Die Pianistin Shoko Kuroe antwortet auf einen Artikel in BackstageClassical und einen Podcast und stellt sechs Fragen zum Thema: Wie man Misbrauchsopfer in der Musik schützen kann.
In der neuen Podcastfolge Nr. 95 von Alles Klar, Klassik? (vom 24.5.2024) besprechen Axel Brüggemann und Dorothea Gregor die Problematik, wie man eigentlich in der Kultur und speziell in der Klassik mit Gewalttätern und Machtmissbrauchern umgehen kann und soll.
Im Podcast werden einige wichtige Punkte angesprochen, vor allem das Dilemma, die Kunstfreiheit und die moralische Werte in Einklang zu bringen, insbesondere wenn der Täter eine Führungsfunktion ausüben soll.
Mir kommt hier allerdings die Sicht der Betroffenen und der potenziell zukünftigen Betroffenen zu kurz. Es geht hier vor allem um Fälle, die als Verdachtsberichterstattung in die Presse bekommen sind und als solche in der Öffentlichkeit bekannt sind.
Frage 1:
Warum hat die Leitung bis dahin nichts unternommen? Soll das ein neues Standardverfahren bei sexuellen Grenzverletzungen werden, dass die Medien recherchieren und „Entfüllungen“ schreiben sollen (was sie nur bei bestimmten Personen und nur im Rahmen der Verdachtsberichtserstattung kann, wegen der Persönlichkeitsrechte des Täters – also vor oder während eines laufenden Verfahrens?)
Frage 2:
Man würde dann argumentieren, dass der Täter bereits wegen der Öffentlichkeit bestraft und beschämt wurde, und dass das Publikum selber entscheiden könnte, ob man Karten für das Konzert kauft, dass die Studierenden oder die Eltern der Schüler selber entscheiden könnten, ob sie bei dem Lehrer/Professor Unterricht haben möchten, dass die Mitarbeitende selber entscheiden könnten, ob sie unter dem Täter arbeiten wollen.
Frage 3:
Man geht davon aus, dass nach den öffentlichen Berichterstattungen und die darauffolgenden Untersuchungen und evtl. Abmahnungen der Täter sich nicht mehr übergriffig verhalten werden. Warum ist man sich so sicher?
Sexualtäter begehen Taten meistens nicht nur einmal, sondern machen dies öfter. (Auch deshalb funktionieren die Verdachtsberichterstattungen, wenn ein Journalist mehrere Fälle und mehrere Opfer zusammenbringen. Oft sind das Fälle, wo intern sehr viele Leute davon wussten aber weggeschaut hatten. Die Täter haben es nicht beim ersten Opfer belassen.)
Frage 4:
Wo ist also der Schutz der Betroffenen und der potenziellen Betroffenen. Ein traumatisierters Opfer kann schwer unter dem eigenen Täter arbeiten. Muss das Opfer weg, und wer hilft ihm dabei, eine neue Stelle bzw. eine neue Existenz aufzuhaben? Wer kommt für die Schäden der Opfer auf? Aktuell baden die traumatisierten Opfer die Schäden meist alleine aus – Verdienstausfall, Therapiekosten, Anwaltskosten usw.
Natürlich ist nur der Täter für seine Taten verantwortlich. Aber auch die Leitung hat eine Verantwortung dafür, dass niemand an seiner Institution geschädigt wird.
Wenn die Institution Entschädigung an die Opfer zahlen müsste, würde sie viel vorsichtiger sein, Täter wieder oder neu einzustellen. Weil dann jeder Fall ein Kostenfaktor auch für die Institution wird.
Frage 5:
Viele Täter geben beim Strafverfahren oder aber auch bei internen Untersuchungen an, es gut gemeint zu haben, die Grenzen des Opfers nicht erkannt zu haben, und dass sie davon ausgegangen sind, dass die Opfer es auch in Ordnung fanden. Das ist zwar meistens eine Ausrede, weil eine Vergewaltigung oder eine Belästigung im strafrechtlichen Sinne eine böse Absicht voraussetzt. Man plädiert deshalb auf Missverständnis, Übermut, oder Unfähigkeit, die Grenzen zu wahrzunehmen. Wenn der Täter die Grenze aber nicht merken kann, wie will man weitere Taten und Schäden verhindern?
Da helfen nur eine Therapie und Risikoassessment, wie z.B. das Beratungszentrum Sexuelle Grenzverletzungen in professionellen Beziehungen in Basel anbietet.
Frage 6:
Wenn der Täter einen „Neuanfang“ an einer anderen Institution macht, wie will man dort die Mitarbeitenden, die Studierenden bzw. die Schüler, oder das Publikum informieren? Insbesondere wenn die Medien nicht berichtet haben, oder nur lokal, oder nur anonymisiert (wegen der Persönlichkeitsrechte des Täters), können die Opfer oft die Mitmenschen nur hinter vorgehaltener Hand warnen.
Wenn der Täter nicht strafrechtlich verurteilt wurde, sieht der neue Arbeitsgeber die Verfehlungen im Führungszeugnis nämlich nicht. In wiefern muss der alte Arbeitgeber den neuen informieren und evtl. von „Deals“ berichten (z.B. um den Täter schnell und ohne Arbeitsrechtsverfahren los zu werden, gegen Stillschweigen und gutes Zeugnis)?
Es ist für Opfer sehr schwer, mitanzusehen, wie der eigene Täter bei einem ‚Neuanfang‘ einen Schnitt machen darf, und dann nicht nur von seinen Freunden sondern auch von Unwissenden gefeiert und gefördert werden (teilweise sind das auch sogar nichts ahnende Feministinnen, die solche Täter in der Öffentlichkeit hochloben.), und man als Opfer dazu schweigen muss. Da werden Geschichten umschrieben zu Gunsten des Täters, insbesondere wenn es vorher keine Enthüllung-Presse gab, aber selbst dann.
Fazit: Musizieren ist ein Menschenrecht (deshalb gibt es auch Musiziermöglichkeiten im Gefängnis), das kann man auch Täter nicht verwehren. Und es gilt das Prinzip der Kunstfreiheit und Resozialisation.
Ich finde es aber wichtig, dass man sicherstellt, dass der Täter keine weiteren Taten begehen kann, und dass der Täter seine Taten vollständig eingeräumt, darüber nachgedacht und bereut hat. Und auch wichtig wäre, dass der Täter oder die Institution die Schäden bei seinen Opfern wieder gut gemacht hat.
Bisher tragen die Opfer die Schäden alleine (bis auf die Behandlungen, die die Krankenkasse zahlen, dann trägt die Kosten die Allgemeinheit). Einem Opfer, der die Szene verlässt, wird nicht nachgetrauert. Deshalb fühlen sich die Institution nicht so zuständig. Darüber müssen wir reden.
Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung von Shoko Kuroe von ihrer lesenswerten Seite metooklassik übernommen.