In Wien zeigen drei Opernhäuser die Vielfalt des Genres: Stefan Herheim denkt Oper von der Kunst, Lotte de Beer bewegt eine ganze Stadt, und Bogdan Roščić pflegt ein Opernmuseum.
English summary: Vienna’s three opera houses showcase diverse visions of the genre. Lotte de Beer revitalizes the Volksoper with a bold and diverse ensemble, Stefan Herheim pushes boundaries at Theater an der Wien, focusing on innovative productions, while Bogdan Roščić manages the Staatsoper, an institution that maintains its classical prestige but lacks bold new direction. These differing approaches illustrate how opera in Vienna is evolving, each attracting a loyal audience, while the Staatsoper has become more of a tourist attraction than a leader in innovation.
Drei Opernhäuser in einer Stadt: Staatsoper, Volksoper und Theater an der Wien machen Österreichs Hauptstadt zu einer Musiktheaterlabor-Metropole. Nirgends geht es so vielfältig in Sachen Oper zu wie hier: Drei Häuser mit unterschiedlichen Strukturen werden von drei konträren Opern-Visionären geführt.
Die Niederländerin Lotte de Beer hat die etwas verstaubte Volksoper durch ein bewusst buntes und diverses Ensemble und Programm auf den Kopf gestellt. Am Theater an der Wien hat Stefan Herheim (sein Vertrag wurde gerade bis 2030 verlängert) geduldig auf den Umbau seines Theaters am Naschmarkt gewartet und in der Ausweichspielstätte – im Museumsquartier – versucht, Oper im Stagione-Prinzip von den Künstlerinnen und Künstler her zu denken. An der altehrwürdigen Staatsoper poliert Ex-Platten-Boss Bogdan Roščić derweil das Blattgold und managet ein erfolgreiches, aber etwas in die Tage gekommenes Opernmuseum.
Besonders spannend wird es, wenn zwei Häuser die gleiche Oper als Premiere planen, so wie gerade mit Bellinis Norma: Herheims Theater an der Wien stellte mit Asmik Grigorian und Aigul Akhmetshina zwei Frauen auf die Bühne, die bewusst nicht aus dem Bel-Canto-Fach kommen und warf so ein ganz neues Ohr auf das Stück. An der Staatsoper setzte Bogdan Roščić indes auf große (aber etwas abgetakelte) Namen wie Juan Diego Flórez und Ildebrando D’Arcangelo – die Titelrolle besetzte er mit Federica Lombardi. Es hagelte Verrisse, wohl auch, weil Regisseur Cyrill Teste einen altbackenen Ausstattungsschinken präsentierte, während Vasily Barkhatov am Theater an der Wien ein reduziert psychologisches Seelendrama bot. Man könnte die Wiener Norma-Battle auch so zusammenfassen: Ein Haus belebt die Oper aus den Heute, das andere pflegt sie zu Tode.
Es lohnt sich, die Wiener Opernhäuser genauer unter die Lupe zu nehmen, um zu verstehen, in Welche Richtungen sich das Genre derzeit bewegt.
Regenbogengaudi – Lotte de Beers Volksoper

Lotte de Beer ist mit einem sehr großen Besen in Wien angekommen. An der Volksoper steckte das Konzept der gemütlichen Abo-Oper in der Krise: viel biedere Opernbehauptung und immer wieder der Versuch, sich in Musicals zu retten. De Beer hat dem Haus zunächst einen provokant pinken Frauenpower-Außenanstrich verpasst, und – viel wichtiger – innerhalb des Ensembles mutig aufgeräumt. Gemeinsam mit ihrem ersten GMD, Omer Meir Wellber, hat sie alte Zöpfe erbarmungslos abgeschnitten, was ihr allerhand Missgunst, Beschimpfungen und Pöbeleien eingebracht hat. All das erwiderte sie mit energischem Lächeln, selbstbewusstem Optimismus und klarem Kompass.
Inhaltlich setzt de Beer auf Projekte, die eine konkrete Idee verfolgen. Egal, ob es die Nazi-Vergangenheit des eigenen Hauses in einer Operetten-Bearbeitung von Gruß und Kuss aus der Wachau ist, eine neue Oper über Alma Mahler, der Dialog von Mozarts Requiem mit Ullmanns Kaiser von Atlantis, oder einfach nur die alte Fledermaus – feministisch entrümpelt.
Nicht jede Premiere an der Volksoper ist ein großer künstlerischer Wurf. Vieles ist besonders handwerklich ausbaufähig. Zuweilen ist es sogar verwunderlich, wie bieder und wertkonservativ die Produktionen hinter dem dramaturgischen Regenbogen sind, die dann – und das ist das Verblüffende – von einem durchaus jungen Publikum euphorisch beklatscht werden.
