Am Landestheater in Tirol will Intendantin Irene Girkinger dringenden Wandel vorantreiben und stärkt damit ausgerechnet ihre Gegner.
English summary: At Tirol’s Landestheater, director Irene Girkinger is pushing for radical change—but in doing so, she has fueled division and unintentionally strengthened her right-wing opponents. Amid falling ticket sales, staff resignations, and public disputes, her modern, democratic vision has sparked internal crises and political backlash, with the far-right FPÖ exploiting the turmoil for its own agenda.
Was sich seit einigen Monaten im Tiroler Landestheater in Innsbruck abspielt, ist mehr als eine Provinzposse. Es ist das grandiose Spektakel des Scheiterns eines Kulturkampfes auf allen Seiten und steht damit stellvertretend für viele deutschsprachige Häuser, an denen die Oper zum Spielball unterschiedlicher politischer Interessen wird. Wie konnte es passieren, dass ausgerechnet die Vertreter des demokratischen Theaters und des Wandels die Populisten der FPÖ stärken?
Das Innsbrucker Theater hatte einmal einen guten Ruf, einen sehr guten sogar. Damals leitete Brigitte Fassbaender das Haus. Sie hatte genügend Geld, um großartige Stimmen zu engagieren und etablierte eine kluge Opernästhetik, die modern war und sich nah an den Partituren bewegte. Diese Zeiten sind aus unterschiedlichen Gründen vorbei. Was sich seither geändert hat: Die Kassen sind leerer, und die Politik hat sich bei der Besetzung der neuen Intendanz mit ihren kulturpolitischen Forderungen durchgesetzt.
Politische Besetzung
Es war in erster Linie der damalige grüne Bürgermeister Georg Willi, der sich für Irene Girkinger als neue Intendantin eingesetzt hat. Girkinger ist eine Oberösterreicherin, die von der Dramaturgin am Schauspielhaus Salzburg zur Intendantin der Vereinigten Bühnen Bozen wurde. Als sie 2023 nach Innsbruck kam, hatte sie wenig Erfahrung mit größeren Häusern, und besonders nicht mit dem Genre Oper.
Aber Girkinger stand für eine neue Unternehmenskultur: Mehr Gleichberechtigung, mehr Doppelspitzen, mehr Miteinander. Mehr Demokratie wagen in der Kunst mag die Hoffnung bei ihrem Amtsantritt gewesen sein. Die Sparten Oper und Schauspiel wurden je mit weiblichen Doppelspitzen besetzt, die Sparte Ballett mit einer männlichen Doppelspitze. Und auf der Bühne zog schnell eine neue Ästhetik ein. Girkinger steht für neues Theater, für gewagte Konzeptionen und moderne Lesarten. Das Publikum wollte ihr dabei nicht so schnell folgen, Abos wurden gekündigt, die Auslastungszahlen sind instabil. All das ist normal für den radikalen Umbruch an einem Theater, könnte man meinen. Aber Girkinger schaffte es auch nicht, Rückhalt im eigenen Haus zu organisieren. Seither steht das Tiroler Landestheater in einer Dauerdebatte.
Viele Konflikte
Alle Ebenen der Konflikte zu sortieren, scheint unmöglich. Natürlich gab es auch überflüssige Sperrfeuer, etwa vom Publikumsliebling, aber frühzeitig gechassten Chef des Ballet, von Enrique Gasa Valga. Der konnte Auslastungszahlen von fast 100 Prozent vorweisen und wird nicht müde, die neue Intendantin zu düpieren, besonders durch Konkurrenz-Veranstaltungen in Innsbruck, in denen er seinen Nachfolgern am Theater die Nase dreht.
Der viel wichtigere Krach aber eskalierte, als der kaufmännische Direktor des Hauses, Markus Lutz, sich öffentlich gegen Girkinger positionierte. Mehr als 1.200 Abo-Kündigungen und rasant schwankende Auslastungszahlen sorgten bei ihm für so viel Nervosität, dass Lutz die Arbeit der Intendantin in Frage stellte. Danach war viel politischer Druck nötig, um die Situation wenigstens nach außen zu kitten. Das Theater wird zu 55 Prozent vom Land Tirol und zu 45 Prozent von der Stadt Innsbruck getragen. Schließlich wurden Girkinger und Lutz dazu verdonnert, ein gemeinsames Interview in der Tiroler Tageszeitung zu geben, das ein wenig an das »Friedens-Interview« zwischen Kristina Hammer und Markus Hinterhäuser in den Salzburger Nachrichten erinnerte. Hausintern wurden Mediationen angekündigt, die aber – wenn man mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haues spricht – wenig brachten.
