
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit einem Kulturkampf in Tirol, dem Kampf der GEMA gegen die Klassik, Peter Gelbs Warnung an Europa und klassischen Freyheitskämpfern in Russland.
Kulturkampf in Tirol

Was sich am Landestheater in Tirol abspielt, ist ein Kulturkampf, der stellvertretend für viele deutschsprachige Häuser steht. Es geht um gut gemeinten Wandel, schlecht gemachte Kommunikation und eine politische Aufladung der Oper von allen Seiten. Intendantin Irene Girkinger sorgt mit ihrem Kurs für Modernisierung und neue Strukturen für heftige Kontroversen. Seit Amtsantritt 2023 kommt es zu massiven Konflikten, zahlreichen Kündigungen und einem Rückgang der Besucherzahlen. Kritiker werfen Girkinger vor, den Wandel zu dogmatisch und ohne ausreichenden Dialog voranzutreiben. Die rechtspopulistische FPÖ nutzt die Situation für politische Angriffe und fordert die Absetzung der Intendantin. Das Theater, unter Brigitte Fassbaender hoch angesehen, steht exemplarisch für den Kulturkampf in Zeiten der Transformation – und ist ein Lehrstück, wie Strukturen nicht verändert werden sollten. Im Haus ist von einer tiefen Krise innerhalb der Opern-Sparte die Rede, und gerade haben die beiden Opern-Co-Direktorinnen Jasmina Hadžiahmetović und Katharina Duda gekündigt. Ob die Nachfolgerinnen, Jeannine Grüneis, die derzeit das KBB in Essen leitet und die ehemalige Journalistin Julia Spinola, die derzeit Dramaturgin in Cottbus ist, die Situation verbessern, bleibt offen. Die ganze Geschichte gibt es hier.

Klassik in der GEMA gerät weiter unter Druck
Nachdem auf der GEMA-Generalversammlung ein Antrag zu neuen Verteilungskriterien an der Sperrminorität scheiterte, sollten eigentlich gemeinsame Wege zwischen E- und U-Komponisten gefunden werden. Stattdessen scheint der Streit nun zu eskalieren. Im Zentrum: Der GEMA-Aufsichtsratsvorsitzende Ralf Weigand und der Komponist Moritz Eggert. Inzwischen sitzt kein stimmberechtigter E-Komponist mehr im GEMA-Aufsichtsrat (Charlotte Seither verließ das Gremium), und Eggert wurde von Filmkomponisten aufgefordert, als Präsident des Deutschen Komponistenverbandes (DKV) zurückzutreten. Das Ultimatum ist inzwischen verstrichen. Es scheint, dass Eggert den DKV als kritischen und unabhängigen Verband bewahren und nicht zum Spielball der GEMA machen will. Auf Anfrage von BackstageClassical gab es bis Freitagabend keine Austritte aus dem DKV von Film-Komponierenden auf Grund der aktuellen Situation. Inzwischen scheinen nicht nur E-Komponisten Eggert den Rücken zu stärken. Alle Hintergründe hier.
Peter Gelb bangt auch um Europas Kultur
Für internationales Aufsehen hat das BacktageClassical-Gespräch mit dem Intendanten der Metropolitan Opera in New York, Peter Gelb, gesorgt. Seiner Einschätzung nach hat die Amtszeit von Donald Trump gravierende Folgen für die US-Kulturlandschaft. In unserem Podcast spricht Gelb von einem »sehr komplizierten« Umfeld: Nach Trumps Amtsantritt sei die Zahl internationaler Touristen in New York um 17 Prozent gesunken, die der kanadischen Touristen sogar um 75 Prozent – mit deutlichen Einbußen für die Met. Die Bundesförderung für Künste sei fast komplett gestrichen worden, was kleinere Institutionen existenziell bedrohe. Außerdem warnt Gelb vor einer wachsenden Bedrohung der künstlerischen Freiheit durch autokratische Tendenzen – nicht nur in den USA. Um so wichtiger sei, dass sein Opernhaus als »Symbol kultureller Demokratie« standhaft bleibe, sagt Gelb. Auch für die europäischen Kulturinstitutionen sieht er kritische Zeiten voraus und mahnt besonders Opernhäuser in Deutschland, sich nicht auf staatliche Zuschüsse zu verlassen und eine neue Unabhängigkeit zu etablieren. Den ganzen Podcast hören Sie hier.
Podcasts mit Theaterleitern bei BackstageClassical
- Tobias Kratzer über die Bedeutung der Oper in der Gegenwart
- Viktor Schoner über die Bedeutung von Kulturbauten
- Heribert Germeshausen über Identität des Theaters in der Region
- Peter Gelb über die Kulturpolitik Donald Trumps

