»Wo bleibt der Aufschrei?«

Februar 18, 2025
10 mins read
Die Komponistin Iris ter Schiphorst (Foto: Stoss)

Die geplante GEMA-Reform bedroht das solidarische Verrechnungssystem für Neue Musik. Jetzt ist Zeit, zu demonstrieren, fordert Komponistin Iris ter Schiphorst.

English summary: A new GEMA reform threatens its solidarity-based financial model, shifting towards a commercial system favoring major labels and high earners, says composer Iris ter Schiphorst. This change could be devastating for contemporary composers, the free scene, and future generations. Urging action, ter Schiphorst calls on musicians, journalists, and institutions to resist the reform before it’s finalized in May, as it risks dismantling the very structure that sustains experimental and avant-garde music.

Natürlich war beides, sowohl Rebhahns Ankündigung seines Ausstiegs als auch Bailies Manifest zur »Rettung« der Neuen Musik eine polemische Finte, darauf angelegt, endlich wieder Schwung in die Bude und ihre Diskurse um das »Neue« der Neuen Musik zu bringen. Und das hat doch prima geklappt! Seitdem werden in schöner Regelmäßigkeit die Schlagworte »Zeitgenössische Klassik« und Neue Musik gegeneinander in Stellung gebracht (um damit dem »richtig Neuen«, so die Hoffnung, vielleicht besser auf die Spur kommen zu können …). So weit, so wichtig, ich komme darauf zurück …

Reform hinter verschlossenen Türen

Podcast über die Hintergründe der GEMA

Retten vor einer Reform, die, nach allem, was wir bis jetzt darüber wissen, gelinde gesagt völlig unausgegoren wirkt – und Stand heute fatale Konsequenzen für das gesamte Dispositiv der Neuen Musik hätte, Konsequenzen, derer sich die Macher entweder nicht bewusst, oder noch schlimmer: als »Kollateralschäden« in Kauf zu nehmen bereit sind.

Reform? Klar. Aber nicht diese!

Wenn von E und U die Rede ist (meist in polemischer Weise, und auch jetzt höre ich schon, wie die Nüstern gebläht werden …), wird zumeist übersehen, dass es sich hierbei um unterschiedliche Produktions- und Rezeptionsweisen handelt, um unterschiedliche Netzwerke, Aufführungsräume etc., auch wenn es selbstverständlich einige Schnittmengen und Überlappungen gibt.

Der »Suggar Daddy«

Und hier kommt nun der alte Ehemann deines Manifests ins Spiel, liebe Joanna, mit dem wir zwar nicht mehr unbedingt liiert sein wollen, den wir aber in der GEMA noch ganz gut gebrauchen können, zumindest dann, wenn er nicht älter als 70 Jahre ist! Nennen wir ihn einfach unseren »Sugar Daddy«, der sich vor langer Zeit entschieden hat, zeitgenössische E- Komponist:innen solidarisch zu unterstützen!  Die Idee stammt m.W. von Richard Strauss, der uns zwar heutzutage nicht mehr finanziell direkt unter die Arme greifen kann, die Weichen (in Form einer GEMA-Satzung und entsprechender Paragraphen) jedoch vorausschauend so gestaltet hat, dass auch die Einnahmen seiner (mittlerweile) berühmten Nachfahren (z.B. von Schostakowitsch, Stravinsky, Orff etc.) solidarisch mit uns geteilt werden. 

Denn im Verrechnungssystem E (von dem hier die Rede ist) werden Werke mit gleicher Anzahl von Musiker:innen und gleicher Länge am Ende immer solidarischd.h. gleich verrechnet; unabhängig davon, was sie an Einnahmen generierten, wo und vom wem sie aufgeführt wurden und unabhängig von Status und Ästhetik der Komponist:in. »Solidarisch« heißt: Die »Sugar Daddys« (s.o.), aber nicht nur sie, auch die kommerziell besonders erfolgreichen lebenden E-Komponist:innen (Stichwort: »zeitgenössische Klassik«!), reichen von ihren Einnahmen anteilig etwas an die kommerziell weniger erfolgreichen weiter, sodass alle am Ende den gleichen Betrag auf ihrem Konto haben. Oder einfacher: In E helfen die »Größeren« den »Kleineren«.

Das Gegenteil ist im System U der Fall, hier wird per Inkasso abgerechnet! Das heißt, dass die GEMA-Großverdiener (die Bohlens, Grönemeyers oder Bushidos etc.), die im Stande sind, riesige Hallen zu füllen, und damit extrem hohe GEMA-Einnahmen generieren (nicht zu verwechseln mit ihren Gagen, die natürlich noch obendrauf kommen!), alle Einnahmen behalten können und nichts an jüngere unbekanntere Kolleg:innen abzugeben brauchen. Im Gegenteil: Sie bekommen noch Punktwerte und somit weitere Euros extra; denn je größer die Halle und je mehr Zuschauer:innen, desto höher der Punktwert und die Zusatzeinnahmen! Die eher unbekannten U-Musiker:innen mit ihren Aufführungen in kleinen Räumen und wenig Zuschauer:innen können hingegen mit ihren mickrigen GEMA-Einnahmen sehen, wo sie bleiben. Für U gilt: »The Winner takes it all«.

Und by the way: Für »unseren« Diskurs war (und ist?) die Unterscheidung von »zeitgenössischer Klassik« und »richtiger« Neuer Musik möglicherweise gewinnbringend; in der GEMA, einer Verwertungsgesellschaft und keinem Diskurs-Forum von Komponist:innen, ist diese Differenz aus guten Gründen irrelevant. Im Gegenteil: Die Gleichbehandlung im Solidarsystem E macht überhaupt erst das Neue in der Musik möglich und gibt auch dem Abseitigen eine Chance.

Was gibt es sonst noch über das Reformvorhaben zu berichten? Nicht so viel, weil das meiste offensichtlich der GEMA selbst noch nicht ganz klar ist. Beschlossene Sache ist der Austausch eines Buchstabens: Aus E wird K (wie Kunst), warum nicht?! Nur: diesem K/ehemals E werden gleichzeitig die Beine weggehauen, sodass das jetzige E/K allmählich aus der Musiklandschaft verschwinden wird … Aber vielleicht ist das auch gewollt, dieses survival of the fittest. Merkwürdigerweise soll U weiter U heißen, am Horizont zeichnet sich jedoch bereits die Umwandlung und dann Vereinigung in einem einzigen großen K ab …

Tödlich für die freie Szene

Auch von einem »Fördertopf K« für »förderungswürdige Werke« ist die Rede. Woher das Geld dafür kommen soll, bleibt ein Geheimnis, denn der einst für soziale und kulturelle Zwecke eingerichtete 10%ige Abzug, den jedes Mitglied bis jetzt von seinen Einnahmen zu entrichten hat, soll abgeschafft werden, weil die Vielverdiener und ausländischen Rechteinhaber ihn nicht mehr zahlen wollen … Und wer über die Förderungswürdigkeit entscheiden soll, ist auch noch völlig unklar … Tja …

Eine entscheidende Frage ist, warum diese unfertige »Reform« (bis jetzt tatsächlich nicht viel mehr als ein Vorhaben!) auf Biegen und Brechen – also bereits IM MAI dieses Jahres!! durch die Mitgliederversammlung gepeitscht werden soll … ohne Rücksicht auf Verluste, Kollateralschäden eingepreist…

Und eine weitere Frage ist: Wo bleibt der Aufschrei »unserer« SzeneDer vielen betroffenen Komponist:innen? Der Journalist:innen, Festival-Macher:innen, der Ensembles, der Rundfunkstationen, der Hochschulen, allen, die mit und von unserer Musik leben? 
Liebe Leute! Kümmert euch, schreibt an die GEMA (s.o.), fordert Mitsprache! Und die Komponist:innen unter euch, geht im Mai zur Mitgliederversammlung, stimmt ab und verhindert, dass diese nicht durchdachte unfertige Reform verabschiedet wird!

Eine Reform, die für die Neue Musik  tödlich wäre, vor allem für die freie Szene, den Nachwuchs, aber auch jene girlfriends, die erst vor Kurzem überhaupt in den Zug »einsteigen« konnten, weil Aufführungen für sie aus historischen Gründen bis dato eher Mangelware waren und sie es darum in der GEMA (s. Gendergap) zumeist noch nicht zu »ordentlichen Mitgliedern« gebracht haben und deshalb auch immer noch nix mitentscheiden dürfen, es aber nach dieser Reform wahrscheinlich niemals können werden, weil sie dazu das nötige Inkasso gar nicht mehr erreichen – und es somit schon wieder nüscht wird mit einer sozialen Existenz als Komponist:in, was im Übrigen ebenso für die noch Jungen gilt und für alle zukünftigen Generationen … und … jaja, ich höre ja schon auf .

Iris ter Schiphorst

ris ter Schiphorst ist als Komponistin durch ihre langjährigen Erfahrungen als Musikerin geprägt (im klassischen Bereich als Pianistin sowie als Bassistin, Schlagzeugerin, Keyboarderin und Tontechnikerin in unterschiedlichsten Rock- und Popformationen).
Ihr Werkverzeichnis umfasst alle Gattungen, darunter 13 große Orchesterwerke, die von namhaften Orchestern im In- und Ausland zur Uraufführung gelangten (u.a. Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Deutsches Sinfonie-Orchester Berlin, Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin, WDR-Sinfonieorchester, SWR-Sinfonieorchester, Gürzenich-Orchester Köln, BBC–Symphony Orchestra London, BBC – Symphony Orchestra Glasgow, NYO- Great Britain...), sowie mehrere abendfüllende Musiktheaterwerke und diverse Filmmusiken und schließt seit den späten 80iger Jahren auch eine ganze Reihe multi-medialer Arbeiten mit ein.

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