Neues Opern-Duo
Inzwischen wurde Lutz‘ Vertrag zwar verlängert, aber dann haben ausgerechnet der Leiter der Abteilung Kommunikation und Marketing und die Doppelspitze der Opernleitung überraschend gekündigt. Die beiden Co-Direktorinnen Jasmina Hadžiahmetović und Katharina Duda (beide kamen aus Cottbus) gaben für ihren Rückzug offiziell »persönliche Gründe sowie Gründe der beruflichen Weiterentwicklung« an. Aber daran glaubt im Hause kaum jemand. Einige Künstlerinnen und Künstler sprechen eher von einer tiefen Krise innerhalb der Opern-Sparte, seit Girkinger die Intendanz übernommen hat. Davon, dass das Publikum (und ein Teil des Ensembles) bei den innovativen Konzepten der Intendantin nicht ausreichend mitgenommen würden. Kritik gibt es auch an der neuen Struktur des Hauses. Immer wieder hört man Stimmen, dass das politisch-ideologische Dogma zuweilen über den künstlerischen Entscheidungen stünde. Und tatsächlich ist es ja auffällig, dass alle Leitungsposten innerhalb der einzelnen Sparten mit Doppelspitzen besetzt werden, nur die Intendanz allein regiert. Doch gerade Irene Girkinger scheint mit den internen Spannungen und der mangelnden äußeren Akzeptanz ihrer Arbeit besonders überfordert zu sein.
Inzwischen hat die Intendantin ein Nachfolger-Duo für die Oper gefunden: Jeannine Grüneis, die derzeit das KBB in Essen leitet und die ehemalige Journalistin Julia Spinola, die derzeit Dramaturgin in Cottbus ist (und ihren bereits ausgehandelten Vertrag als Dramaturgin an der Münchner Staatsoper gar nicht erst angetreten hat). Ob die beiden sich zukünftig besser in das spannungsgeladene Haus in Innsbruck fügen, bleibt offen.
FPÖ schlachtet Theaterstreit aus
Das eigentliche Problem aber zeigt sich besonders darin, dass Girkinger den Wandel des Hauses offensichtlich nicht integrativ und dialogisch genug geführt hat. Vieles erinnert auch an deutsche Stadttheater, etwa an Kassel, wo sich Intendant Florian Lutz gegen den Protest besonders seines Orchesters, radikal und mit weitgehender Ignoranz gegenüber Kritikerinnen und Kritikern mit seinem Stil behaupten will. Die Konsequenz in Innsbruck ist, dass ausgerechnet die rechtspopulistische FPÖ nun die vermeintliche Volksstimmung im Kampf um das Haus in Tirol aufgreift und zum Politikum erhebt. In einer Presseaussendung fordert die Rechtspartei heuchlerisch »im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landestheaters, dass die umstrittene Intendantin endlich abgesetzt wird.«
Spätestens jetzt ist der Kulturkampf in der Stadt perfekt. Aus Innsbruck zu lernen, bedeutet, zu verstehen, dass nötiger Wandel und die Transformation unserer Kultureinrichtungen schlecht beraten ist, wenn sie Dogmen folgt, Angst vor Kommunikation hat und überheblich wird. Derzeit sieht es so aus, als habe Girkinger ausgerechnet jenen Kräften, die für mehr Demokratie in der Kultur, für mehr Wandel und Offenheit stehen, einen Bärendienst erwiesen und ausgerechnet jene Kräfte gestärkt, denen sie eigentlich den Kampf ansagen wollte. Das ist das eigentliche Trauerspiel, das wir derzeit oft an jenen Orten sehen, an denen die Kulturpolitik über die Kultur gestellt wird.