
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit der Frage nach dem Regietheater, dem Welttheater und dem Theater mit der Pressefreiheit.
Warum die USA uns alle angeht
Der Geiger Christian Tetzlaff hatte der New York Times erklärt, dass er seine US-Gastspiele aus Protest gegen die Regierung von Donald Trump absagt. Dafür gab es viel Zuspruch, aber auch Kritik: Warum mischt sich ein deutscher Klassik-Künstler in die amerikanische Politik ein? Im XXL-BackstageClassical-Gespräch erklärt Tetzlaff nun, dass es ihm in erster Linie darum geht, wie viele Menschen unter Trumps Politik leiden. Tetzlaff befürchtet die Entstehung eines totalitären Systems, erklärt, dass die Geschichte lehre, dass auch Künstlerinnen und Künstler in der Verantwortung stünden und argumentiert: Trumps Handeln würde auch sein eigenes Leben und das seiner Kinder betreffen. Tetzlaff habe so viele Auftritte in den USA und will das derzeitige System nicht durch seinen Steuern finanzieren. Er schneide sich mit seiner Entscheidung letztlich ins eigene Fleisch, sagt Tetzlaff, »es ist schade um die tollen Städte und die wunderbaren Menschen. Die Entscheidung ist sehr bitter, und sie hat mich viele schlaflose Nächte gekost.« Das sehr hörenswerte Gespräch (und seine Zusammenfassung) hier.
Kennedy Center unter Boykott-Druck
Im Podcast fragt Christian Tetzlaff auch, wie sich große US-Orchester in Zukunft verhalten. Kann ein Ensemble mit homosexuellen Musikerinnen und Musikern wie das Chicago Symphony Orchestra noch im Kennedy Center auftreten, wo gerade das International Pride Orchestra vor die Tür gesetzt wurde? Die Mitglieder des Musicals Hamilton haben schon Mal Konsequenzen gezogen und ihren Auftritt abgesagt: Produzent Jeffrey Seller will an der »neuen Kultur«, die dem Zentrum »aufgedrückt« werde nicht teilnehmen, und der Komponist von Hamilton, Lin-Manuel Miranda , spricht bereits vom »Trump Kennedy Center«. Donald Trump hat indes weitere Aufsichtsratsposten im Center mit den kulturell unbeleckten FOX-Gesichtern Maria Bartiromo und Laura Ingraham besetzt. Inzwischen hat auch die deutsche Pianistin Schaghajegh Nosrati ihre US-Tour abgesagt.

Neuer Spielplan in den USA
Wir haben diese Woche einige Opern vorgeschlagen, die noch problemlos in den USA aufgeführt werden können. Sie haben auf unseren Social-Media-Seiten mitgedacht. Hier unsere Top-10:
- Die Liebe zu dem einen Orangen
- La Trumpiata
- Riggedoletto
- Vladimir Gudonow
- Cosi Vance tutte
- Lady Macbeth von Novo Mesto
- La verità in cimento
- Un Ballo in Musk Era
- Die Mauer des Schicksals
- X-Erxes
- Don Junior Pasquale

Berliner Musikhochschulen
Nachdem wir letzte Woche bereits über weitere Sparmaßnahmen im Berliner Klassik-Betrieb berichtet hatten, warnt die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen nun vor der existenziellen Bedrohung der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und der Universität der Künste Berlin durch geplante Kürzungen. Prof. Christian Fischer kritisiert das Vorgehen als »vertragswidrig« und warnt vor langfristigen Folgen für die künstlerische Ausbildung. Die geplante Reduzierung um 1,47 Millionen Euro im Jahr 2025 könnte die internationale Spitzenstellung gefährden und zu strukturellen Schäden führen. Der Akademische Senat prüft rechtliche Schritte, um die Zukunft der Hochschule und den Standort Berlin zu sichern.

Das ewige Gerangel um das Regietheater
Das Thema ist ein Dauerbrenner: Regietheater! Dabei sind wir uns nicht einmal einig über die Definition des Wortes. Die Dramaturgen Kornelius Paede und Ulrike Hartung schreiben in einem Essay, dass Philippe Jordan sein Amt als Musikdirektor der Wiener Staatsoper mit Verweis auf das Regietheater nicht verlängert habe, dass Riccardo Muti moderner Opernregie vorwirft, Musik »zur Jukebox« zu degradieren, und dass bei einer Podiumsdiskussion des Wiener Richard-Wagner-Verbandes mit Waltraud Meier, Albert Gier und Roland Schwab geäußert wurde: »Kenntlich werde das ‚Regietheater‘ durch eine gewisse Asozialität im Umgang mit den ihm anvertrauten Musiktheaterwerken und Kunstschaffenden – egomanische Arroganz und Interesselosigkeit am Gegenüber…« Nun ordnen die beiden Autoren den Diskurs noch einmal ausführlich, und ich habe mich für einen BackstageClassical-Podcast ausführlich mit Paede darüber unterhalten, wie die Oper in der Ära nach dem Regietheater aussehen könnte.
Ravels musikalische Innenwelten
Diese Woche ist der Film Bolero zum 150. Geburtstag von Maurice Ravel in die Kinos gekommen. Regisseurin Anne Fontaine inszeniert die Innenwelt des Komponisten und will sich nicht auf biographische Details festlegen. Im BackstageClassical–Interview sagt sie: »Wir versuchen Charaktere wie Ravel in Schubladen zu stecken, wenn wir sie erklären. Da gibt es Biographen, die sagen: ‚Oh ja, da war der Weltkrieg, der ihn irgendwie desillusioniert hat‘. Andere sagen, ‚Oh, vielleicht war er schwul, deshalb hat es mit den Frauen nicht funktioniert!‘ Ich wollte derartige Positionen einfach nicht einnehmen.« Das ganze Gespräch zum Film und über das Leben von Ravel hier.

Personalien der Woche
Am Brucknerhaus in Linz gibt es allerhand Personalentscheidungen zu treffen. Die interimistische Chefin Johanna Möslinger erklärte den Oberösterreichischen Nachrichten, dass der Nachfolger von Chefdirigent Markus Poschner jemand sein sollte, »den man lieben darf«. Es ginge um musikalische Qualität, aber auch um Vermittlungsarbeit. 141 Kandidatinnen und Kandidaten hätten sich beworben, und »es wird immer wichtiger, dass diese Person die Funktion eines Kommunikators übernimmt«, sagt Möslinger. Auch der Posten der Interims-Chefin selber wurde neu ausgeschrieben. Ob Möslinger die Gesamtverantwortliche bleibt, ob ihr ein künstlerischer Leiter in einer Team-Lösung an die Seite gestellt wird, oder ob jemand ganz anderes kommt, ist noch unklar. +++ Für allerhand Aufsehen sorgte die Programmpräsentation von Tobias Kratzer als designierter Intendant in Hamburg. Er plant unter anderem ein Oratorium von Robert Schumann, eine Trump-Oper mit dem Titel Monsters Paradise mit einem Text von Elfriede Jelinek und einen Abend mit einer Mischung aus unbekannteren Mozart-Stücken. »Ein Publikum von heute will angesprochen werden durch ein Projekt, das etwas mit ihm zu tun hat«, sagt Kratzer, »und das danach auch einen sinnlichen Eindruck hinterlässt.« +++ Asmik Grigorian – gerade hat sie ihre phänomenale Norma-Reihe in Wien beendet. Nun will sie sich erst einmal eine Auszeit nehmen und hat ihr US-Gastspiel in Cleveland abgesagt. Große Kunst braucht Ruhe.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Vielleicht ja hier! Das Landgericht Hamburg hat den Erlass auf Unterlassung, den Markus Hinterhäuser und der Fonds der Salzburger Festspiele (Kristina Hammer, Markus Hinterhäuser und Lukas Crepaz) gegen mich auf Grund von Texten bei BackstageClassical eingereicht hatten, in allen sieben Punkten zurückgewiesen (mehr hier). Ein erster großer Erfolg, auch, wenn die Antragsteller Beschwerde eingelegt haben und nun noch einmal alles zum Oberlandesgericht geht. Gerade in diesen Zeiten bin ich froh, dass wir in Europa leben, wo Gerichte – egal, wie sie entscheiden – unabhängig und frei sind. Ganz besonders danke ich Ihnen, den zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern. Sie haben es durch ihren Zuspruch in so vielen Mails und Anrufen und auch durch ihre Spenden ermöglicht, dass wir das finanzielle Risiko einer juristischen Klärung vor Gericht auf uns nehmen konnten, und dass investigativer, unabhängiger und meinungsstarker Journalismus sich behaupten kann. Auch weiterhin ist BackstageClassical auf Ihre Spenden angewiesen, die hauptsächlich in die Honorare für die Autorinnen und Autoren fließen.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann