Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit einem Blick auf den neuen Münchner Ring von Tobias Kratzer, das voraussichtliche Ende von 3sat und Donald Trumps Begeisterung für Luciano Pavarotti.
Kratzers »Rheingold« in München
Alberich als das Prinzip der Sterblichkeit, Wotan als das Prinzip der Unsterblichkeit: Auf der einen Seite der Nibelung, der alles jetzt und sofort will, auf der anderen der Gott, für den das eigene Ende undenkbar ist. Diese beiden Figuren erklärte Regisseur Tobias Kratzer bereits im Vorfeld seiner Rheingold-Inszenierung in München zum Zentrum seiner »Ring«-Analyse. BackstageClassical erhielt eine begeisterte SMS aus der Generalprobe: »Das wird ein Referenz-Ring! Viele Frage, die immer irgendwie umschifft wurden, werden von Kratzer gelöst. Nicht alle, aber hey: dieses Level erreicht momentan keiner!« Im Publikum zurückhaltender Applaus für Jurowski und Buhs und Bravos für Kratzer. Hier eine Zusammenfassung der Premierenkritiken.
Aktuelle Kritiken auf BackstageClassical
- Georg Rudiger über die »Alma« Premiere an der Volksoper Wien
- Feuilletonrundschau zu Tobias Kratzers Rheingold in München
- Klemens Renoldner über eine Opernreise nach Prag
Aus die Maus
Am Ende ging dann alles ganz schnell: Die Ministerpräsidentenkonferenz machte kurzen Prozess. Trotz aller Petitionen und Eingaben – die Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist beschlossene Sache. 16 Radiosender werden eingespart, einige Spartenkanäle und auch 3sat wird es wohl an den Kragen gehen. Auch, wenn Ministerpräsident Alexander Schweitzer noch erklärte, dass Inhalte des Senders zu arte wandern könnten, und dass es dafür mehr Kultur in den Hauptprogrammen geben solle. So klingt Polit-Rhetorik, denn jeder, der arte-Strukturen kennt, weiß, dass hier 3sat-Inhalte keine Chance haben werden (warum das haben wir bereits erklärt). Und Kultur im Hauptprogramm ist seit Jahren ebenfalls heruntergefahren worden: sowohl quantitativ als auch qualitativ, wie man beim Opus Klassik gesehen hat, oder bei den Jonas Kaufmann-Abenden aus der Arena di Verona. Ein Kratzer-Rheingold im ZDF-Programm? Undenkbar! Spannend (gerade auch für private Seiten wie BackstageClassical) ist, wie die öffentlich-rechtlichen Kultursender mit dem Auftrag umgehen, ihre Berichterstattung zukünftig weniger textlastig zu gestalten, um private journalistische Angebote nicht zu torpedieren.
Sparen? – Und was sagen Sie dazu?
Nach dem Beschluss bleibt der schale Nachgeschmack, dass die eigene Abschaffung in den Sendern längst antizipiert wurde. Der Protest von Senderchefs blieb aus, fast scheint es, als wäre 3sat bereits im Vorfeld das geplante Opfer, auf das man sich auch intern geeinigt hat – und das nun erbracht wird. Der Protest von Medienschaffenden, KünstlerInnen und Publikum wurde trotz über 140.000 Unterschriften nicht gehört. Das führt erneut zur Frage, was Protest eigentlich bringt. Oder: Wie Protest am besten organisiert sein sollte. Nicht nur in den Medien, sondern auch bei Kürzungen an lokalen Kulturetats oder bei Privilegien von Musikerinnen und Musikern. Meine Gedanken dazu habe ich im letzten Newsletter vergessen zu verlinken. Trotzdem hat der Text für allerhand Reaktionen gesorgt. Etwa, was die Bezahlung von Musiklehrenden betrifft und die Forderungen des Deutschen Musikrates. Der will höhere Stundenlöhne und argumentiert dabei mit einem Durchschnittsgehalt von 14.650 Euro. Peter B. schrieb mir daraufhin: »An den Musikhochschulen wird durchschnittlich 75 % der Arbeit von Lehrern erledigt, die auf Basis von Lehraufträgen beschäftigt werden. Diese Lehraufträge beinhalten keinerlei soziale Absicherung und können halbjährlich gekündigt werden. Das Stundenhonorar liegt meistens unter 40 Euro, und es gibt eine Wochenstundenbegrenzung von 9,75 Stunden. Wie viel dann ein Lehrbeauftragter im Monat verdient, können Sie sich ausrechnen, zumal keinerlei soziale Absicherung, also Krankenkasse, Sozialkasse oder Rentenzahlung erfolgt.« Ein Thema, das ich auch mit Dorothea Gregor in unserer aktuellen Podcast-Folge bespreche: Unter anderem, ob man in diesen Fällen wirklich von Vollzeit-Einkommen sprechen kann, und wie sinnvoll es ist, bei der Berechnung den Zahlen der KSK zu trauen.
Donalds Luciano
Von wegen: »Böse Menschen haben keine Lieder!« Wenn man Donald Trump beobachtete, als er kürzlich Luciano Pavarotti bei einer Wahlkampfveranstaltung spielen ließ, schien er die Musik wirklich zu genießen. Es wäre unseriös, psychologische Spekulationen anzustellen, darüber, warum auch in Hollywood Bösewichte oft klassische Musik hören. Aber eines zeigt sich durchaus: Der Mann, der so viele Lügen wie kein anderer Präsidentschaftskandidat verbreitet hat, scheint irgendwie glaubhaft als Ave-Maria-Fan. Wahrscheinlich ist es aber schon wieder eine Lüge, wenn Trump behauptet, dass er und Pavarotti »sehr gute Freunde« gewesen seien. Als Trump 2016 eine Pavarotti-Version von Nessun Dorma benutzte, verlangte die Witwe des Tenors, Nicoletta Mantovani, dass Trump diese Version nicht weiter verwendet. Damals sagte sie, dass Trumps »Werte« unvereinbar mit jenen von Pavarotti seien. Ich habe hier Mal die Klassik-Hits aus Trumps-Wahlkampf als Video zusammengestellt.
Ein Ort organisiert sich Musik
Es ging eben schon um musikalische Bildung und davon, dass sie zu selten auf der politischen Agenda steht. Eine Kleinstadt in Niederbayern ist nun selber aktiv geworden: Der Landrat organisiert Musikunterricht mit Hilfe einer Stiftung – und wird dafür gefeiert. Der Regisseur Michael Sturm berichtet von einem Vorzeige-Projekt in seiner Heimat: »Der Kulturrat persönlich leitete die Gespräche. Er ist Malermeister von Beruf, kommt von der Arbeit – unverkennbar seine Kluft. Die neue Schule, meint er, sei eine Herzenssache für den Stifter und ihn selbst. Im Dialog finden sich Lösungen und Kompromisse, die Resonanz innerhalb der Stadt ist groß.« Der kleine Ort Waldkirchen zeigt, dass der Wunsch nach musikalischer Bildung durchaus ein hoch politisches Thema sein kann. Den ganzen Text gibt es hier.
Personalien der Woche
Der Bariton Johannes Martin Kränzle ist an Akuter Leukämie erkrank und lädt alle ein, sich als Spender registrieren zu lassen. Auf Facebook schriebt er: »Die kommenden Monate werde ich mich von allen Auftritten zurückziehen (…) Nach einer 2015 diagnostizierten und überwundenen Knochenmarkerkrankung muss ich mich ein zweites Mal einer Stammzelltransplantation unterziehen. Mein großer Dank gilt den mich behandelnden Ärzten (…) meiner herzlichen Familie und besonders meiner wundervollen Frau Lena.« +++ Regisseur Kirill Serebrenikow äußert sich zu Vorwürfen der NNZ (wir hatten berichtet), dass er in seiner Zürcher Inszenierung von Alfred Schnittkes Oper Der Idiot auf russisches Kolorit verzichte, weil er dazu von außen gedrängt wurde. Nun sagt er Christian Berzins von der CH-Medien Gruppe, dass das vollkommener Schwachsinn sei: »Ich will in Zürich keinen sowjetischen Bullshit entschlüsseln«, sagt der Regisseur, »Schnittke selbst hat gesagt, dass es sich um ein ‚offenes Werk‘ handle; jegliche Interpretationen seien erlaubt und sogar erwünscht.«
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es den? Vielleicht ja hier! Gerade in Zeiten der Herbstferien, wenn in der Kulturszene nicht ganz so viel los ist, loht es sich, auf Kulturreise zu gehen. Das hat auch der Schriftsteller Klemens Renoldner gedacht und sich auf den Weg gemacht – auf die Spuren von Mozart in Prag. Für BackstageClassical hat er eine literarische Kritik geschrieben von zwei – sagen wir es einmal so – eher gewöhnungsbedürftigen Aufführungen. Ach ja, und hier geht es zu unserer neusten Podcast-Folge, in der Dorothea und ich die Klassik-Woche besprechen:
In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann