Trauer um Aribert Reimann

März 14, 2024
3 mins read
Der Komponist Aribert Reimann (Foto: YouTube)

Der Komponist Aribert Reimann ist tot. Er starb mit 88 Jahren. 

Den Artikel hier hören

Am liebsten saß Aribert Reimann an seinem Schreibtisch in Berlin. Ein unspektakulärer Arbeitsplatz ohne Computer. Der Blick führte auf einen ebenso unspektakulären Balkon. Vor ihm lag das leere Notenblatt, in der Hand hielt er meist einen grünen, sehr spitzen Bleistift. Aribert Reimann brauchte kein Klavier, um seine Töne zu finden. Seine Musik fand allein im Kopf statt. Hier spukten seine Protagonisten als musikalische Gespenster, hier verließen ihre Stimmen die Körper, um in Welten der Wahrhaftigkeit zu gelangen. Hier entstanden seine über 70 Liederzyklen, Instrumental- und Orchesterwerke und seine neun Opern. 

Musik war für Aribert Reimann so etwas wie eine bessere Welt. Ein Raum, in dem er sich gern aufhielt. Er war lieber im Klang zu Hause als in der Welt da draußen. Da zog er sich gern zurück.  »Das Komponieren«, sagte er einmal, »ist mein Lebenselixier.« Mehr noch: Die Musik war sein Leben, sein Sinn: »Ohne wüsste ich gar nicht, warum ich hier auf dieser Welt bin.«

Vielleicht lag in seiner Zurückgezogenheit und in seiner Ausgeglichenheit ein Teil des Erfolges von Aribert Reimann. Kaum ein anderer Musiker wurde von seinen Kolleginnen und Kollegen als Mensch so geschätzt wie er. Aribert Reimann ruhte in seiner spektakulären Arbeit, die uns als Publikum durch ihre schöne Schrillheit immer wieder aufrüttelt. Die chaotische Welt um sich herum verarbeitete er am liebsten in Noten. Es schien, als ließe er seine Klänge schreien, um selber die Ruhe zu bewahren. 

1946 hatte Aribert Reimann  als Kind am Hebbel-Theater in Berlin für die Hauptrolle in Kurt Weills Oper Jasager vorgesungen – und wurde angenommen. »Für mich eröffnete sich damals eine vollkommen neue Klangwelt«, erinnerte er sich später. Die Proben dauerten zwei Monate. In den Pausen hat Reimann zu komponieren begonnen. Er war damals 10 Jahre alt.

Reimann stammt aus einer Musikerfamilie. Sein Vater, Kirchenmusiker, und seine Mutter, Oratoriensängerin, wurden im Krieg ausgebombt und zogen von Berlin nach Potsdam. Die Zeit hinterließ Eindruck in den Ohren des Sohnes, besonders das Dröhnen der Kriegsflugzeuge über seinem Kopf, wenn sie Mal wieder auf dem Weg nach Berlin waren. »Eines Tages klangen die Flieger plötzlich anders, und mir war klar: es musste etwas passiert sein«, erzählte Reimann einmal. »Und tatsächlich, an diesem Tag brannte ganz Berlin: die Häuser, die Straßen, die Bäume.« Eine Apokalypse die den Jungen nachhaltig beeindruckte, und die er ein Leben lang verarbeiten sollte. Viele seiner Opern wie Medea oder Melusine enden in einem Feuer-Inferno.

»Der glücklichste Moment ist für mich immer, wenn ich am Tag gut arbeiten konnte und gut weitergekommen bin. Dann habe ich das Gefühl, jetzt bin ich der glücklichste Mensch von der Welt.«

Aribert Reimann (Komponist)

Als Jugendlicher studierte Reimann an der Berliner Musikhochschule bei Boris Blacher und Ernst Pepping. Sein größte Inspiration fand er in der Literatur, besonders bei Günter Grass. Nach dessen Libretto komponierte er die Handlungsballette Stoffreste (1959) und Die Vogelscheuchen (1970). Reimann vertonte Werke von Strindberg (Ein Traumspiel und Gespenstersonate), William Shakespeares Lear, Franz Kafkas Schloss und Bernarda Albas Haus nach Federico Garcia Lorca. 

Noch mehr als die Stoffe inspirierten ihn die Stimmen seiner Zeit. Elisabeth Grümmer, Brigitte Fassbaender oder Dietrich Fischer-Dieskau, dem er nicht nur den Totentanz sondern auch andere Stücke und vor allen Dingen den Lear auf die Stimmbänder komponierte. Durch ihre Kunst konnte Reimann Töne erfinden, die den menschlichen Ausdruck bis zu seinen Grenzen treiben. Reimann war ein Meister der vokalen Musikalität. In ihrer Exzentrik klang sie in seinen Opern stets echt und wahrhaftig. »Man sollte nie komponieren, was die Bühnenfigur sagt«, war eine seiner wichtigsten Regeln, »sondern immer nur das, was im anderen, dem Zuhörer, gerade innerlich vorgeht. Alles andere wäre eine Verdoppelung.«

Reimanns Musik tanzt stets auf den Grenzen des Möglichen. Und es dauerte lange, bis die Veranstalter Vertrauen gefunden hatten. Dem Regisseur Götz Friedrich war Reimanns Lear zu abenteuerlich. Erst August Everding nahm das Werk 1978 mit nach München, um damit seine ersten Opernfestspiele zu eröffnen.  Mut zur Moderne, der sowohl dem Intendanten als auch dem Komponisten Aufmerksamkeit bescherte.  

Bis zum Schluss blieb Aribert Reimann interessiert an allem, was ihn umgab, besonders an der Musik seiner Kolleginnen und Kollegen. Er war ein bescheidener Einzelgänger: »Der glücklichste Moment ist für mich immer, wenn ich am Tag gut arbeiten konnte und gut weitergekommen bin. Dann habe ich das Gefühl, jetzt bin ich der glücklichste Mensch von der Welt«, sagte er einmal. Am Mittwoche ist Aribert Reimann im Alter von 88 Jahren gestorben.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Der Nikolo muss sparen

In der aktuellen Ausgabe von »Alles klar, Klassik?« diskutieren Dorothea Gregor und Axel Brüggemann die Sparmaßnahmen in Berlin, die Opernsanierung in Stuttgart und alle anderen Themen der Woche.

Linz räumt auf

Beim Linzer Wirtschaftsforum verschwammen einst Kultur, Wirtschaft und Politik. Gegründet wurde es von Putin-Manager Hans-Joachim Frey. Nun scheint es zu zerbrechen. Und das ist auch gut so.

»Es zählt allein die Qualität«

Der Musikproduzent Günter Hänssler über Streaming, KI in der Musik und die Kunst, das wirklich Bedeutende zu finden und zu fördern. Ein Gespräch zum 65. Geburtstag.

Der demaskierte Putin

Peter Carps letzte Pique Dame-Inszenierung in Freiburg vereint opulente Ästhetik, politische Symbolik und Hermanns Obsession – mit beeindruckenden Darbietungen.

Don't Miss