Bogdan allein zu Haus?
Irgendwie ist der Wurm drin an der Wiener Staatsoper. GMD Philippe Jordan und Ballett-Chef Martin Schläpfer haben das Haus verlassen. Und nun wird gemunkelt (allerdings noch unbestätigt), dass eventuell auch Chefdramaturg Sergio Morabito gehen wird. Zuvor wurde die Verlängerung der Geschäftsführerin, Petra Bohuslav, quasi in letzter Sekunde beschlossen, was die österreichische Zeitung Kurier schon »Misstöne in der Staatsoper« hören ließ. Überhaupt scheint Opern-Intendant Bogdan Roščić sich nicht wirklich viele Freunde zu machen. Erst kürzlich verbot er dem Klassik-Magazin onlinemerker.com, Fotos des Hauses in seiner Berichterstattung zu verwenden, da Roščić über den Tonfall einer Kritik erzürnt war. Dabei ist das Magazin nicht das einzige, dass seit längerem Kritik an der künstlerischen Ausrichtung des Hauses äußert. Man kann gut argumentieren, dass die Wiener Staatsoper und Roščić dramatisch an Glanz verliert. Was also steht auf der Habenseite? Wahrscheinlich die Zahlen. Die Staatsoper lockt offensichtlich noch immer genug Touristen an, um Roščić politisch zu halten. Dass andere Häuser – auch in Wien – längst spannendere Projekte bringen, zeigt ein Rundblick über die Positionierung der drei Opern in Österreichs Hauptstadt.

Russische Freyheitskämpfer
Es sind irgendwie immer die gleichen, merkwürdigen Jungs aus der deutschen Klassik, die sich in Russland tummeln. Dieses Mal war es der AfD-Mann und ehemalige Leipziger Streichquartett-Cellist Matthias Moosdorf, der – gleich neben dem deutschen Musikmanager und Sotschi-Intendanten Hans-Joachim Frey – beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg auftrat. Frey postete auf Instagram außerdem das Bild einer Runde mit Gerold Held (dem ehemaligen Direktor des Taschenberg in Dresden, heute Astoria Petersburg), dem JournalistenHubert Seipel, der Gelder aus dem Putin-Umfeld bekam und dafür vom Netzwerk Recherche ausgeschlossen wurde, Matthias Moosdorf und Weltwoche-Mann Roger Köppel. Einige von ihnen waren sich schon bei einem Salon bei Justus Frantz begegnet, bei dem auch Sarah Wagenknecht zugegen war. Übrigens: Am 17. Juni starben mindestens 14 Menschen bei einem Luftangriff Russlands auf Kiew, und Vladimir Putin erklärte auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg: »Es ist kein Sprichwort, kein Gleichnis, sondern eine alte Regel: Wo der Fuß eines russischen Soldaten hintritt, das gehört uns.«
Personalien der Woche
Ina Karr wird neue Intendantin der Deutschen Oper am Rhein. Karr ist derzeit am Luzerner Theater, ihr offizieller Vertrag läuft noch bis 2031. Karr stammt aus Stuttgart und war zuvor unter anderem am Nationaltheater Mannheim, am Oldenburgischen Staatstheater und an der Oper Mainz tätig. +++ In Bayreuth starten die Proben. Abwechslung gibt es auch. Dirigent Pablo Heras Casado (Parsifal und Open Air) ist beim Mainauenlauf auf der Halbmarathon-Strecke dabei gewesen (als »Wagner Runner«). Mit stattlichen 1:39 Gratulation. +++ Der Pianist Alfred Brendel ist im Alter von 94 Jahren in seiner Wahlheimat London gestorben. Brendel prägte Generationen von Pianisten und Musikliebhabern mit seinen meisterhaften Interpretationen, insbesondere der Werke von Beethoven.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: »Miteinander Hören« heißt das gemeinsame Projekt des Freiburger Barockorchesters und des Freiburger Instituts für Musikermedizin – es soll Menschen mit Hörbeeinträchtigung das Konzert schmackhaft machen. Unser Autor Georg Rudiger hat das Festival besucht und war begeistert. Unter anderem sprach er mit einer Besucherin, die ein so genanntes Cochlea Implantat trägt, eine Hörprothese für Gehörlose und Ertaubte. Sie sagte: »Wir waren alle total berührt. Ich selbst hatte die Schuhe ausgezogen und spürte so die Vibrationen am Boden, aber auch das Sitzkissen leitete diese weiter.« Während des Konzerts setzte sich die Besucherin zwischen Laute und Cello. »Da ich mich auf diese beiden Instrumente konzentrieren konnte, hörte ich die Melodien sehr gut. Und durch meine Hand am Cembalo nahm ich die Tonschwingungen wahr. So kam auch die Harmonie und damit die Musik selbst bei mir wunderbar an.«
In diesem Sinne – und gerade bei diesem Thema: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann