Joe Chialo steht Mal wieder im Rampenlicht – aber es geht nicht um seine Kulturpolitik. Warum es besser für die Bundeskultur wäre, wenn ein Hamburger ins Kanzleramt ziehen würde. Ein Kommentar.
English summary: Joe Chialo gets media attention, but not for culture policy. While he cuts funding, Hamburg’s Carsten Brosda strengthens the arts. Chialo’s image game hides leadership issues. Berlin might be glad if he moves on.
Nein, es war nicht klug, wahrscheinlich war es sogar dumm und im Kern vielleicht auch rassistisch, wenn Bundeskanzler Olaf Schlolz Berlins Kultursenator Joe Chilalo einen »Hofnarren« genannt hat. So berichtet es jedenfalls der Focus. Scholz widerspricht. Aber Egal, ob er den Alibi-»Liberalen« in der CDU meinte, oder ob die Anspielung auf seine Herkunft und Hautfarbe abzielte – Schlolz hätte sich die Beleidigung so oder so sparen können.
An dieser Stelle soll es jetzt aber um ein anderes Joe Chialo-Phänomen gehen. Darum, wie er es schafft, dass Medien sein Versagen als Kulturpolitiker so oft umschiffen und stattdessen lieber andere Hochglanz-Geschichten, Skandal-Geschichten oder Boulevard-Geschichten über ihn verfassen.
Auch die »Hofnarren«-Story ist sicherlich bewusst aufgeblasen und ein wenig skandalisiert durch den Focus, der diese Meldung als erster in die Welt brachte. Chialo ist Liebling konservativer und libertärer Journalisten wie Ulf Poschardt. Der Mann von der Welt nennt den Kultursenator in seiner aktuellen Verteidigung gar: »Mein Freund, der CDU-Politiker Joe Chialo«. Der Spiegel brachte erst kürzlich ein großes Chialo-Interview, in dem es weniger um seine Berliner Kulturpolitik ging als um genau jene Frage, die wohl auch Scholz umgetrieben hat: Wie positioniert sich Chialo mit seiner persönlichen Geschichte zur AfD-Kooperation der Merz-CDU?
Was die Kulturpolitik betrifft, ließ der Spiegel Chialo weitgehend unwidersprochen Dinge wie diese sagen: »Wir haben frühzeitig informiert und deutlich gemacht, dass herausfordernde Zeiten kommen. Aber man war in der Kultur durch die Erfahrungen der vergangenen Jahre sehr daran gewöhnt, Krisen durch zusätzliche Mittel zu überbrücken, ohne langfristige strukturelle Änderungen anzustreben. Das hat wohl dafür gesorgt, dass die Dringlichkeit sich versendet hat.« Dieses Zitat ist ein typischer Chialo: Es wird schwer sein, in Berlin nur einen verantwortlichen Kulturschaffenden zu finden, der vom Kultursenator »frühzeitig« informiert wurde. Und, ja, für strukturelle Änderungen plädieren Beobachter in Berlin schon lange – aber Chialos Sparmaßnahmen sind alles andere als strukturell! Sie sind ein irrationaler, willkürlicher Kultur-Kahlschlag.
Den Vogel im gigantischen Chialo Ablenkungsmanöver hat allerdings die Süddeutsche Zeitung abgeschossen. Sie redet mit dem Kultursenator über: Mode! Das SZ Magazin zitiert den Kultursenator mit Mütze, Umhängetasche und Victory-Zeichen so: »Sexy ist nicht die Kleidung an sich, sondern das Selbstbewusstsein, sich mehr zu trauen als die Allgemeinheit. So verstehe ich auch Politik: Für seine Ideen zu kämpfen, dem Gegenwind standzuhalten, ist sexy!«
Man kann sich leicht ausmalen, was sich die Intendanzen der Komischen Oper, der Berliner Philharmoniker, der Deutschen Oper oder der freien Szene bei derartigen Sätzen denken. Oder die ehemaligen Mitarbeiter, die mitbekommen haben, wie der Senator sein Team führt. Man muss sich nur einmal die Fluktuation in seinem Stab anschauen und wie er seine eigene Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson kaltgestellt hat. Aber all das scheint kein größeres Medienthema zu sein.
Es ist schon interessant, wie Joe Chailo es im wahrsten Sinne schafft, sich als »sexy« mover und shaker zu inszenieren, und wie ihm Journalisten dabei Schützenhilfe geben. Kulturschaffende schauen derweil lieber nach Hamburg, wo Kultursenator Carsten Brosada tut, was ein Kulturpolitiker eigentlich so tun sollte: Er macht Kulturpolitik! Ein Arbeiter im Weinberg der schönen Künste.
Der Vorsitzende des Deutsche Bühnenvereins kennt die tiefen und verschlungenen Abgründe des Tarifrechtes in den Theaterverträgen, weiß um die Regeln für Zuschüsse, kennt die Bedürfnisse von Künstlerinnen und Künstlern und ist sich auch nicht zu schade, sich gegen (berechtigte) Kritik ein Opernhaus von einem Multimilliardär schenken zu lassen. Während Chialo von privaten Kulturengagement quatscht und Zuschüsse streicht, erhöht Brosda seinen Kulturetat und schleppt die Sponsoren gleich selber an.
Kulturschaffenden in Berlin wird schwindelig, wenn sie daran denken, dass Joe Chialo unter einer Merz-Regierung in die Bundeskultur abwandern könnte. Und genau daran scheint er mit seiner Presse-Offensive derzeit zu arbeiten. Auf der anderen Seite würden viele in Berlin auch jubeln, denn dann würde Chialos Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson vielleicht wieder Sachverstand walten lassen.