
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
Deutschland hat gewählt – es gibt viel zu tun: Die Kultur in den Kommunen krepiert, die Hauptstadt spart weiter und die Sache mit den Sponsoren wird immer schwerer. Der Wochenrückblick mit allen Klassik-News von BackstageClassical.
Frieden der Freunde von Bayreuth?

Wo ist eigentlich die eine Million Euro, welche die Gesellschaft der Freunde Bayreuths den Bayreuther Festspielen noch vor einigen Monaten schenken wollte? Sie wurden ja nicht überwiesen, weil das Geld zu spät für eine von den Freunden geforderte Wiederaufnahme von Lohengrin und Tannhäuser im Jubiläumsjahr 2026 kam. Ich habe Mal beim Chef der Freunde, bei Georg Freiherr von Waldenfels nachgefragt (es war ein sehr launiges Telefonat: »Was muss ich tun, damit Sie mal nett über mich schreiben?«)! Waldenfels hat mir erklärt: Das Geld sei erst einmal als Rücklage für 2025 verbucht worden. Man habe immerhin gerade 80.000 Euro für die Kinderoper locker gemacht. Zusammenfassend lässt sich sagen: Nachdem das Spendenaufkommen der Freunde zu gering war, um alle Gesellschaftsanteile an den Festspielen zu halten, ist die Kohle plötzlich wieder da – und Waldenfels gesteht ein, dass man nun »mit weniger Verpflichtungen gegenüber den Festspielen« flexibler mit den Mitteln umgehen könne. Man tritt nun vermehrt als »Sponsor« (statt als Gesellschafter) auf und könne die Gelder damit konkret an einzelne Projekte binden. Katharina Wagner reagierte ebenfalls. Sie sagte BackstageClassical, man arbeite bereits »unter Hochdruck« an einem Education-Schwerpunkt für 2026, »und wir würden uns sehr freuen, wenn wir die Gesellschaft der Freunde am Ende mit unserem Konzept gewinnen können – es geht ja auch darum, das Publikum von morgen für Kultur zu begeistern.« Nach all dem Theaterdonner der letzten Monate könnte sich hier doch ein Hügelfrieden ankündigen.
Krieg der Sponsoren in Luzern?
Etwas heikler scheint die Sponsoren-Situation beim Lucerne Festival zu sein. Seit 25 Jahren hat das Unternehmerehepaar Sibylla und Christoph M. Müller das Festival gefördert. Doch es störte sich daran, dass der ehemalige Verwaltungspräsident der Credit Suisse, Walter Kielholz, weiter im Stiftungsrat tätig ist. Müller macht Kielholz mitverantwortlich für die Skandale und den Untergang der Großbank und sagte, es sei für ihn nicht vertretbar, dass der ehemalige Bänker sein Image durch das Festivalsponsoring pflegen wolle. Nachdem Kielholz dennoch blieb, zog Müller einen mittleren sechsstelligen Betrag zurück. Die Situation macht es für den designierten Luzern-Intendanten Sebastian Nordmann vom Konzerthaus in Berlin nicht leichter. In der Schweiz muss er sein Berlin—Programm wohl neu erfinden – und nun muss er sich auch noch gesellschaftspolitisch positionieren, wie sauber seine Sponsoren in Zukunft sein sollen. Ein heikler Balanceakt.

Berliner Kladderadatsch
Die Zahlen flogen nur so durch die Luft: Weitere 300 Millionen Euro müssen in Berlins Kultur gespart werden, hieß es noch Anfang der Woche – Kultursenator Joe Chialo habe es den Kulturschaffenden in einer Videokonferenz angedroht. Ich habe natürlich sofort herumtelefoniert und frischen Schock und große Wut geerntet. »Wir wissen alle selber noch nicht genau, was nun kommt«, hieß es in den ersten Reaktionen. Doch dann hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner Chialo aus der Schusslinie genommen und erklärt, es gehe um weitere 131 Millionen Einsparungen in den kommenden zwei Jahren. Durch 70 Mio. Rücklagen und intensive Gespräche sollten Schließungen verhindert werden. Als Moderatorin tritt inzwischen Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson auf (im Gegensatz zu Chialo genießt sie noch Vertrauen in den Institutionen). Findet da gerade ein leises Abschieben von Un-Kulturmann Chialo statt? Und macht der sich tatsächlich noch Hoffnungen auf einen Kultur-Stuhl im Bundeskanzleramt? Berlin würde wohl aufatmen, wenn Merz ihn »weglobt«.
Das wahre Drama spielt in den Kommunen
Berlin und Bundestag – okay. Aber jetzt sollten wir uns erst einmal um die Kommunen kümmern, denn hier geht die Kulturnation Deutschland gerade richtig vor die Hunde. Das erklärt zumindest Marc Grandmontagne in einem dramatischen Gespräch mit BackstageClassical. Der ehemalige Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins ist heute Kulturreferent in Ingolstadt. Und er schlägt Alarm: Die Kommunen stünden vor einem finanziellen Kollaps – mit gravierenden Folgen für Kultur, Bildung und das gesellschaftliche Leben. »Die Einbrüche bei den kommunalen Einnahmen sind drastisch«, sagt Grandmontagne. Besonders betroffen sei Ingolstadt, da man von der Gewerbesteuer des selber kriselnden Volkswagen-Konzerns abhängig sei. Anstatt um kulturelle Teilhabe und Bildungsprojekte gehe es inzwischen um die pure Existenz des kulturellen Lebens. Unbedingt hörenswert!
Personalien der Woche I
Was war denn das? Am Tag, als die Tagesschau über die Überführung der israelischen Leichen von zwei Kindern und ihrer Mutter berichtete, kommentierte Michael Barenboim auf Instagram: »Ist das wirklich die einzige Neuigkeit, die ihr habt, Tagesschau? Die Westbank steht unter Feuer, der Waffenstillstand in Gaza wiederholt gebrochen, Massenmord und erzwungene Umsiedelung vielleicht?« Über die Situation an der Barenboim-Said-Akademie haben wir bereits einige Male berichtet. Und auch bei diesem Post: Bei aller Wut über Netanjahus Kriegsführung – ist an diesem Tag ein Angriff auf die Tagesschau (die aus allen Perspektiven berichtet) wirklich zielführend? +++ Das Gerücht kursierte schon einige Zeit, nun ist es offiziell: Markus Poschner wird neuer Chefdirigent des RSO in Wien. Wird er das gefährdete Ensemble in die Zukunft retten können? +++ Der Vorstand der Naxos Music Group hat Matthias Lutzweiler mit sofortiger Wirkung zum CEO ernannt, er wird die Entwicklung des Labels, das Klaus Heymann mit über 24.000 Alben, drei Millionen Tracks in der Naxos Music Library und der globalen Distribution renommierter Labels zum größten unabhängige Klassikunternehmen der Welt gemacht hat, in die Zukunft führen.
Kein Morgen im Gestern
Sparen in Berlin, Panik in den Kommunen – und trotzdem glauben viele Kulturschaffende noch immer, dass sie an alten Privilegien festhalten können. Letzte Woche habe ich mich hier kurz an UNISONO-Chef Gerald Mertens festgebissen – und daraufhin viele Reaktionen (zustimmende und kritische) bekommen. Ich habe meine Gedanken nun noch einmal in einem ausführlichen Essay (auch als Audio) aufgeschrieben und erkläre, warum die Zeit des Umbruchs auch Chancen beinhaltet – wenn wir mutig genug sind, unsere Welt neu zu denken.
Gemma GEMA?
Über die Reform der GEMA haben wir an dieser Stelle viel geschrieben, kommenden Mittwoch gibt es eine wichtige Versammlung, bei der Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen. »So nicht!«, schreibt die Komponistin Iris ter Schiphorst nun im Vorfeld noch einmal bei BackstageClassical und fordert zu Demonstrationen auf!

Personalien der Woche II
Der Tubist der Wiener Philharmoniker, Paul Halwax, und der Musikmanager Hardo Gruber haben mit Supreme Classics ein neues österreichisches Label gegründet – an der ersten Aufnahme beteiligt war auch der 83jährige Dirigent Riccardo Muti. Der nannte das Orchester in einem Interview in Italien gerade den »Hüter der europäischen Kultur«. Okay, vielleicht wäre »der Museumswärter dessen, was einst die europäische Musikkultur war« etwas besser formuliert? Für das Fortschreiben der Klassikkultur sind derzeit wohl eher die Berliner Philharmoniker zuständig, bei denen letzte Woche nach Simone Young, Konstantia Gourzi, Petra Müllejans, Barbara Hannigan, Emmanuelle Haïm oder Susanna Mälkki gerade auch Marin Alsop ein fulminantes Debüt gegeben hat. +++ Stinkende Kulissen: Die Farbfolien von Herbert Fritschs Barbier von Sevilla an der Wiener Staatsoper haben eine »Materialveränderung« durchlaufen, nun komme es dummerweise »zu einer sehr unangenehmen Geruchsbelästigung«. Die aktuellen Rossini-Aufführungen wurden wieder in den alten Bildern von Günther Rennert gegeben. +++ Der Intendant der Händel-Festspiele in Halle, Bernd Feuchtner, ist im Alter von 75 Jahren unerwartet verstorben. Feuchtner war als freier Musikkritiker für verschiedene Medien tätig und wurde 1992 Redakteur beim Tagesspiegel. Ab 2004 arbeitete er als Operndirektor in Heidelberg, Salzburg und Karlsruhe. Dort führte er politische Opern wie Wallenberg und Die Passagierin auf.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier? Als ich in Freiburg studiert habe, war das Experimentalstudio des SWR legendär: Heinrich Strobel, Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez hatten hier gearbeitet und den Luxus der künstlerischen Freiheit genossen. Die Aufregung in den letzten Wochen war groß, als über einen Umzug nach Karlsruhe nachgedacht wurde. Nun ist der Hickhack vorbei, berichtet Georg Rudiger über die Hintergründe für BackstageClassical. Die alten Räumlichkeiten in der Kartäuserstraße müssen allerdings saniert werden – der SWR strebt einen Verkauf an. In zwei bis drei Jahren soll das Studio dann in die Musikhochschule im Stadtteil Herdern umziehen. Aber all das hat mich diese Woche auch nicht wirklich getröstet, nachdem der SC Freiburg mein Werder Bremen mit 5:0 geschlagen hat.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann