
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit Dirigenten-Klatsch aus Dresden und Zürich, einem weiteren gescheiterten Verfahren in Leipzig, dem Ringen um Deutungshoheit in Kassel und allerhand digitalen Noten.
Neue Leipzig-Schlappe
Nachdem schon kein Intendant für die Oper Leipzig gefunden werden konnte, musste auch die Stelle des Verwaltungsdirektors am Gewandhaus neu ausgeschrieben werden. Die Stadt Leipzig hat gegenüber BackstageClassical bestätigt, dass das Verfahren zur Nachbesetzung im Februar 2025 ohne Entscheidung beendet und die Stelle erneut ausgeschrieben werden musste. Die ganze Geschichte ist eine erneute Farce: Wieder gab es wohl eher peinliche Rollenspiele, wieder saßen kulturferne Politikerinnen und Politiker in den Verfahren, wieder erstreckte es sich über vier ergebnislose Runden. Ob Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke Konsequenzen aus den beiden gescheiterten Auswahlverfahren und dem damit verbundenen Imageschaden für die Kulturstadt zieht, bleibt offen. »Vorgehensweisen, Verfahrensabläufe und der Einsatz bestimmter Fragetechniken (…) werden regelmäßig reflektiert, modifiziert und bei Bedarf neu ausgerichtet«, heißt es von Seiten der Stadt. Ob das reicht, um in den zweiten Verfahren für die Opernintendanz und für die Verwaltungsdirektion des Gewandhauses bessere Kandidaten zu finden, ist mehr als fraglich. Die ganze Geschichte lesen Sie hier.

Die Demontage der Dirigenten?
Wird die Rolle der Dirigenten an deutschen Theatern kleingeschrumpft? Dass ihre Bedeutung schwindet, wird an vermeintlichen Kleinigkeiten sichtbar: Immer mehr Opern lassen Kandidatinnen und Kandiaten bei Bewerbungen Opern dirigieren, ohne die Anwärter dafür zu bezahlen. Vor allen Dingen aber: Fast ein Drittel aller GMD-Verträge sollen als NV Bühne-Verträge unterschrieben werden, was die Position von Dirigent und Orchester innerhalb der Häuser enorm schwächt. Dazu passt der andauernde Streit am Theater Kassel. Dort hat das Magazin des Deutschen Bühnenvereins, die Deutsche Bühne, in einer Sonderausgabe gerade den umstrittenen Intendanten Florian Lutz ziemlich unkritisch gelobhudelt. Warum das ein Rohrkrepierer ist, beschreibe ich in einer ausführlichen Analyse der Situation. Statt sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, wäre eine schonungslose Analyse des Richtungsstreites, der in Kassel tobt sicherlich hilfreicher – auch um das Publikum vor Ort mitzunehmen.
Personalien der Woche I
Berlin bringt seine Musikhochschulen ans Existenzminimum: Gestiegene Studierendenzahlen, knappe finanzielle und personelle Ressourcen sowie zunehmende Verwaltungsaufgaben für Lehrende. Außerdem wächst der Druck auf Lehrende durch befristete Verträge und unsichere Beschäftigungsverhältnisse. Mathis Ubben fasst die bedrohliche Situation für die NMZ zusammen.

Dresdner Machtspiele
Dass Dirigent Daniele Gatti nun nach Florenz zurückkehrt, zum Maggio Musicale, wo er bereits einmal (unter Alexander Pereira) war, ist auf vielen Ebenen interessant. Vor allen Dingen für die Staatskapelle Dresden, wo er ebenfalls Chefdirigent ist. Dass ausgerechnet der Erste Gastdirigent dieses Orchesters, Myung-Whun Chung, kürzlich jenen Job ergattert hatte, den Gatti angeblich ebenfalls haben wollte, und zum designierten Chefdirigenten des Orchesters der Mailänder Scala ernannt wurde, dürfte die interne Stimmung an der Elbe nicht gerade verbessert haben. Gatti war in Dresden auf Christian Thielemann gefolgt. Gerade auf dem internationalen Markt scheint Gatti es nach öffentlichen Skandalen schwer zu haben. Interessant wird es, wenn Thielemann mal wieder in der Stadt seiner alten Kapelle vorbeischaut: Nicht als Dirigent seiner ehemaligen »Wunderharfe«, sondern als Gast im Kulturpalast, gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern.
Bach wie noch nie
Der Tölzer Knabenchor wird erstmals Bach-Kantaten in originaler Stimmstärke aufführen, mit drei bis vier Sängern pro Stimme, so wie Bach es 1730 gewünscht hatte. Im Gespräch mit BackstageClassical erklärt die Geschäftsführerin des Chores, Barbara Schmidt-Gaden, dass es Knabenchören immer schwerer falle, Nachwuchs zu finden. Der Tölzer Knabenchor habe in rund 100 Grundschulen 1.500 musisch begabte Kinder entdeckt, die tatsächlichen Anmeldungen zu Schnupperkursen seien dabei von 140 Anmeldungen im Jahr 2017 auf lediglich 60 im aktuellen Schuljahr zurückgegangen. Schuld seien die Bildungspolitik und die neue Schulstruktur. »Wir haben es mit überforderten Kindern zu tun, wenn sie bis 16 Uhr Unterricht haben«, sagt Schmidt-Gaden. »Damals war um 13 Uhr Schulschluss, und den Kindern blieb ausreichend Zeit für Chorproben. Heute kommen viele um 16 Uhr zur Probe und sind total durch.«

Sparmaßnahmen in Berlin
Keine Demokratieklausel in Berlin, dafür aber ein gemeinsamer Ticket-Anbieter für alle Theater- und Opernhäuser? Das ist jedenfalls der Plan von Senatorin Sarah Wedl-Wilson. »Muss wirklich jedes Theater eine eigene Theaterkasse haben, die den ganzen Tag besetzt ist? Diese Frage muss erlaubt sein«, sagte sie der dpa. Rund 70 Prozent der Eintrittskarten würden inzwischen digital verkauft. Diskutiert werde, ob und wie ein gemeinsames Ticketing-Modell umgesetzt werden könne – denkbar sei etwa ein zentrales Berlin-Ticket-Kartenbüro für alle Häuser. Die Frage ist, wie lange mit derartigen Maßnahmen noch die nötigen Millionen eingespart werden können. Oder steht irgendwann auch eine logische Fusion von Staatsoper und Deutscher Oper auf der Liste? Ein Intendant, ein GMD, ein Orchester – dazu einige Staggione-Produktionen. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, wann es zu massiveren Einsparungen kommen wird.
Personalien der Woche II
Donald Trump wurde im Kennedy Center ausgebuht. Der Vorfall ereignete sich, als der Präsident ausgerechnet jenes Musical besuchte, in dem es um den Widerstand gegen autoritäre Herrschaft geht: Les Misérables. +++ Nachdem wir letzte Woche kritisch über Michael Barenboims Engagement für Gaza berichtet hatten, schickten uns mehrere LeserInnen Screenshots seines Insta-Profils, auf dem Barenboim unter anderem die deutsche Demokratie diskreditierte: »I‘m not sure I have any words to describe the ridiculous state of democracy à l‘allemande…« +++ Das Hamburg Ballett und sein Intendant Demis Volpi gehen nach nur einem Jahr getrennte Wege. Wie die Kulturbehörde am Dienstag mitteilte, wurde der Vertrag des 39-jährigen Deutsch-Argentiniers vorzeitig zum Ende der Spielzeit aufgelöst, Volpi ist ab sofort freigestellt.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn. Vielleicht ja hier! Tatsächlich war es die Anzeige oben (»Digitale Noten«), die mich als Journalist neugierig gemacht hat: Wie weit ist die Digitalisierung der Klassik vorangeschritten? Was sind die Probleme? Was die Vorteile? Darüber habe ich mich deshalb mit Joshua Neumann unterhalten, dem Digital Transformation Manager der ROC in Berlin. Tatsächlich ist der Wechsel zu digitalen Noten eine Grundsatzentscheidung mit vielen Vorteilen, aber auch mit einigen Herausforderungen. Ich lade Sie ein, unseren gemeinsamen Podcast anzuhören (oder die Zusammenfassung zu lesen) – mehr dazu gibt es auch in dem offenen Online-Panel am 24. Juni um 13:00.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann