Kultur-Boykott oder nicht? Für beide Entscheidungen gibt es gute Argumente. Gefährlich ist nur das grundsätzliche Schweigen. Ein Blick auf den Umgang mit Trumps USA von Deutschland bis Washington.
English summary: Under Donald Trump, much of the U.S. cultural scene has fallen silent, contrasting its usual criticism of conservative politics. At the Oscars, new host Conan O’Brien was notably milder than Jimmy Kimmel, and stars avoided sharp political statements. Meanwhile, Trump’s cultural interventions, like banning drag shows at the Kennedy Center and appointing Richard Grenell, sparked backlash. Some artists, including Renée Fleming and András Schiff, canceled U.S. appearances, while others, like Jean-Guihen Queyras, chose to donate proceeds. Opinions are divided—some favor boycotts, others, like Franz Welser-Möst, advocate engagement. Despite these debates, most of Hollywood remains cautiously silent, raising concerns about opportunism over active resistance.
In den USA ist es auffällig still. Ausgerechnet in der Kultur, wo konservative Politik eigentlich gern kritisiert wird, herrscht derzeit lautes Schweigen. Unter Donald Trump scheint ein großer Teil der amerikanischen Kulturszene abzutauchen. Besonders auffällig war das bei der letzten Oscar-Verleihung.
Während Ex-Host Jimmy Kimmel in den letzten Jahren fast jede seiner Moderationen zum Frontalangriff auf »The Lyin‘ King« nutzte (und das neben Late-Night-Hosts wie Stephen Colbert, Jon Stewart oder Seth Meyers auch weiterhin jeden Abend tut), gab sich sein Oscar-Nachfolger, Conan O‘Brian dieses Jahr wesentlich handzahmer. Und auch von den ausgezeichneten Kino-Stars blieb scharfe Kritik weitgehend aus.
Trumps Handlanger
Derweil greift Trump weiter massiv in die amerikanische Kulturpolitik ein. Am besten zeigt sich das am Kennedy Center. »Keine Drag-Shows oder andere anti-amerikanische Propaganda«, schrieb Trump auf Social Media und versprach ein »goldenes Zeitalter der Kunst und Kultur«. Das soll nun ausgerechnet der offen schwul lebende Richard Grenell für ihn umsetzen.
Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland säbelt als Chef am Kennedy Center kurzerhand queere Ensembles wie den Gay Men’s Chorus of Washington und das International Pride Orchestra ab. Stattdessen kündigte er eine große Feier zur Geburt Christi zu Weihnachten an und freut sich auf das Konzert des J6 Prison Choir, das den Teilnehmern des Kapitolsturms vom 6. Januar 2021 gewidmet werden soll.

Protest hört man in erster Linie von Künstlerinnen und Künstlern, die direkt betroffen sind. Opern-Diva Renée Fleming legte ihre beratende Arbeit für das Kennedy Center zurück, die Crew vom Musical Bridgerton erklärte, nicht im Kennedy Center auftreten zu wollen, die Sängerin Rhiannon Giddens, die Schauspielerin Issa Rae, die Autorin Louise Penny und die Rockband Low Cut Connie haben ihre geplanten Auftritte ebenfalls abgesagt. Aber im Großen und Ganzen ist der Kultur-Protest gegen Donald Trump vor allen Dingen eines: Lärmend still.
Horrorfilm Realpolitik
Protestiert wird zur Zeit noch eher im Ausland. Im Klassik-Bereich hat der deutsche Geiger Christian Tetzlaff mit einem Interview in der New York Times (und einem Podcast bei BackstageClassical) für Aufsehen gesorgt und eine breite Debatte losgetreten. »Es fühlt sich an, als würde ich als Kind einen Horrorfilm sehen«, sagte Tetzlaff und zog auch Parallelen zur Entstehung des Faschismus in Deutschland. Der 58-Jährige, der pro Jahr zirka 20 Konzerte in den USA gibt (und entsprechend Steuern zahlt), erklärte, er könne nicht weitermachen mit diesem Gefühl der Ungerechtigkeit. Tetzlaff kritisierte besonders die Rolle der US-Regierung im Ukraine-Krieg und die Entwicklung des Landes zu einem zunehmend diktatorischen Staat, der die Rechte der Menschen verletze.

Wenig später erklärte auch der ungarische Pianist András Schiff seinen US-Boykott. Der 71-jährige Musiker, der in Budapest als Sohn einer jüdischen Familie geboren wurde, zeigte sich besorgt über Trumps Drohungen gegenüber der Ukraine, seine Expansionspläne für Kanada, Grönland und Gaza sowie seine Unterstützung für rechtsextreme Politiker in Deutschland. Besonders alarmiert sei er von Trumps Rufen nach Massenabschiebungen, die ihn an die Verfolgung der Juden im Zweiten Weltkrieg erinnerten. Schiff sagte unter anderem seinen Auftritt mit dem New York Philharmonic Orchestra ab.
Ähnlich wie Tetzlaff und Schiff sieht es auch die in Bochum geborene Pianistin Schaghajegh Nosrati, die ihre US-Auftritte ebenfalls abgesagt hat: »Es schmerzt mich sehr, die Entwicklungen in dem Land unter der Trump-Regierung zu beobachten. Eine der ältesten Demokratien der Welt weicht einem zunehmend autokratischen Regime, das sich das Recht anmaßt, in kulturelle Institutionen und die Wissenschaft einzugreifen.« Anders geht der Cellist Jean-Guihen Queyras vor. Er erklärte auf seinen Social-Media-Kanälen, dass er die Einnahmen aus seinen fünf Auftritten in den USA an die Stiftung United24 von Wolodymyr Selenskyj spenden wird.
Die Gegenposition

Eine Gegenposition nimmt auch Franz Welser-Möst in einem Gastbeitrag bei BackstageClassical ein. Der Dirigent, der seit 23 Jahren das Clevenland Orchestra leitet, schreibt, dass er derzeit ebenfalls eher nicht im Kennedy Center auftreten würde, lehnt einen kategorischen Kulturboykott aber ab. Kunst und Kultur würden in den USA weitgehend privat finanziert, sagt Welser-Möst, »gerade deshalb sind viele der Institutionen dem eigenständigen Denken und dem Dialog mit den Menschen verpflichtet – und nicht irgendeiner Regierung.« Musik und Kultur seien in den USA »demokratische Orte einer breiten, aufgeklärten Gesellschaft«, argumentiert er, und generelle Boykotte würden »jene Amerikanerinnen und Amerikaner treffen, die derzeit für die Demokratie auf die Straßen gehen. Und damit wäre eine Politik unterstützt, die genau das in Kauf nimmt: Die Bedeutungslosigkeit der Kultur.«
Ähnlich wie Welser-Möst sieht es der Cellist Jan Vogler, der gegenüber dem NDR sagt: »Ich werde versuchen, so viel wie möglich in Amerika Kultur zu machen, es gibt schon viele Leute, die kritisch sind, und das ist immer noch ein Zeichen von Demokratie. Ich bleibe optimistisch, obwohl ich viel Schaden sehe, den er anrichtet.«
Deutsche Orchester
Deutsche Orchester scheinen die USA (noch) nicht vom Tourneeplan zu streichen. Gegenüber dem Münchner Merkur fragt etwa der Intendant der Münchner Philharmoniker, Florian Wiegand: »Können wir unsere Solidarität und Verbundenheit mit Künstlerinnen und Künstlern oder Veranstaltern, die jetzt vielleicht unter Druck kommen, besser ausdrücken, indem wir hinfahren und den Austausch pflegen oder hierbleiben?« In Bezug auf die USA fällt seine Antwort klar aus: Wenn private US-Veranstalter die Hand nach Europa ausstrecken, sollte man diese Einladungen auch annehmen und für die musikbegeisterten Menschen spielen.

An deutschen Kulturinstitutionen wie dem Beethoven-Haus Bonn, das intensiv mit den USA zusammenarbeitet, sieht man pauschale Boykotte skeptisch. »Durch die USA geht ein tiefer Riss«, sagt Direktor Malte Boecker gegenüber BackstageClassical. Der Musikmanager wurde in New York geboren und hat aktuell verschiedene Projekte mit US-Bezug verhandelt. »Außerdem ist die Kulturszene in den USA derzeit noch überwiegend nicht staatlich organisiert«, erklärt er. »Persönlich halte ich es deshalb für ganz wichtig, mit unseren amerikanischen Partnern im Gespräch zu bleiben. Gerade jetzt ist es doch spannend und relevant, sich mit ihnen über wechselseitige Perspektiven, Kooperationen und Projekte auszutauschen und sich an deren Publika zu richten.«
Weniger kommentierfreudig sind derweil amerikanische Künstlerinnen und Künstler. Sie kritisieren hinter vorgehaltener Hand Trumps Handeln zwar oft scharf, wollen auf Anfrage aber erst einmal abwarten, »wie sich alles entwickelt«. Zu unberechenbar und willkürlich scheint Trumps Kulturpolitik, zu gefährlich für offene Kritik. Selbst das New York Philharmonic Orchestra hat offensichtlich noch keine klare Haltung, wie es mit den Boykotten, etwa durch András Schiff, umgehen soll: Eine entsprechende Anfrage von BackstageClassical blieb – auch auf Nachfrage – unbeantwortet.
Schweigen ist Opportunismus
Boykotte oder das bewusste Auftreten in den USA? Beide Positionen lassen sich stringent argumentieren. Und auf beiden Seiten wird der Konflikt deutlich, vor dem Kulturschaffende durch die Kulturpolitik (und die grundlegenden Politik) des amerikanischen Präsidenten derzeit stehen. Trotzdem findet die Debatte noch in einer eher kleinen kulturellen Nische statt, und das Schweigen ist lauter als das Denken.

Einige Beobachter erklären die Zurückhaltung mit einer »Schockstarre«, die besonders in den USA herrsche. Ähnlich wurde auch argumentiert, als Österreich kurz vor einer möglichen Kanzlerschaft des Rechtsnationalisten Herbert Kickl stand und der breite Protest am radikalen FPÖ-Kurs innerhalb der Kulturszene plötzlich verstummte. Auch hier wich die laute Opposition einer inneren Emigration.
Für eine »Schockstarre« dauert Trumps Handeln nun allerdings schon zu lange, und seine Maßnahmen – gerade im Bereich der Kultur – sind zu offensichtlich, um sich im Abwarten zu verstecken. Egal, wie man mit den USA umgeht: Boykott oder bewusstes Auftreten – es ist die Debatte, die derzeit geführt werden muss. Schweigen ist am Ende nur Ausdruck von Opportunismus.