Warum man Mäkelä lieben muss

April 6, 2024
5 mins read
Klaus Mäkelä beim Fotoshootings in Chicago
Alles Inszenierung? Klaus Mäkelä beim Fotoshootings in Chicago (Foto: Chicago Symphony, Strauss)

Klaus Mäkelä wird neuer Chefdirigent in Chicago und Amsterdam. Manche begleiten den Erfolg des erst 28jährigen Dirigenten skeptisch. John Axelrod erklärt in einem Gastbeitrag, warum der Hype berechtigt ist.

Artikel zum Hören

Der Trend, dass die Klassik zunehmend auf Jugend setzt, ist nicht neu. Karajan war 21 Jahre, als er seine erste Stelle als Kapellmeister in Ulm antrat. Aber die Karriere von Klaus Mäkelä hat noch einmal eine andere Qualität: Musikdirektor von vier großen Orchestern, Oslo Philharmonic, Orchestre de Paris und bald auch Concertgebouw in Amsterdam und Chicago Symphony, all das mit nur 28 Jahren! 

Mäkelä muss etwas haben, das andere Maestri nicht haben. Er kommt aus der Jorma Panula-Fabrik an der Sibelius Akademie in Helsinki. Ebenso wie Esa-Pekka Salonen, der 1992  Musikdirektor des Los Angeles Philharmonic wurde. Damals war er eine  Ausnahmeerscheinung und gerade Mal 31 Jahre jung. Zu der Zeit galt Italien noch als das Land, aus dem die meisten Dirigenten kamen. Das hing mit der großen Operntradition zusammen, aber auch damit, dass Italien bis heute als Heimat der Dirigenten-Kultur gilt: Muti, Chailly, Luisi, Gatti, Noseda, Rustioni … die Liste ist lang! 

Doch inzwischen sind die Finnen auf dem Vormarsch: Salonen, Saraste, Vänskä, Lintu, Oramo, Franck, Storgårds, Mälkki, und schon jetzt kommt die nächste Generation: Inkinen, Peltokoski … ich könnte endlos weiter machen. Und, natürlich, den großartigen Wikinger Segerstam sollten wir nicht vergessen. Finnland ist zum Zentrum des Dirigenten-Universums geworden. Und Panula ist sein Yoda.

Viele Dirigenten in der ganzen Welt haben seine Meisterkurse besucht. Seine Methoden sind weitgehend abstrakt: weniger diszipliniert als etwa bei Ilja Musin in St. Petersburg und weniger stimmlich orientiert als andere Dirigenten-Lehrer (auch ich setze sehr auf die Stimme!) Für Jorma Panula ist auf jeden Fall weniger mehr. Und das funktioniert! Mäkelä profitiert von dieser Lehre, weil er am Ende vieles selber entscheiden muss.

»Finnland ist zum Zentrum des Dirigenten-Universums geworden. Und Panula ist sein Yoda.«

John Axelrod über Klaus Mäkelä

Ich habe vor fast 30 Jahren bei Panula studiert, kenne seine Pädagogik, seine Technik. Ich weiß, dass er klare Gesten fordert, präzise Rhythmik, Artikulation und innovative, persönliche Zugänge zur Musik. 

Als Dirigent habe ich 200 Orchester überall in der Welt dirigiert, bin selber Lehrer, online bei CMO und live mit Orchestern, besonders in Bukarest. Ich habe auch Mäkeläs Orchester in Paris, Oslo und Chicago dirigiert, kenne ihren Klang und Stil. Mir ist sehr bewusst, was mit ihnen möglich ist – und was nicht. Bei Mäkelä beeindruckt mich seine Reife, seine Beweglichkeit, seine Freiheit, der Ausdruck und die technische Präzision – für einen so jungen Dirigenten ist das erstaunlich. Aber was mich am meisten beeindruckt, ist, wie er mit den Orchestern arbeitet. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Musikerinnen und Musiker ihn lieben. Er fordert sie auf sehr hohem Niveau. Sein Erfolg ist nicht allein dem umtriebigen Management von Harrison Parrott geschuldet – er ist schlicht und einfach auch ein sehr begabter Dirigent. Ein »Natur-Dirigent«.

Vielen ist Mäkeläs Erfolg suspekt. Gerade für einen so jungen Musiker ist es auch verdächtig, wie oft er überall in der Welt engagiert wird. Selbst Gustavo Dudamel, ein anderer »Natur-Dirigent« brauchte lange, um an die Spitze zu gelangen: von Caracas über den Mahler-Wettbewerb in Bamberg, dann Götheburg, Los Angeles, die Oper von Paris und jetzt: New York Philharmonic.

Klaus Mäkelä über das Dirigieren.

Es gibt bei Mäkelä viele wichtige Qualitäten, die ihn von anderen jungen Dirigenten unterscheiden: 

Zunächst ist da die musikalische Tiefe. Ich habe mir seine DECCA-Aufnahmen angehört: Sibelius und Stravinsky. Sie sind souverän und substanziell. Seine Interpretationen elektrisieren, auch wenn sie vielleicht noch nicht zu den wirklichen Referenzaufnahmen dieser Werke gehören. Immerhin: Wie soll man sich auch zu der gigantischen Aufnahmegeschichte, zu all den großen Vorgängern verhalten? Schon jetzt lässt sich erahnen: Mäkeläs zukünftige Aufnahmen könnten sich in diese Geschichte einreihen. Man hört den gesunden Respekt vor Tradition, gleichzeitig sucht Mäkelä nach einem neuen Sound, nach Farben, Transparenz und interpretativen Ansätzen. Aber zu allererst hört man die Lust an der Zusammenarbeit mit den Orchestern. Das allein macht seine Aufführungen, Videos und Aufnahmen so besonders.

»Sein Gesicht spiegelt stets die Musik wieder und ist nicht im Dauerlächeln eingefroren.«

John Axelrod über Klaus Mäkelä

Zweitens: Seine Körpersprache und Probentechnik. Seine Arme und sein Körper haben die Länge, dass er entspannt wirkt und effektiv dirigiert. Kleinere Dirigenten müssen oft »über ihrem Kopf« dirigieren, zu große Dirigenten zu weit unten – das ist bei Mäkelä nicht nötig. Sein Dirigierstil wirkt  befreit, gleichzeitig gibt er den Musikerinnen und Musikern das nötige Gefühl von Sicherheit. Seine Linke ist unabhängig von der Rechten und sehr expressiv in Ausdruck, Phrasierung und Dynamik. Seine Schlagtechnik ist klar und bestimmend, ohne zu sehr zu gestikulieren. Seine klare Sprache (und sein vorzügliches Englisch) ist verständlich. Seine Anweisungen eindeutig. Er wirkt elegant und zeigt Respekt. Ganz nach den Vorstellungen Panulas: »Vertraue den Musikern und sie vertrauen Dir.« Kein Wunder, denn Mäkelä ist von Haus aus Cellist und weiß um die Bedürfnisse von Musikern. Sein Gesicht spiegelt stets die Musik wieder und ist nicht im Dauerlächeln eingefroren wie so oft bei anderen Dirigenten. Sein Ausdruck reflektiert Kooperation. Am ehesten erinnert mich all das an Carlos Kleiber, der von vielen als bester Dirigent aller Zeiten gesehen wird. Und das sagt schon vieles.

Drittens: Die Demut. So viel Erfolg am Anfang einer Karriere: erster Gastdirigenten bei der Schwedischen Radiosymphonie, dann schnell weiter nach Oslo und Paris, bald Amsterdam und Chicago. Das könnte einem zu Kopfe steigen, aber es ist natürlich auch ein Quäntchen Ego nötig – bei jedem Dirigenten. Ich höre, dass Mäklelä seinen Kopf gerade auf den Schultern trägt und nicht bekannt für Selbstüberschätzung ist. Was seine Affäre mit Yuja Wang betrifft: das war vielleicht Futter für die Slippeddisk-Kolumne, ist aber uninteressant für echte Musik-Menschen (und es sollte uns auch nichts angehen!). Wie heißt es in einem Mäkelä-Interview aus Oslo: »Es sollte immer um den Komponisten und seine Musik gehen, niemals um Dich selber.« Das klingt wie ein Lehrsatz aus einer Masterclass, aber bei Mäkelä klingt das eben auch glaubwürdig. Er lebt, was er predigt. 

Mäkelä hat nicht nur Fans: Der US-Kritiker Dave Hurwitz kommentier scharf.

Trotzdem dreht sich derzeit so ziemlich alles um Klaus Mäkelä, gerade in Zeiten der sozialen Medien, dem Geschäft mit der Klassik, den vielen Menschen, die von erfolgreichen Künstlern profitieren wollen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Mäkelä in 50 Jahren eine der großen lebenden Legenden sein wird, wenn er einfach weiter macht und sich nicht durch die Industrie ablenken lässt. 

Ich werde in 50 Jahren nicht mehr da sein, um das zu erleben, oder zu erleben, warum gerade das nicht passiert ist. Aber ich werde ihm dann vielleicht von irgendwo anders zuhören. Musik ist in erster Linie eine himmlische Sache. Und deshalb werde ich bis dahin auch weitermachen, Klaus Mäkelä meinen Respekt zu zollen –  und seiner jugendlichen und wahrhaftigen Musik-Botschaft.

Der Text erschien zunächst in englisch auf der Seite von John Axelrod. Wir dürfen ihm mit freundlicher Genehmigung in Übersetzung präsentieren.

John Axelrod

John Axelrod ist ein äußerst phantasievoller und dynamischer Musiker, dessen profunde, historisch informierte Repertoirekenntnis sich mit intellektuellem Elan und einem außergewöhnlich charismatischen Enthusiasmus für die Menschen und das Leben überhaupt so verbinden, dass sich bestechende und zugleich höchst charakteristische Interpretationen ergeben." (Pizzicato): In seiner inzwischen mehr als fünfundzwanzig Jahre umfassenden Laufbahn hat John Axelrod fast 200 Orchester dirigiert und sich als einer der führenden international agierenden Dirigenten der Gegenwart etabliert. Mit seinem ungewöhnlich breiten Repertoire von Kernwerken der Klassik in Konzert und Oper zur Musik der Gegenwart und Crossover-Projekten, mit innovativen Programmideen und charismatischen Interpretationen hat er sich die Wertschätzung bei Publikum und Kritik in aller Welt erworben. Für seine herausragenden Leistungen wurde John Axelrod 2020 mit dem ICMA Special Achievement Award geehrt.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Dirigenten im Schatten der Intendanz?

Heute mit einem Blick in die Verhandlungen von Joe Chialo, einer Debatte über unsere Klassik-Museen, über einen Aufschrei der Musikdirektoren und der großen Frage: Was trinken wir eigentlich in der Konzertpause?  

Musik in Zeiten des Krieges

Der Pianist Kirill Gerstein führt in diesem Text durch sein neues Album, das Musik von Komitas, dem Begründer der armenischen nationalen Musikschule, neben die von Claude Debussy stellt. Der eine verarbeitet den
Der Dirigent Marcus Bosch mit Stab im Mund

»Dirigenten haben das Gefühl großer Ohnmacht« 

Der Vorsitzende der Konferenz der Generalmusikdirektoren, Marcus Bosch, fordert mehr Rücksicht von Intendanten und beklagt die derzeitigen Strukturen an deutschen Theatern: Oft würden die GMD nicht an Entscheidungen beteiligt.

Ab heute: Zürich streamt »Ring« für alle

Die Zürcher Oper bietet in den kommenden Tagen den gesamten Ring des Nibelungen von Richard Wagner als Live-Stream an. Alle Teile stehen dann zwei Wochen lang kostenlos zur Verfügung. Mit dabei: Tomasz

Jetzt offiziell: Rempe übernimmt Konzerthaus Berlin

BackstageClassical berichtete bereits vorgestern. Heute ist es offiziell: Tobias Rempe wird neuer Intendant des Konzerthaus und des Konzerthausorchester Berlin. Derzeit ist der Kulturmanager beim Ensemble Resonanz in Hamburg.

»Wir fordern Umdenken vom Concertgebouw«

Angeblich aus Sicherheitsgründen und Angst vor pro-palästinensischen Demonstrationen hat das Amsterdamer Concertgebouw zwei Konzerte mit dem israelischen Jerusalem Quartet abgesagt. Nun Protestieren Künstler wie Evgeny Kissin, Misha Maisky, Martha Argerich oder Avi Avital mit

Don't Miss