Aber es sind eben auch nicht die einzelnen Produktionen der Volksoper, die ihren Erfolg ausmachen, sondern de Beers Gespür dafür, ihr Ensemble ins Zentrum zu rücken: Sie hat Sängerinnen wie Annette Dasch ans Haus gebunden, Künstlerinnen wie Katia Ledoux eine Bühne gegeben, setzt auf großartige und vielschichtige Stimmen wie Annelie Sophie Müller und auf Haus-Lieblinge wie Daniel Schmutzhardt. Das Ensemble der Volksoper ist mit dem Publikum verbunden: Man schaut auf die »Aufstellung« vor den Aufführungen, geht gern auch zwei Mal ins gleiche Stück mit anderen Besetzungen. So entsteht Bindung.

Gleiches gilt für das Orchester: Zunächst war es Omer Meir Wellber, nun ist es Ben Glassberg, der das Ensemble motiviert, nicht allein Musik zu machen, sondern Haltung gegenüber den Partituren einzunehmen, sie zuweilen auch mächtig gegen den Strich zu bürsten.
Lotte de Beer hat mit der Volksoper so etwas wie eine Fortsetzung der Komische Oper von Barrie Kosky in Berlin geschaffen – nur mit vollkommen anderen Mitteln. Nicht jede Premiere an ihrem Haus ist ein künstlerisches Gesamt-Highlight, aber jede Aufführung hat eine Idee, mit der es sich auseinanderzusetzen lohnt. Die Volksoper ist zu einem überraschenden Opernsalon für alle Wienerinnen und Wiener geworden.
Ästhetischer Anwalt der Oper – Stefan Herheims Theater an der Wien

Während das Ensemble der Protagonist an der Volksoper ist, muss Stefan Herheims Theater an der Wien als Stagione-Haus traditionell ohne festes Ensemble auskommen. Hier behauptet sich Oper jeden Abend neu. Im Gespräch mit BackstageClassical erklärte Herheim einmal, was ihn als Regisseur treibt, auch als Intendant zu arbeiten: Oft stünden die logistischen Abläufe eines Opernhauses der Kreativität im Wege, sagt er. Zuweilen wisse man, wenn man mit der konkreten Probearbeit anfange, gar nicht mehr, wieso man das Konzept einst entwickelt hat. Herheim will seine Bühne zu einer Heimat für all jene Künstler-Kollegen machen, die das Werk und die Idee in Vordergrund stellen und nach neuen Produktionsbedingungen mit möglichst wenig Reibungsverlusten suchen.
Ein guter Ansatz, der allerdings auch dazu führen kann, dass es innerhalb des Produktionsprozesses etwas zu affirmativ zugeht. Sympathisch, wie Herheim sich am liebsten mit seinem Team (mit Castingdirektor Peter Heilker und Betriebsdirektorin Carolin Wielpütz) zeigt – und ja, man nimmt dem Haus diesen Teamgeist auch ab.
Aber vielleicht würde ein wenig mehr Reibung dem künstlerischen Prozess gut tun, ein wenig mehr Widerspruch und Debatte. Viele Produktionen am Theater an der Wien sind erkennbar ambitioniert, aber oft irgendwie zahnlos. Tobias Kratzer hat mit Schwanda der Dudelsackpfeifer oder La Grazza Ladra stimmungsvolle, aber eben auch nicht seine besten Arbeiten abgeliefert. Der vermurkste Film-Freischütz von David Marton hätte bei energischem Eingreifen der Intendanz vielleicht auch verhindert werden können, und die La Périchole von Nikolaus Habjan war ein (wenn auch ästhetischer) Firlefanz. Mag sein, dass die Ausweich-Situation mit verantwortlich dafür ist, dass die letzten Prozent bis zur Perfektion oft noch fehlen. Am effektvollsten ist die Freiheit am Haus derzeit wohl, wenn der Intendant selber Hand anlegt, sie wie mit der Eröffnungspremiere, Herheims Schlauen Füchslein (als nächstes wird er die Fledermaus inszenieren).
Allen Abenden am Theater an der Wien sieht man eine Idee an, ein Wollen und meist auch den Mut zum Experiment. Das macht die Besuche zu lohnenden Abenteuern, zumal man sicher sein kann, dass die Besetzungen in der Regel mit Bedacht und großem Sachverstand gewählt wurden (das zeigte gerade auch die Norma).
