Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit guten Zahlen aus Berlin, dem Intendanten-Chaos in Italien, der wachsenden Gewissheit, dass Mäkelä nach Chicago geht und der Beruhigung, dass Gene kein Genie versprechen.
Berliner Häuser füllen sich wieder
Die Theater in Berlin sind wieder auf dem Vormarsch: 3,1 Millionen Besucher in Oper, Schauspiel, Tanz und Konzert. Das erfolgreichste Klassik-Haus ist nach BZ-Informationen nach dem Friedrichstadtpalast und dem Maxim-Gorki-Theater die Staatsoper Unter den Linden (+1,4 Millionen Euro). Die Zeitung hat auch ausgerechnet, wie viel staatliche Unterstützung pro Karte an jedes Haus fließen. In der Komischen Oper sind das zum Beispiel 272 Euro (Spitzenreiter sind das Ballhaus mit 466 Euro pro Ticket und die Tanzfabrik mit 326 Euro).
Mäkelä nach Chicago?
Die Situation könnte ein wenig absurd werden: Wird Klaus Mäkelä Chefdirigent in Chicago (und damit Nachfolger von Riccardo Muti), bevor er 2027 endlich seine Stelle als Chefdirigent beim Concertgebouworkest in Amsterdam antritt? Dort wurde er bereits 2022 vorgestellt, aber man wollte mit seinem Amtsantritt warten, bis Mäkeläs Vertrag beim Orchestre de Paris ausläuft. Wenn die aktuellen Gerüchte aus Chicago stimmen und sein Engagement bald bekannt gegeben wird, wäre das eine Ohrfeige für Amsterdam. Dort hoffte man, dass der erst 28jährige Mäkelä sich voll und ganz auf seinen Job in den Niederlanden konzentrieren würde und gewährte ihm auch deshalb eine extrem lange Wartezeit von fünf Jahren. Mäkelä machte in den letzten Wochen auch deshalb Schlagzeilen, weil die gemeinsamen Konzerte mit der Pianistin Yuja Wang absagt wurden. Die beiden hatten sich vor einigen Monaten in den sozialen Medien noch als lustvoll musizierendes Klassik-Paar präsentiert. Nun sagten sie gemeinsame Auftritte in Chicago and Cleveland ab. Wirklich spannend am Mäkelä-Hype ist, dass es von Orchestern immer wieder heißt, dass es bei der Wahl von Frauen noch nicht genügend Dirigentinnen mit genügend Erfahrung gäbe. Gilt dieses Kriterium bei Männern eigentlich nicht?
Netrebkos neuer Traum-Mann
Nach den Salzburger Osterfestspielen sind Anna Netrebko und Jonas Kaufmann nun auch das Opern-Traumpaar bei der kommenden Scala-Eröffnung. Auf dem Programm steht: La Forza Del Destino mit Ludovic Tézier. Dirigent ist Riccardo Chailly, inszenieren wird Leo Muscato. Es ist schon ein wenig lustig zu sehen, wie viele Männer Netrebko in Ihrer Karriere ins Abseits gesungen hat. Am Anfang wurde sie untrennbar mit Rolando Villazón verbunden, dann lange Zeit mit ihrem damaligen Partner, dem Bariton Erwin Schrott. Zwischenspiele bestritt sie mit Roberto Alagna, dann trat sie am liebsten mit ihrem neuen Mann, Yusif Eyvazov auf (da ist es inzwischen irgendwie ruhiger geworden, er hat eine neue Agentur aufgebaut und ist Intendant in Aserbaidschan). Nun also immer wieder mit dem nicht mehr ganz taufrischen Jonas Kaufmann. Wenn das so weiter geht, könnte Netrebko bald Alban Bergs erste Lulu verkörpern!
Italienische Zustände
Der Intendant der Mailänder Scala, Dominique Meyer, soll das Haus verlassen, wenn es nach Italiens Rechtsregierung geht. Ein Beschluss der Regierung Giorgia Meloni sieht vor, dass Leiter großer Häuser mit 70 Jahren in Ruhestand treten sollen. Nun meldet sich das Orchester der Mailänder Scala: »Es scheint uns gut zu sein, wenn Dominique Meyer im Amt bleibt, um zu vollenden, was er bereits für die kommenden Saisons geplant hat. Seinen Vertrag zu verlängern würde bedeuten, dass es in Mailand eine künstlerische Reise zu vollenden gäbe.« Die Regierung Meloni hatte bereits angekündigt, dass Meyer durch Fortunato Ortombina ersetzt werden sollte, der derzeit am La Fenice in Venedig im Amt ist. Ortombina hatte allerdings sofort erklärt, dass er keine Ambitionen habe nach Mailand zu wechseln. Von Dominique Meyer heißt es, dass er sich bereits als Intendant der Salzburger Festspiele, also als Nachfolger von Markus Hinterhäuser, beworben habe.
Derweil hat der Maggio Musicale in Florenz den Italiener Carlo Fuortes als neuen Intendanten benannt. Fuortes, ehemaliger RAI-Mann, hatte es eigentlich auf den Chefsessel in Neapel abgesehen. Dort aber setzte sich der alte Intendant durch. Nun ersetzt Fuortes also Alexander Pereira in Florenz. Der musste das Maggio Musicale verlassen, nachdem Vorwürfe der Untreue laut wurden. Es ging um überzogene Spesenrechnungen: Hotelübernachtungen, Restaurantbesuche in Ibiza, einen Helikopterflug und teure Einkäufe bei Fischhändlern, Bäckereien und Metzgereien. Pereira soll auch einen Fond angezapft haben, der eigentlich für die Tilgung der Schulden am Haus vorgesehen gewesen sei, um die Löhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bezahlen. Die Ironie der Geschichte: Gegen Fuortes wurde gerade ein Urteil gesprochen: 16 Monate Haft, da er mitverantwortlich für den Unfalltod eines Opern-Mitarbeiters in der Oper in Rom im Jahre 2017 gewesen ist. Fuortes wurde außerdem zu einer Strafe in Höhe von 220.000 Euro für die Opfer-Familie verklagt. Wie die Regierung Meloni bereits in die Klassik-Kultur Italiens eingreift zeigt sich an der Dirigentin Beatrice Venezi im Orchestra Sinfonica Siciliana in Palermo. Sie ist begeisterte Meloni-Anhängerin, ihr Vater hat die neurechte Partei in Italien gegründet. Nun haben Musikerinnen und Musiker des Orchesters gegen sie aufbegehrt – drei wurden für mehrere Tage suspendiert. Angst macht sich breit.
Gene garantieren kein Genie
Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts haben Gene aus einer Haarsträhne von Ludwig van Beethoven analysiert und herausgefunden: die Gene des Meisters aus Bonn unterschieden sich in Sachen Musikalität nicht von denen anderer Bevölkerungsstichproben. Als Indikator gilt die genetische Veranlagung zur »Taktsynchronisation« – eine Fähigkeit, die eng mit Musikalität verbunden ist. Beethovens Gene sind in dieser Kategorie unauffällig. Immerhin beruhigend: Üben scheint sich doch zu lohnen.
Personalien der Woche
Die Theater-Legende Roberto Ciulli erklärte in der Süddeutschen Zeitung seine Zweifel, ob die Bühne noch immer die Kunst der Zukunft ist. »Der Kampf um Veränderung geht weg von der Bühne«, sagt er, »weg vom Bereich der Kunst, hinaus auf die Straße. (…) Es gibt die Zeit der Literatur, des Romans – und es gibt die Zeit der Manifeste und der Kampfansagen.« Auf meiner neuen Seite BackstageClassical zeichne ich nach, wie die Kunst in den letzten Jahren von Joseph Beuys über Christoph Schlingensief bis zum Zentrum für politische Schönheit immer mehr auf die Straße gewandert ist. +++ Im Pop und Rock-Bereich scheint man einen Großteil des Anspruches auf politische Botschaften bereits aufgegeben zu haben. Eine Studie von Computerwissenschaftlern fand auf jeden Fall heraus, dass die Lyrics in fast allen Genres einfacher geworden sind – selbst im Rap. Das Absurde: Rockfans greifen auch deshalb auf die Klassiker zurück. +++ Die Bregenzer Festspiele eröffnen dieses Jahr mit dem Freischütz. Regisseur Philipp Stölzl wird eine Winterlandschaft auf den Bodensee zaubern – nun gibt es erste Bilder. »Die Inszenierung spielt in einem Dorf im Winter nach dem 30jährigen Krieg«, erklärt Intendantin Elisabeth Sobotka. »Stölzl spielt auch mit den Verwundungen des Krieges – leider sehr aktuell. Er will die Brüche nutzen: Am Bodensee ein Dorf im Winter. Das Unheimliche, das Dramatische, aber auch das Verspielte. Diese Gegensätze sind im Freischütz immanent. Man wird hin und hergerissen zwischen einer Nachtstimmung und einer dramatischen Szene.«
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! In Wahrheit ist es noch gar nicht da, sondern lediglich als kleines Stückchen Vorfreude auf dem Markt: Der Bariton André Schuen hat – gemeinsam mit seinem kongenialen Klavierpartner Daniel Heide – bereits die Die schöne Müllerin und Schwanengesang vorgelegt. Nun erscheint auch eine Aufnahme der Winterreise. All das sind Zyklen mit gigantischer Historie: von Dietrich Fischer-Dieskau über die von mir so heiß geliebten Zyklen von Thomas Quasthoff. Schuen stellt sich wie selbstverständlich in diese Reihe. Schon auf der Winterreise-»Single« (mit Frühlingstraum), die von der Deutschen Grammophon bereits ausgekoppelt wurde, wird klar: Schuen führt Schubert wieder in eine strengere, aber nicht minder strömende Sinnlichkeit zurück. Nichts lenkt da ab, kein Hauch von Manierismus. Alles ist: Stimme. Alles ist: Knochen. Alles ist: Wesentlich. Lieder zum zuhören. Lieder, in denen man sich bewegen kann.
In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann