Gestern hatte Tobias Kratzers »Rheingold« Premiere in München. Ein bunter und kluger Reigen um Glaube und Endlichkeit! Eine erste Feuilleton-Bilanz.
Alberich als das Prinzip der Sterblichkeit. Wotan als das Prinzip der Unsterblichkeit. Auf der einen Seite der Nibelung, der alles jetzt und sofort haben will, auf der anderen der Gott, für den das eigene Ende undenkbar ist. Beide Prinzipien haben ihre Schwäche.
Regisseur Tobias Kratzer hat diese beiden Figuren bereits im Vorfeld seiner Rheingold-Inszenierung in München zum Zentrum seiner Ring-Analyse erhoben. Und nun, nach der Premiere, ist auch eine weitere Komponente klar: Kratzers Ring dreht sich um den Kern der Religion!
Wotan will (s)eine Kirche erhalten – aber wird er in den kommenden 16 Stunden genügend Jünger finden, die an ihn glauben? Oder bleibt die Götterdämmerung unvermeidbar? Peter Jungblut schreibt beim BR: »Der Himmel ist schwer renovierungsbedürftig und die Götter müssen sich notgedrungen mit Gerüsten und Schaumstoff-Matten abfinden. Sieht nicht so aus, als ob eine Wärmedämmung ansteht, eher frisst wohl der Hausschwamm am Gebälk, in diesem Fall der philosophische.«
Und der Stern beobachtet: »‘Gott ist tot‘ steht als Graffiti an einer alten Kirchenmauer, als die sich immer wieder – zum Beispiel in eine echte Ziege – verwandelnden Rheintöchter vom Zwerg Alberich (Markus Brück, mit der wohl mutigsten und teilweise komplett nackten Performance) um ihr Gold gebracht werden. Das Walhall, das Göttervater Wotan (hervorragend: Nicholas Brownlee) errichtet, ist keine Burg, sondern eine Kathedrale mit riesigem, goldenem Altar, in dem im eindrücklichen Schlussbild Wotan und seine Götterfamilie als ihre eigenen Abbilder erscheinen, zu Statuen erstarrt, auf Anbetung wartend.«
Es sind die Riesen, die dem Gott ein Angebot zur Rettung des Glaubens machen – aber sie sind dem Weltenherrscher zu teuer. Jungblut interpretiert das so: »Zwei Priester – die Riesen – kommen vorbei und bieten ihnen (den Göttern) eine Marketing-Kampagne an: Die Unsterblichen sind vom Werbematerial zunächst begeistert, doch dann ist ihnen der Preis zu hoch. Sie nehmen die Sache lieber selbst in die Hand, hübschen den Altar und das Kirchenfenster mit der dekorativen germanischen Weltesche auf und werfen sich mittelalterliche Fantasy-Kostüme über.«
Thomas Heinod schreibt in den Nürnberger Nachrichten: »Kratzer verweigert oberflächliche Komik, sondern bietet bedrückende Ausblicke auf eine Gesellschaft ohne Religion und Kunst.« Und Robert Braunmüller fasst in der Abendzeitung zusammen: »Ein packender Auftakt für Wagner-Fans und neugierige Operneinsteiger.«
Wotan und Loge beschließen, den Ring selber zu stehlen. Dabei zeigt Kratzer, wie schon in seinem Bayreuther Tannhäuser, besten Theaterzauber, wie Jörn Florian Fuchs im Deutschlandfunk erklärt: »Es gibt schöne Effekte, etwa wie Alberich sich in einer Garage in einen Drachen verwandelt – es wird mit viel Bühnenzauber gearbeitet, und man bleibt jede Sekunde dabei.« Fuchs weiter: »Es gibt die alten Insignien wie Ring und Speer, aber Wotan will wohl eine neue Religion begründen und lässt sich dafür eine Kirche bauen. Am Ende – dieses sei als Spoiler verraten – stehen Wotan und Co. auf einem Altar, und es kommt eine Gemeinde hinein.« Alles scheint bereitet für die kommenden Abende.
Musikalisch ist zumindest Jungblut überzeugt: »Dirigent Vladimir Jurowski wurde zwar freundlich beklatscht, ist jedoch kein Liebling des Münchner Publikums. Dabei ist er ein herausragender Theatermusiker: Er zähmt das Bayerische Staatsorchester, das ständig zeigen will, was es kann.«
BackstageClassical erhielt eine begeisterte SMS aus der Generalprobe: »Das wird ein Referenz-Ring! Viele Frage, die immer irgendwie umschifft wurden, werden von Kratzer gelöst. Nicht alle, aber hey: dieses Level erreicht momentan keiner!« Im Publikum zurückhaltender Applaus für Jurowski und Buhs und Bravos für Kratzer.