Stefan Herheim hat die Umbauphase genutzt, um das Operntheater, das er sich vorstellt, zu entwickeln, und man kann sicher sein, dass das Theater an der Wien im neueröffneten Haus am Naschmarkt nicht aufhören wird, immer wieder neue Fragen an die alte Form des Singspiels zu stellen – meist freilich innerhalb des ästhetischen Kosmos‘ des Intendanten. Gut, dass sein Vertrag verlängert wurde! Das Theater an der Wien bietet Opern-Abenteuer mit modernem Zugriff, spektakuläre Besetzungen und allerhand Star-Rummel. Für all das stand einst die Staatsoper, sie hat neben Herheims »neuem« Musiktheater an der Wien ihre stilbildende Führungsposition allerdings eingebüßt.
Das erfolgreiche Opernmuseum – Die Wiener Staatsoper von Bogdan Roščić

Staatsopern-Intendant Bogdan Roščić ist die tragische Figur im Wiener Opernleben. Er gibt sich mit seinen Einführungs-Veranstaltungen alle Mühe, intellektuell zu erscheinen und bleibt am Ende doch weitgehend jener selbstgefällige Opern-Verkäufer, der er bereits als Manager bei Sony war.
Vor allen Dingen fehlt Roščić ein gutes Team. Er hat sich mit Leuten umgeben, die auf vielen Ebenen streitbar sind. Egal, ob es sich um eine Öffentlichkeitsarbeit handelt, die nur sehr schwer mit Kritik umgehen kann, um einen Besetzungschef, der regelmäßig in abgegriffene Sängertöpfe greift, oder um eine Dramaturgie, die im Regietheater von gestern stehengeblieben ist. Seit Roščić die Staatsoper übernommen hat, läuft hier nur wenig zusammen. Hinzu kommen die Scharmützel mit GMD Philippe Jordan und letztlich dessen Abgang, und ein Opernorchester, das in der öffentlichen Kritik neuerdings öfter als uninspiriert wahrgenommen wird. Es scheint, als würde das Staatsopern-Ensemble selber die Lust an der Staatsoper verlieren.
Mit Bogdan Roščić spielt das Haus in Sachen Entdeckungen, Mut oder gar im Vordenken des Genres kaum noch eine Rolle. Dem Intendanten scheint das Bewusstsein für aktuelle Trends zu fehlen. Das war bereits abzusehen, als er seine Intendanz damit begann, über modernes Theater zu palavern, gleichzeitig aber die 30 Jahre alte Carmen von Calixto Bieito für die Staatsoper als Innovation ankaufte.
In das Bild passt, dass sein Team weitgehend in Stuttgarts alter Zehelein-Ära stehengeblieben ist. Was Regie- und Stimm-Verpflichtungen betrifft, hechelt die Staatsoper den Trends regelmäßig hinterher. Doch vielleicht ist Innovation auch gar nicht das Ziel von Opern-Manager Roščić. Denn, was man ihm zugestehen muss: Seine Zahlen stimmen, die Auslastung ist hoch, die Bilanzen geben ihm – jedenfalls an der Ticketkasse – Recht.
Es bedurfte nicht erst des Norma-Vergleiches, um zu erkennen, dass das Haus am Ring schon lange nicht mehr das erste Haus der Stadt ist. Innovativere, mutigere und spannendere Oper gibt es schon lange im Theater an der Wien, und die Volksoper macht vor, wie man auch ein jüngeres Publikum wieder für das Singspiel begeistert, eine treue Klientel entwickelt und Debatten innerhalb einer Stadtgesellschaft pflanzt.
Die Staatsoper steht inzwischen hauptsächlich noch für Opernball-Schickimicki und ein altes, überkommenes Klassik-Bild und ist so lebendig wie Mörtel-Lugner. Wenn man nicht hingeht, verpasst man wenig. Mit dem Nest hat zwar auch Roščić eine neue Bühne für die Kinder und Jugendliche bekommen, doch noch fehlt auch hier ein zugängliches Image. Das Haus wirkt eher wie ein Prestige-Objekt von Eltern, die anderen Erwachsenen zeigen wollen, was für einen teuren Kinderwagen sie gekauft haben. Doch die Staatsoper erfüllt auf ihre Art ebenfalls eine Rolle in der Wiener Opern-Triologie: Sie ist das Touristen-Museum, ein Disneyland von gestern.
Während in Städten wie Berlin oder München der Sparstift umgeht, macht Wien vor, wie vielfältig Oper sein kann. Drei grundlegend unterschiedliche Häuser und Intendanzen zeigen hier drei vollkommen verschiedene Grundauffassungen von Musiktheater in unserer Zeit – und gewinnen, jeder für sich, ein begeistertes Publikum.