Bollwerk der Demokratie oder Tourismus-Beschleuniger? Kulturschaffende scheitern derzeit daran, ihre eigene Notwendigkeit zu erklären. Kultur-Kürzungen werden zum politischen Populismus. Eine Analyse und Bestandsaufnahme.
English summary: Protests against severe cultural budget cuts in Berlin and public broadcasting were loud but ineffective. Despite appeals highlighting culture’s democratic and economic importance, the public remained largely indifferent. Politicians, like Bavaria’s Markus Söder, faced little backlash for supporting cuts. As cultural institutions struggle to adapt, calls grow for structural reform, creativity, and audience engagement to reclaim relevance.
Der Protest war laut. Der Protest war kreativ. Aber der Protest war wohl auch fruchtlos. Sowohl die Petition von 150.000 Menschen, die sich gegen die Abschaffung des Kultursenders 3Sat aussprach als auch die Demonstrationen mit Katharina Thalbach, Axel Prahl und Lars Eidinger vor dem Brandenburger Tor gegen die Millioneneinsparungen im Kulturhaushalt der Hauptstadt. Am Ende wurde weder das Kettensägenmassaker am ÖRR verhindert noch jenes im Kulturbereich. Erst Ende Oktober haben die Ministerpräsidenten die Kürzungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgesegnet, vergangene Woche beschloss Berlins CDU-SPD-Senat Kultur-Kürzungen in Höhe von 130 Millionen Euro.
Viele Kulturschaffende wollen diese Beschlüsse nicht wahrhaben. Sie demonstrieren und protestieren, schreiben offene Briefe und rufen zu immer neuen Petitionen auf. Dabei geraten sie mit ihren Argumenten allmählich in eine tragische Endlosschleife. Grundsätzlich gibt es zwei Haupt-Argumentationsstränge: Den ideologischen und den ökonomischen Ansatz. »Kultur stärkt die Demokratie« heißt es im ersten Erklärmodell, Theater, Orchester, Museen und Bibliotheken seien die Säulen einer offenen Gesellschaft, Garanten für sozialen Zusammenhalt und Schutzmechanismen gegen politische Extreme.
Demokratie und Ökonomie reichen nicht mehr als Behauptungen
Auf der anderen Seite wird finanziell argumentiert: Kultur sei »die Schwerindustrie Berlins« (Joe Chialo), und Demonstrierende in Berlin rechneten immer wieder vor, dass weniger Premieren, Konzerte und Ausstellungen auch weniger Touristen – also weniger Einnahmen für die Stadtkasse – bedeuteten. Kultur sei »Berlins Kapital«.
Inzwischen wissen wir, dass weder die ideologische noch die ökonomische Argumentationsstrategie politisch verfangen hat. Tatsächlich könnte man inzwischen den Eindruck bekommen, dass Einsparungen in der Kultur überhaupt kein Tabu mehr sind, sondern Teil eines neuen politischen Populismus.
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Der Protest gegen den Abbau staatlicher Kulturunterstützung wurde laut und schillernd inszeniert, aber es blieb eben immer auch ein Protest der Minderheit. Es scheint, als würden viele Kulturschaffende nun nach der Corona-Pandemie zum zweiten Mal aus ihrem Traum aufwachen und erschrocken feststellen, dass unsere Gesellschaft ihnen nicht jene Relevanz zuschreibt, die sie selbst immer wieder behaupten. Denn zur Wahrheit gehört, dass weder die Kulturstreichungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch die radikalen Sparmaßnahmen in Berlin außerhalb der Feuilletons für wirklich große Aufschreie gesorgt haben. Die Politik lernt gerade, dass Kulturkürzungen kaum zu einem schlechteren Wahlergebnis führen.
Das öffentliche Bild der Kultur ist desaströs
Manchmal wundert die fehlende öffentliche Akzeptanz der Kultur auch nicht: Das ZDF heute journal strahlte am vorvergangenen Mittwoch einen Beitrag über die Kultur-Proteste in Berlin aus, in dem Georg Scharegg vom freien Theater TD Berlin, während er eine Absperrband-Installation anfertigte, vom „Glanz der Kultur“ redete. Das Technikmuseum protestierte ausgerechnet damit, dass es den Lokschuppen für Kinder sperrte, und Lars Eidinger, der einst mit einer 550 Euro-Aldi-Tüte posierte, lamentierte vor der Schaubühne über die „drohende Insolvenz“.
