Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit der großen Frage, wie der SWR die Causa Roth verhandelt, mit einem Plädoyer von Viktor Schoner für neue Strukturen zwischen Orchestern und Intendanzen – und Studierende in Weimar kämpfen für die Alte Musik.
Causa Roth: Inoffizielle Hinweise auch beim SWR
Die Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen seinen ehemaligen und designierten Chefdirigenten François-Xavier Roth und der Umgang des SWR damit wecken Erinnerungen an die misslungene Öffentlichkeitsarbeit des Senders mit den Russland-Verstrickungen ihres derzeitigen Chefdirigenten Teodor Currentzis. Roth soll ungewünschte Sprachnachrichten und Bilder an Musikerinnen und Musiker versendet haben. Nun hat er seine Dirigate erst einmal niedergelegt und will der Aufklärung Raum geben. Erklärungsbedarf besteht auch beim Gürzenich-Orchester, das angeblich vor einiger Zeit schon über unangemessenes Verhalten informiert worden sei (das berichtete das VAN Magazin). Derzeit wirbt es noch mit Roths Gesicht und dem Slogan »Erlebt: LIEBE LIEBE«.
Es scheint, als setze der SWR auch dieses Mal wieder auf Salami-Taktik. Die künstlerische Gesamtleiterin, Sabrina Haane, schweigt auch jetzt. In den Redaktionen des SWR bleibt es vorerst ebenfalls still. Auf Anfrage von BackstageClassical erklärte die Pressestelle am 23. Mai zwar, man habe redaktionell über die Vorwürfe berichtet, aber nachdem BackstageClassical am 24. Mai schrieb, dass in der Online-Suche des Senders weiterhin keine Berichterstattung zu finden sei, stellte der Sender am 25. Mai einen ersten Bericht auf die Seite. Inzwischen berichtet SWR von sich aus, dass auch ihn »erste inoffizielle Hinweise erreicht« hätten, die man nun prüfe – bis zum Abschluss der Prüfungen gebe man keine weiteren Auskünfte.
Und jetzt?
All das stellt die große Frage: Wie sollen Kulturinstitutionen mit Grenzüberschreitungen umgehen? Welche Strafen sind angemessen, und wie sieht Rehabilitation aus? Hundekot-Ballettdirektor Marco Goecke wurde gerade als Ballettchef in Basel vorgestellt. »Er hat eine zweite Chance verdient«, sagt der Intendant des Theaters, Benedikt von Peter. Und auch in der Sache Roth stellt sich die Frage, wie lange der Kulturbetrieb einen Dirigenten etwa für Dickpics suspendieren soll. Ja, sind Orchester und Theater mit diesen Fragen am Ende nicht vollkommen überfordert? Ich habe mir über all das in einem kleinen Essay ausführlich Gedanken gemacht. Wie nebenbei Übergriffe an Theatern oft beginnen, erzählt die neue Doku Sei still und mach Deinen Job des Schweizer Fernsehens, in der die Sopranistin Marysol Schalit (sie war lange am Theater Bremen) auf eindrückliche Weise erzählt, wie hilflos sich eine junge Sängerin fühlt, wenn ein Kuss auf offener Bühne plötzlich ungewollt zum Zungenkuss wird, oder ein Sänger die Hand der Sängerin vor aller Augen auf sein Glied legt. Heute will sie keine Anklagen mehr erheben – aber ihre Erzählung sorgt vielleicht dafür, zu sensibilisieren, wie schutzlos der Raum der Musik oft ist. Selbst wenn (oder gerade weil) die Scheinwerfer erleuchtet sind.
Die Pianistin Shoko Kuroe, selber Opfer von Missbrauch, antwortet auf meinen Essay und auf den Podcast Alles klar, Klassik?, indem sie in dieser Debatte noch Mal die Opfer in den Vordergrund stellt: »Ich finde es wichtig, dass man sicherstellt, dass der Täter keine weiteren Taten begehen kann, und dass der Täter seine Taten vollständig eingeräumt, darüber nachgedacht und bereut hat. Und auch wichtig wäre, dass der Täter oder die Institution die Schäden bei seinen Opfern wieder gut gemacht hat.« Und noch ein dritter Lesetipp zu diesem Thema: Thomas Schmidt-Ott vom DSO schreibt im Zuge des Symposiums Kultur für alle, von allen und mit allen kommenden Sonntag bei BackstageClassical über die Frage »Wann entstand die Frauenfeindlichkeit in der Musik?«
Viktor Schoner über München und den Dialog mit Dirigenten
Dieser Newsletter und BackstageClassical verstehen sich als Debatten-Foren. In unserem Podcast-Format »Guten Morgen, …« hatte Barrie Kosky darüber geredet, warum Regisseure durchaus gute Intendanten ein können, und dass er von Dirigenten mehr Dialog bei den Produktionen wünscht. Letzte Woche antwortete Marcus Bosch, Vorsitzender der GMD-Konferenz, und warnte davor, dass die Gräben zwischen Intendantinnen und Intendanten und GMD an deutschen Theatern immer tiefer werden. Nun gibt ihm Stuttgarts Intendant Viktor Schoner in einigen Teilen durchaus Recht: Der Dialog zwischen Intendanzen und Musikdirektionen müsse verbessert werden, sagt er: »Ich kenne das im Idealzustand zwischen Bachler und Petrenko in München. Gérard Mortier, der auf Gastdirigenten gesetzt hat, statt auf einen GMD, ist mit diesem Ansatz eher gescheitert. Dialog bedeutet jeden Tag zu sprechen.« Schoner plädiert auch für Strukturänderungen: »Es geht um die Frage: Wie sieht das Orchester von morgen aus? Da ist der derzeitige Flächentarifvertrag sicherlich nicht hilfreich.«
Andere Themen unseres Gespräches: Die Perspektiven des Musiktheaters und der Opernhäuser (»Wir müssen uns an Skandinavien orientieren und uns als Kulturzentren verstehen«), die einvernehmliche Trennung mit Cornelius Meister und natürlich die Intendantensuche in München. Schoner zeigt sich erstaunt über die Spekulationen eines Münchner Journalisten, dass er als Intendant gefragt wurde und findet, man solle nun Mal »zu Potte kommen«. Nach meiner ganz persönlichen Interpretation scheint nun alles auf eine Verlängerung von Serge Dorny und Vladimir Jurowski hinauszulaufen, die durch das dilettantische Management von Kulturminister Markus Blume nun offenbar eine sehr gute Verhandlungsposition haben. (Hier geht es zu allen Thesen und zum Podcast)
Getrennte Wege auch in Bremerhaven
Auch in Bremerhaven schien es in den letzten Jahren etwas geruckelt zu haben zwischen dem Intendanten Lars Tietje und dem GMD Marc Niemann – das vermutet zumindest der Weser Kurier. Niemann, der sein Orchester zu beachtlichen Leistungen geführt hat, gab nun jedenfalls bekannt, dass er dem Norden den Rücken kehren wird.
Diese Woche bei BackstageClassical
- Milo Rau bringt seinen Tito nach Wien – und scheitert an zu viel Realismus.
- Thomas Schmidt-Ott über den Beginn der Frauenfeindlichkeit in der Musik – ein XXL-Essay.
- Die Pianistin Shoko Kuroe mit sechs Fragen an Institutionen zum Schutz von Opfern bei #metoo.
- Champagner für alle! Der aktuelle Podcast über die Themen der Woche mit Dorothea Gregor und Axel Brüggemann
Emotionaler Abschied von Universal
Dass Universal Music Stellen abbauen will, war lange klar. Nun ist es so weit. Ein Mitarbeiter aus Wien schrieb eine sehr emotionale Abschieds-Mail, in der er die Strategie des Unternehmens offen in Frage stellt: »Diese Entscheidung von Universal Music mag in erster Linie eine Nische treffen, aber das kann nichts mit der Qualität der Musik zu tun haben. Es ist ein kalkulatorisches Kalkül, das schon in der Vergangenheit immer wieder getroffen wurde: lieber ein Großer als viele Kleine. Lieber ein Megastar als viele kleinere Künstler. Lieber eine große Händlergruppe als viele kleine Fachhändler. Lieber Pop als Klassik/Jazz. Lieber wenige Headcounts als viele. Nur hat die Zeit gezeigt«, tröstet er am Ende, »dass genau diese kleinen Gruppen stark sind, wiederauferstehen und immer wieder an Relevanz gewinnen können.« Hoffen wir, dass dem so ist.
Personalien der Woche
Vor 13 Jahren nahm sich Danny Chen das Leben – ein US-Soldat, der bei seinem Einsatz in Afghanistan gemobbt wurde. Bereits 2018 hatte Huang Ruo eine Oper über diese Geschichte geschrieben, nun wurde sie in der Heimatstadt des Soldaten (in New York) aufgeführt – und wurde zu einem emotionalen Erfolg. +++ Eine Opern-Ausgrabung wurde diese Woche in Wien vorgestellt: »Creonte« des ukrainischen Komponisten Dmitri Bortnjanskis wird von der Wiener Akademie unter der Leitung seines Gründers Martin Haselböck im Herbst des kommenden Jahres aufgeführt. Mehr zu den Hintergründen hier. +++ Hugues Gall, Direktor des Grand Théâtre de Genève und der Opéra de Paris (bis 2004) ist nun mit 84 Jahren gestorben. +++ Und auch der Erfinder der musik von Marry Poppins und dem Dschungelbuch, Richard M Sherman ist gestorben – er wurde 95 Jahre alt. Hier ein wundervolles Video, in dem er über seine Musik redet.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt des denn? Vielleicht ja hier: Studierende an der Musikhochschule Franz Liszt in Weimar kämpfen mit einer Petition für der Erhalt ihres Instituts für Alte Musik. Präsidentin Anne-Kathrin Lindig will es abschaffen – dafür Fächer wie Pädagogik, die Lehramtsausbildung, das Kulturmanagement und sogenannte »kleine Fächer« wie Klavier, Akkordeon, Gitarre, Orgel oder Jazz stärken. Besonders wird beklagt, dass die Präsidentin einen Alleingang ohne Dialog plane. »Trotz mehrfacher Nachfragen hält die Hochschulleitung die Entscheidungsprozesse unter Verschluss und verweigert öffentliche Stellungnahmen«, heißt es in der Petition. Dieses Verhalten beklagt auch die Thüringer Allgemeine Zeitung. Sie berichtet: »Die Präsidentin der Liszt-Hochschule hält, den eklatanten Plan nach Kräften unter der Decke und lehnt öffentliche Stellungnahmen kühl ab. Das Gute ist: die Petition hat bereits 24.000 Unterschriften – und bekommt jetzt sicherlich noch weitere.
In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann
redaktion@backstageclassical.com
P.S.: Wenn Sie die Klassik-Woche hören wollen. Diese Woche rede ich wieder mit Dorothea Gregor von der Liz Mohn Stiftung über die aktuellen Themen im Podcast Alles klar, Klassik?