Regisseurin Mariame Clément und Dirigent Marc Minkowski haben das Feuilleton nach ihrer Salzburg Premiere von »Hoffmanns Erzählungen« zu einem Verriss-Wettstreit inspiriert. Aber vielleicht liegt die Schuld auch in der kurzfristigen Harakiri-Planung der Intendanz? Eine Presseschau.
Machen wir es kurz: Nach der letzten großen Festspiel-Premiere in Salzburg gab es in den Feuilletons eine Art Wettkampf um den schlimmsten Verriss. Regisseurin Mariame Clément inszenierte Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen und verwandelte den Protagonisten in einen Filmregisseur. Ein alter Hut, findet Markus Thiel im Merkur: »Die Oper als Ort fürs Filmset, das ist der allerletzte, schon heiser gewordene Regie-Schrei. Offenbar hat keiner Mariame Clément gesagt, verantwortlich für Les contes d’Hoffmann bei den Salzburger Festspielen, dass Christoph Marthaler ein Jahr zuvor just auf dieselbe Idee am selben Ort für Verdis Falstaff gekommen ist. Dazu noch jüngst Kornél Mundroczó mit seiner Münchner Tosca nebst diverser anderer Produktionen – das Konzept müffelt vernehmlich.«
Judith von Sternburg schreibt mit enttäuschtem Furor in der FR: »Ein Scheitern auf ganzer Linie, wobei sie (Clément) mit Marthaler eint, dass es so nicht hätte kommen müssen. Kopfgeburten bedürfen aber besonderer Pflege. Sie müssen, das Wort lässt es doch schon ahnen, besonders durchdacht sein, zu Ende gedacht, überprüft und noch einmal überprüft.« Ljubiša Tošić schließt sich dem im Standard an: »Clément lässt zwar Hoffmann ins Delirium fallen. In Szenen zwischen Albtraum und Wirklichkeit erscheinen ihm alle Figuren, denen er bisher begegnet ist. Er schlägt zu, er wird von Giulietta umgarnt (Kathryn Lewek ist neben Stella, Olympia und Antonia auch Giulietta) und landet schließlich doch wieder vor den Mauern und bei der Erkenntnis, dass er nun abermals Künstler sein sollte. Am Tisch sitzend schreibt er an einem Drehbuch. Schwach war das.«
Wilhelm Sinkovicz entrüstet sich in Die Presse: »Offenbachs Contes d‘Hoffmann schwächeln unter Marc Minkowski musikalisch und sind dank Mariame Cléments Regie ein szenischer Totalausfall. Einzig Jürgen Kaube in der FAZ kann dem Abend auch etwas Gutes abgewinnen und schreibt: »Die Regisseurin Mariame Clément sorgt mit Les Contes d’ Hoffmann von Jacques Offenbach bei den Salzburger Festspielen für Überraschungen, mit denen das Dirigat von Marc Minkowski nicht ganz Schritt hält.« Tatsächlich scheinen die Wiener Philharmoniker sich dem Offenbach-Experten Minkowski zu widersetzten, sagt auch Jörn Florian Fuchs im Deutschlandfunk. Er wittert eine Verweigerungshaltung des Orchesters gegenüber dem Dirigenten. Volkmar Fischer beim BR konstatiert: »Auch wenn Minkowski seine Tempovorstellungen bis zum Premierenabend offenbar nicht allen Beteiligten kommunizieren konnte – es mangelt immer wieder an Präzision.«
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Bleibt Tenor Benjamin Bernheim als Gewinner des Abends. Fischer schreibt: »Er zeichnet Leidensdruck mit einer Prise Leichtigkeit. Nie verliert er seine Eleganz, sein Lächeln in der zart bebenden und beizeiten mächtig aufblühenden Stimme. Das ergibt vokal ein völlig anderes Erscheinungsbild als beim neurotischen Schmerzensmann Neil Shicoff, dem Salzburger Rollenvorgänger vor knapp zwanzig Jahren.«
Jörn Florian Fuchs zieht im Deutschlandfunk auch einen Strich unter diesen Festspielsommer und sagt, dass neben einem tollen Idioten eher Mittelmaß oder Scheitern das Opern-Programm dominierten (»Der Daumen ist leider etwas mehr nach unten gerichtet«). Und Fuchs stellt auch die entscheidende Frage, warum Intendant Markus Hinterhäuser, gerade auch bei der Hoffmann-Inszenierung nicht klarer eingegriffen hat. Fakt ist wohl: Weil auch diese Opernaufführung – wie so vieles derzeit in Salzburg – mit heißer Nadel gestrickt wurde. Das Regie-Team wurde erst gut ein Jahr (sic!) vor der Premiere engagiert. Wie soll so ein seriöser Opernabend entstehen? Es scheint, dass Salzburg die Intendanten-Frage etwas zu überstürzt entschieden hat. Markus Hinterhäusers Opern-Sommer ist auf jeden Fall bei großen Teilen der Kritik – mal wieder! – durchgefallen.
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