Ist das das Bild, das die Menschen da draußen von der Kultur in Deutschland bekommen sollen? Könnte es sein, dass nur wenige Leute, die Busse fahren, Badewannen installieren oder in Versicherungen arbeiten, an Gerichten oder bei Rewe, die bei VW, Mercedes oder Ford gerade um ihre Existenz bangen, sich mit dem identifizieren können, was da in drei Minuten als Kulturblase vorgestellt wurde? Wer, bitteschön, will denn in eine Beerdigung investieren? Ist es verwunderlich, dass der öffentliche Rückhalt für Theater schwindet, wenn in manchen von ihnen noch immer tyrannische Intendanten regieren, das Gehaltsgefälle pervers groß ist, #metoo-Übergriffe zu Hause und moderne Arbeitsweisen noch nicht angekommen sind?
Es ist nicht verwunderlich, dass Politikerinnen und Politiker in dieser Situation gar keine Scheu mehr haben, öffentlich über Sparmaßnahmen in der Kultur zu reden. Jemand wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat seinen Kulturzeigefinger bereits Anfang des Jahres in den öffentlichen Wind gehalten, als er erstmals die Forderung formulierte, 3Sat und arte zusammenzulegen. Schnell stellte er fest, dass ein breiter öffentlicher Gegenwind ausblieb. Und nur zehn Monate später wurde sein Vorschlag von allen Ministerpräsidenten verabschiedet. Ebenfalls ohne nennenswerte Proteste außerhalb der Kulturszene selbst.
Kultur-Kürzungen sind politischer Populismus
In Berlin haben viele Kulturschaffende Kultursenator Joe Chialo vorgeworfen, nicht leidenschaftlich und laut genug innerhalb der politischen Gremien und in der Öffentlichkeit für sie zu kämpfen. Aber könnte diese Haltung auch daran liegen, dass CDU-Mann Chialo längst begriffen hat, was viele Kulturschaffende einfach nicht wahrhaben wollen? Dass ein guter Kulturpolitiker in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kein Lobbyist von Museen, Theatern und Orchestern sein muss, sondern ein stiller und eiskalter Sparmeister? Hat Chialo sich gerade deshalb bei Friedrich Merz als Bundeskulturminister in dessen zukünftigem Kabinett empfohlen, weil er vollkommen unsentimental zur Sache gegangen ist und im Kulturetat nicht nur die vorgegebenen zehn Prozent, sondern fast zwölf Prozent einsparen konnte?
Ach ja, wenn man heute ahnen will, wo die nächsten Kultureinsparungen drohen könnten: Vor über einem Jahr hat der damalige ARD-Vorsitzende Tom Buhrow öffentlich darüber nachgedacht, mindestens die Hälfte der Rundfunkorchester zu streichen – auch da blieb der Protest recht still.
Mit anderen Worten: Wenn die breite Öffentlichkeit schweigt und die Kulturbranche mit ihrem Protest allein bleibt, hat Annemie Vanackere, die Intendantin des HAU, Recht, wenn sie sagt: »Alles, was Wert hat, ist wehrlos.« Und wenn das Wehrlose dann unter Beschuss gerät, sind die Folgen fatal.
Ob die Maßnahmen in Berlin letztlich wirklich 130 Millionen Euro einsparen werden, ist mehr als fraglich. Viele der aktuellen Holzhammerkürzungen werden alte Investitionen zunichte machen und neue Investitionen erheblich verteuern. So soll der Museumssonntag, an dem jeder Mensch kostenlos in Berlins Museen gehen kann, gestrichen werden. Ein Prestigeprojekt, das die Akzeptanz von Kultur fördern sollte und für das bereits in der Vergangenheit viele Hebel in Bewegung gesetzt und viele Gelder freigemacht wurden. Kürzungen bei Vorzeigebühnen wie der Schaubühne drohen das Haus nachhaltig in Schieflage zu bringen und könnten das Theater tatsächlich in die Insolvenz zwingen. Ganz zu schweigen von der Freien Szene, wo Künstlerinnen und Künstler schon jetzt selbstausbeuterisch Kunst um der Kunst Willen machen – hier führt jeder gesparte Cent direkt in die Arbeitslosigkeit.
Nirgends wird der nachhaltige Schaden der kurzfristigen Sparpläne so deutlich wie an der Komischen Oper in Berlin. Neben neun Prozent Einsparungen im Haushalt wurden auch zehn Millionen Euro für die Sanierung des Hauses an der Behrenstraße gestrichen. Intendantin Susanne Moser rechnet seriös vor, dass ein vierjähriger Baustopp am Ende für rund 250 Millionen Euro Mehrkosten führen könnte und damit wohl zum endgültigen Aus der Komischen Oper.
Es fehlen langfristige Debatten
Was in der aktuellen Kulturdebatte fehlt, sind langfristige, strukturelle Diskussionen. Denn es ist ja durchaus legitim zu fragen, ob im Berlin von heute überhaupt noch drei Opern nötig sind, ob es nicht zu viele Institutionen und zu wenig Freie Szene gibt, ob 3Sat wirklich noch der Kultursender ist, den wir uns vorstellen, oder ob er nicht längst zu einer unkritischen Dauerwerbesendung der Kulturindustrie verkommen ist. Es ist legitim und nötig, zu fragen, ob es ausreichend Kulturangebote für ein immer diverseres Publikum gibt und ob neue Medien genügend im Kulturbegriff berücksichtigt werden. Kurz gesagt: Wir müssen fragen, ob wir die Kulturszene mittelfristig nicht umdenken und umbauen müssen, damit sie ihre gesellschaftliche Relevanz behält (oder zurückerobert).
Berlin selbst hat schon einmal vorgemacht, wie derartige Strukturdebatten aussehen können: Als die Deutsche Oper in Gefahr war, wurden die drei großen Opernhäuser in der Opernstiftung zusammengeführt. Ballett und Werkstätten wurden fusioniert – gegen den Protest der Häuser. Heute sind sich alle Intendantinnen und Intendanten einig, dass die Opernstiftung ein Erfolgsmodell ist.
Es ist unwahrscheinlich, dass Kultur in Zeiten der wirtschaftlichen Krise und im Angesicht anstehender Massenentlassungen in der Autoindustrie ihre geplanten Milliardenvorhaben umsetzen kann: Theaterumbauten in Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln oder Dresden werden oft auf je über eine Milliarde Euro beziffert. Unvorstellbar, dass derartige Projekte derzeit politische Mehrheiten finden werden.
Kulturschaffende müssen umdenken
Und so ist es wohl eine der ersten und wichtigsten Aufgaben der Kulturschaffenden selber, umzudenken. Die bisherigen Formen des Protestes haben die harten Kürzungen nicht verhindert. Neue Strategien müssen her. Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, Kultur – und besonders staatlich geförderte Kultur – neu zu denken, alte Formate auf den Prüfstand zu stellen und zu entscheiden: Funktionieren sie noch, oder nicht? Einige Institutionen werden diesen Umbau nicht überleben, andere werden vielleicht vollkommen neu entstehen. Es wird darum gehen, Kulturinstitutionen von ihrer Gestrigkeit zu befreien, sowohl, was ihre Führungsstrukturen, als auch ihren Auftrag betrifft.
Die derzeitigen Sparmaßnahmen sind in erster Linie eines: ein Zeichen fehlender gesellschaftliche Akzeptanz. Dem müssen sich Kulturpolitik und Kulturschaffende stellen. Das laute Lamento und die Selbstbehauptung der eigenen Bedeutung reichen als Schutz der Institutionen nicht länger aus. Die Kulturbranche muss sich wieder auf das besinnen, was in Wahrheit ihre größte Stärke ist: ihre eigene Kreativität und die Verzauberung ihres Publikums.