar Offenheit und Transparenz, versuchen aber sowohl innerhalb des Senders als auch nach außen, ihre eigene Agenda weitgehend kompromisslos durchzusetzen. Zum letzten öffentlichen Eklat kam es, als sie in einer Pressemitteilung suggerierten, dass das Orchester hinter der Entscheidung für François-Xavier Roth stehe. Daraufhin hatten 48 Musikerinnen und Musiker gegen diese Deutung protestiert. Zuvor hatten Haane und Mai bereits in der Kommunikation über die Russland-Verbindungen ihres damaligen Chefdirigenten Teodor Currentzis eine schlechte Figur in der Öffentlichkeit abgegeben. Wie, fragen nun einige Mitglieder des Orchesters, soll in einer solchen Atmosphäre Vertrauen entwickelt werden, um über intime Ängste zu sprechen?
BackstageClassical hatte bereits von einer Online-Konferenz berichtet, in der Haane und Mai die öffentlichen Beschwerden des Orchesters einfangen wollten. Auch hier hatten sie davon gesprochen, einen offenen Dialog etablieren zu wollen, was ihnen aber nicht gelang. Orchestermitgliedern, die das Vertrauen in ihre Leitung verloren haben, wird inzwischen mit rechtlichen Schritten gedroht, wenn sie ihre Bedenken nach Außen tragen.

Der Riss im Orchester verläuft grob gesprochen durch den alten Freiburg-Teil und den Stuttgart-Teil des fusionierten Ensembles. Und er wurde auch in einer zweiten Orchesterversammlung am 9. Oktober offensichtlich nicht gekittet. Hier soll es nach Aussagen von Musikerinnen und Musikern bei der Frage um die Abwahl des Orchestervorstandes zu einer skurrilen Situation gekommen sein: Es lagen mehr Stimmzettel in der Urne als Stimmberechtigte im Saal anwesend waren. Nachdem die Wahl wiederholt wurde, ist der Vorstand bestätigt worden.
Roth las ein Statement vor
François-Xavier Roth verlas derweil einen vorbereiteten Text. Nachfragen aus dem Orchester wurden auf Grund von »Verständigungsgründen« von Sabrina Haane übersetzt. Roths Antwort auf die Frage, ob es auch in seiner Freiburger Zeit zwischen 2010 und 2015 zu ähnlichen Vorfällen gekommen sei, empfanden einige Orchestermitglieder als »unwirsch und ausweichend«. BackstageClassical hat noch einmal explizit bei der Orchesterleitung nachgefragt und bekam die Antwort, dass man sich nich zu den Details der Orchesterversammlung äußere. Mai und Haane setzen also wieder auf ihre alte Strategie: Aussitzen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie eine Zusammenarbeit in dieser Atmosphäre zukünftig aussehen soll. Dem Orchestermanagement ist es nicht gelungen, die Situation zwischen dem designierten Chefdirigenten und einem Teil des Orchesters zu beruhigen.
Zur Zeit befindet sich das Orchester in Donaueschingen. Gestern Abend fand dort in der Baarsporthalle das erste Konzert der Musiktage statt, am Sonntag ist das Abschlusskonzert geplant. Man musiziert zwar noch gemeinsam, aber die Disharmonien werden immer lauter. Es ist offen, ob Intendant Kai Gniffke den offensichtlich scheiternden Kurs von Sabrina Haane und Anke Mai auch weiterhin mittragen wird.
