Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit eine Blick hinter die journalistischen Kulissen des SWR, mit einem Schicksalstag in Weimar und einer großen, neuen Klassik-Liebe.
Schafft der SWR ein toxisches Kultur-System?
Eine ausführliche Reportage von BackstageClassical fragt, wie die Kulturredaktion des SWR mit Kritik umgeht: Berichtet der Sender wirklich unabhängig über die Vorwürfe gegen den designierten Dirigenten François-Xavier Roth, über die Russland-Verbindungen des scheidenden Chefdirigenten Teodor Currentzis und über die Kritik an der Neubesetzung der Schwetzinger Festspiele durch Cornelia Bend? Unsere Reportage zeigt, dass SWR-Programmchefin Anke Mai nicht nur ein schlechtes Händchen in der Personalpolitik hat, sondern dass sich unter ihrer Leitung ein toxisches System innerhalb des SWR-Kulturjournalismus entwickeln könnte. Kritik am Sender wird auf vielen Ebenen unterbunden, und selbst außerhalb des SWR schreiben freie Journalisten nicht wirklich frei über die Geschehnisse beim SWR. Die ausführliche Story über den Verfall von Transparenz und Standards des Kulturjournalismus gibt es hier.
Leiden wir unter Festivalitis?
Welche Formen von Festivals haben eine Zukunft? Und welche Sommerfestivals werden es schwer haben? Im BackstageClassical-Podcast »Guten Morgen, Herr Wille!« erklärt der Intendant der Sommerlichen Musiktage Hitzacker, Oliver Wille, dass es gerade in einer Zeit, in der es immer mehr Festivals gibt, wichtig ist, sich klar zu positionieren. Wille glaubt, dass gerade jetzt die Zeit für kleinere Festivals schlägt, die sich ernsthaft und konzentriert um Musik kümmern und das Publikum durch ihre Programme herausfordern. Wille befürchtet, dass es in Zukunft eher die großen Veranstalter schwer haben werden, die gezwungen sind, immer weiter zu expandieren. »Mit Skepsis beobachte ich, dass gerade die großen Festivals wie das Schleswig-Holstein Musik Festival oder Mecklenburg in den letzten Jahren immer größer geworden sind«, sagt Wille, »und ich frage mich, ob das so gut gehen wird.« Hier alle Thesen aus dem Interview mit Oliver Wille.
Klassik-Traumpaar trennt sich – und findet sich!
BackstageClassical hatte es im letzten Newsletter bereits angedeutet, nun ist es bestätigt: Anna Netrebko und der Tenor Yusif Eyvazov werden privat getrennte Wege gehen. »Nach zehn glücklichen gemeinsamen Jahren haben wir die schwierige, aber freundschaftliche Entscheidung getroffen, uns zu trennen«, heißt es in einem Statement der beiden. Wird Eyvazov sich nun weiter gen Russland orientieren und Netrebko endgültig auf die europäischen Bühnen zurückkehren? Wie auch immer: die Klassik-Szene hat den Schmerz schnell überwunden und schon ein neues Traumpaar. Gerade hat Sony Classical das Cover ihres neuen Albums bekannt gegeben:
Schicksalstag in Weimar
Heute wird im Rahmen der Hochschulversammlung über die Zukunft des Instituts für Alte Musik an der Franz Liszt Musikhochschule in Weimar abgestimmt. Die Studierenden haben letzte Woche bereits eine Petition gegen die Schließung des Seminars abgegeben (wir haben berichtet). Inzwischen existiert auch ein Appell prominenter Künstlerinnen für den Erhalt der Alten Musik: Dirigent Ton Koopman, Bach-Forscher und Harvard-Professor Christoph Wolff, Ernst von Siemens-Preisträger Peter Gülke, Peter Reidemeister als langjähriger Direktor der Schola Cantorum Basiliensis, Michael Maul als Intendant des Bachfests Leipzig, Wolfgang Hirschmann als Präsident der Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik (MBM) sowie Midori Seiler und Gottfried von der Goltz (beide Barockvioline), Dorothee Oberlinger (Blockflöte) und Joachim Held (Laute) setzten sich gegen die Schließung des Seminars in Weimar ein.
BackstageClassical steht für kritischen Journalismus und finanziert sich auch durch Spenden – sie fließen direkt in Autoren-Honorare.
Umbau der Salzburger Festspiele beginnt
Der Festspielbezirk der Salzburger Festspiele wird zur Großbaustelle. Die Bauherren rechnen mit einer Kostensteigerung auf 400 Millionen Euro. Ende August wird mit dem Umbau eines ehemaligen Kaffeehauses hinter der Pferdeschwemme die erste Phase des Projekts eingeläutet. 2030 sollen die Bauarbeiten beendet sein: Das Große Festspielhaus wird grundlegend saniert, neue Werkstätten und Zufahrtswege entstehen.
Guten Morgen, Hans Werner Henze!
Am 1. Juli 1926 wurde der Komponist Hans Werner Henze in Gütersloh geboren. Vor fast 20 Jahren habe ich ihn in seiner Heimat in Italien besucht – einen ganzen Tag lang. Ich habe mit ihm über sein Leben und die Musik gesprochen, darüber, warum die Neutöner aus Darmstadt ihn ignoriert haben, wie sehr ihm die Vernichtung des Floß der Medusa in Hamburg kränkte, von seiner Liebe zu Ingeborg Bachmann und seinen Hass auf Max Frisch. Über den jungen Christian Thielemann und den Wunsch der Todesart. Ach ja, Johann Sebastian Bach spielt natürlich auch eine große Rolle. All das habe ich in einer (wie ich finde) spannenden Interview-Collage zusammengefasst. Viel Spaß beim Hören!
Personalien der Woche
Die Deutsche Oper am Rhein feiert auf Instagram den Umzug mit einem Jubel-Chor aus dem Fliegenden Holländer. Der Rat der Landeshauptstadt Düsseldorf hat am Dienstag beschlossen, das Areal am Wehrhahn zu kaufen. Damit geht ein langes Hick-Hack um das neue Haus zu Ende. Der Umbau an der Heinrich-Heine-Allee ist ebenfalls endgültig vom Tisch. +++ Erinnern Sie sich noch an den Musiker, der zunächst seiner eigenen Mutter und dann seinen Kolleginnen und Kollegen Rattengift untermischte? Das Landgericht Hannover muss den Fall nun teilweise neu aufrollen. Die Verurteilung des Manns wegen versuchten Mordes an seiner eigenen Mutter ist rechtskräftig, über die Vergiftung der Kollegen mit Rattengift-Frischkäsedip muss dagegen neu verhandelt und entschieden werden. +++
Was macht unser Freund Günter Groisböck eigentlich in den Probe-Pausen der Bayreuther Festspiele? Wer seinem X-Account folgt, weiß: Er radelt und radelt und radelt und entspannt am Klavier mit einer Runde: Rammstein! +++ Back to childhood: Daniel Hope kehrt als Intendant an jenen Ort zurück, wo er die intensivsten Erfahrungen mit klassischer Musik machte. Er wird das Gstaad Menuhin Festival seines Lehrers Yehudi Menuhin in die Zukunft führen. Daniel Hope sagt: »Das Gstaad Menuhin Festival war der Ausgangspunkt meiner Beziehung zur Musik: Hier hatte ich als Kleinkind meine erste Begegnung mit der klassischen Musik überhaupt. Hier durfte ich auch ab meinem 11. Lebensjahr für die Künstler des Festivals umblättern und als ich schliesslich im August 1992 mein offizielles Debüt beim Festival gab, saß Yehudi Menuhin selbst im Publikum. Kurzgefasst: Gstaad ist so sehr Bestandteil meiner musikalischen DNA, dass es keine Rolle spielt, wo ich mich auf der Welt befinde. Musik und Berner Oberland – dies ist für mich die perfekte Symbiose.» +++ Joe Biden machte keine gute Figur im Duell gegen Donald Trump. Wohin die Kulturpolitik der USA unter Trump gehen könnte, zeigt derzeit der republikanische Senator von Florida, Ron DeSantis. Er hat in einer Nacht- und Nebel-Aktion die gesamten Kultur-Unterstützung des Staates gestrichen – 32 Millionen Dollar wurden so eingespart. Warum, weiß niemand.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Im Zweifel dort, wo gerade die heile Welt simuliert wird: Bei der Fußball Europameisterschaft. Gern erinnere ich noch Mal an den BackstageClassical Klassik-EM-Tipp mit vielen Stars der Musik und ihren Bekenntnissen zu König Fußball. Und obwohl es nichts mit Musik zu tun hat, aber weil es vielleicht lustig ist: Ich habe für den Freitag einen Survival Guide für alle EM-Fans geschrieben, die gerade am »German Organisationschaos« leiden. Viel wichtiger aber: Auch in der Musikszene ist Fußball allgegenwärtig: Die Wiener Philharmoniker haben auf ihrem Gastspiel gerade gegen die Oviedo Filarmonía gekickt – und eine 4:0-Klatsche abgeholt. Vielleicht sollten sie Lorenzo Viotti kurzfristig gegen Ralf Rangnick austauschen. Und auch an der Staatsoper in Berlin wird mit dem Ball jongliert: Das Konzert Staatsoper für alle stand unter dem Motto Fußball, und am Theater Bremen sorgte das Stück No Rain mit Fußball-Zitaten für Aufmerksamkeit. Na, dann kann am Freitag ja nix mehr schief gehen.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann