Österreichs Kulturschaffende sind merkwürdig still im Angesicht einer Rechtsregierung. Noch wissen sie nicht, wie sie auf einen eventuellen Kanzler von der FPÖ reagieren sollen. Ein Stimmungsbericht.
English summary: Austria’s cultural scene remains eerily silent in the face of a potential far-right government. Traditionally loud and subversive in its opposition, the artistic community now hesitates. While independent voices like Reinhard Fendrich and Christoph Ransmayr condemn the FPÖ– institutions reliant on state funding remain cautious. With Herbert Kickl poised to become chancellor, artists must decide: resist or adapt to the new political reality?
Es ist gespenstisch ruhig in Österreichs Kulturlandschaft. Die Wiener Staatsoper plant den ersten Opernball ohne Richard »Mörtel« Lugner, die Volksoper steht noch immer im provokanten Rosa am Wiener »Gürtel«, und vor dem Burgtheater flattert müde ein »Die Burg«-Fähnchen und trotzt dem Sturm der Tagespolitik. Seit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zurückgetreten und Bundespräsident Alexander van der Bellen (Grüne) den rechtsnationalen Politiker Herbert Kickl (FPÖ) mit der Regierungsbildung beauftragt hat, befindet sich Österreichs Kultur in einer Schockstarre.
Lauter und schriller, zuweilen alberner und subversiver Protest gegen Rechts gehört traditionell zu Österreichs Kultur-Folklore. Unvergesslich ist Christoph Schlingensiefs »Ausländer-Raus«-Container vor dem Opernhaus, mit dem er im Jahre 2000 gegen die Asylpolitik von FPÖ-Populist Jörg Haider protestierte. Und bereits 1995 verhängte Elfride Jelinek ein Aufführungsverbot ihrer Stücke in Österreich, als die FPÖ plakatierte: »Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk… oder Kunst und Kultur?«.
Noch vor kurzem war es ziemlich laut in Wiens Kulturszene, wenn es um Proteste gegen Rechts ging: Schauspieler Cornelius Obonya rief zu Protesten bei den Salzburger Festspielen gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung in Salzburg auf (dafür wurde ihm von Festspielleiter Markus Hinterhäuser »gedankliche Schlichtheit« attestiert). 150 Kulturschaffende (unter ihnen Eva Menasse, Martin Kušej oder David Schalko) haben das Ende mit den Verhandlungen mit der FPÖ gefordert. Und Volkstheater-Intendant Kay Voges provozierte mit einem Nazi-Punk-Video unter dem Titel »Euerrr Wille geschehe – Heim ins Rrreich!«. Schwarze Männer mit SS-Runen singen hier »Österreich wird wieder deutsch!« und »Kickl ist ein Ehrenmann, von dem Höcke noch was lernen kann.« Außerdem versprach Voges, dass er – wenn Kickl Kanzler werden würde – sein Theater wieder in »Deutsches Volkstheater« umbenennen würde.
Der Punk tönt leiser
Doch inzwischen tönt der Punk etwas leiser. Der neue Rechtswalzer spielt im Piano und scheint besonders Österreichs Kulturinstitutionen ins Stolpern zu bringen. Laut war gestern. Heute ist stilles Abwarten angesagt.
Spricht man mit Theatern, die von Bundesgeldern abhängig sind, hört man weitgehend Ratlosigkeit. Unabhängige Kulturgrößen wie Reinhard Fendrich erklären in der Zeit zwar »Österreich ist wieder das Naziland«, und der Schriftsteller Christoph Ransmayr proklamiert in der FAZ, dass Kickl höchstens als Dichter »bösartiger und bodenlos dummer« Gedichte gegen Ausländer und Muslime »großformatige Erfolge« gefeiert habe. Aber Institutionen, die in Zukunft wohl von Kickls Bundes-Budget abhängen, scheinen mit öffentlicher Kritik zu hadern.
Man plane Projekte, durch die Demokratie gestärkt werden solle, heißt es aus dem Burgtheater des neuen Intendanten Stefan Bachmann. Man wolle für das Miteinander werben und sich weniger gegen etwas positionieren. Die Volksoper in Wien – ebenfalls vom Bund mitfinanziert – lässt wissen, dass man erst einmal abwarten wolle, wie die Koalitionsverhandlungen ausgehen. Intendantin Lotte de Beer hatte die Oper durch schrille und queere Kunterbunt-Aufführungen neu positioniert. Man wolle sich auch weiterhin offen gegenüber Diversität und kulturellen Unterschieden zeigen und gesellschaftliche Brücken bauen, heißt es nun vorsichtig. Die Wiener Staatsoper hat auf eine Anfrage gar nicht erst reagiert.

Selbst in vertraulichen Caféhaus-Gesprächen ist nur noch wenig Kampfesgeist zu hören: Einige FPÖ-Politiker hätten doch gute Kulturarbeit geleistet, heiß es plötzlich. Ein anderer Musiker fragt selbstkritisch, ob man mit den FPÖ-Protesten der Vergangenheit selber Öl ins Feuer gegossen habe.
Politisch flexibel zeigt sich der neue Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums in Wien. Der Amerikaner und ehemalige Menschenrechtsanwalt Jonathan Fine sagt im Standard: »Ich sehe es als meine Aufgabe, mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten. (…) Persönliche politische Ansichten spielen da keine Rolle.« Außerdem erklärte Fine: »Wir müssen grundsätzlich jede demokratisch gewählte Regierung, die ihren staatsrepräsentativen Aufgaben nachkommen will, unterstützen.«
Aber kann man Kultur außerhalb des gesellschaftspolitischen Programms der FPÖ betrachten? Können die Leiter von Kulturinstitutionen antreten, um ihre Einrichtungen vor politischer Einflussnahme durch die neuen Träger zu verteidigen? Oder sind sie automatisch Teil des Systems, das sie finanziert?
Die Tage der Entscheidung
Vielleicht wird in Österreich gerade in einem realen Experiment eine Frage beantwortet, die wir bislang weitgehend aus Geschichtsbüchern kennen: Wie positionieren sich Menschen vor einem grundlegenden politischen Systemwechsel?
Entscheidet sich in diesen Tagen in Österreich, wer am Ende eher ein Wilhelm Furtwängler ist und wer ein Arturo Toscanini? Wer gegen die neue politische Strömung protestiert und wer sich ihr unterordnet? Der italienische Dirigent Arturo Toscanini bäumte sich in den 1930er-Jahren gegen Mussolini und Hitler auf, weigerte sich bei den Bayreuther Festspielen aufzutreten und äußerte sich immer wieder öffentlich gegen diktatorische Tendenzen in Europa. Der deutsche Dirigent Wilhelm Furtwängler wurde dagegen zum Teil des neuen politischen Systems in Deutschland, zum Vizepräsidenten der Reichmusikkammer und zum Direktor der Berliner Staatsoper. Zwar versuchte er in Einzelfällen Menschen zu helfen, war aber auch aktiver Teil in Hitlers Propaganda-Maschine.
Die aktuelle Stille in der österreichischen Kulturszene ist vielleicht auch der Vakuum-Sound des Nachdenkens über eine Gretchenfrage für alle Kulturschaffenden: Spielst Du weiter mit, obwohl Du die zum Teil menschenverachtenden Ansichten von FPÖ-Politikerinnen und -Politikern kennst? Oder verweigerst Du dem System Deine Kooperation? Tatsächlich scheinen derzeit viele Kulturschaffende nach Ausreden zu suchen, warum sie ihre lukrativen Posten im Falle einer FPÖ-Kanzlerschaft behalten werden.
Eine Argumentation ist, dass die FPÖ dort, wo sie bereits mitregiert, kaum in die Kulturpolitik eingegriffen habe. In den Bundesländern Vorarlberg, Salzburg, Ober- und Niederösterreich ist die FPÖ Juniorpartner und überlässt die Kulturpolitik tatsächlich mehr oder weniger Vertretern der ÖVP. Diese Passivität macht die Argumentation für Vertreter der Niederösterreichischen Kulturbetriebe, der Bregenzer oder der Salzburger Festspiele (Kickl nannte sie eine »Inzuchtpartie«) etwas bequemer. Und tatsächlich scheint Herbert Kickl weniger mit Kultur am Hut zu haben als der durchaus kulturaffinie FPÖ-Populist Jörg Haider, den er einst beraten hat.
Dabei steht außer Frage, dass Kultur mittelfristig eine wichtige Säule rechtspopulistischer Parteien ist. Zu beobachten in das bereits in der Steiermark, wo die FPÖ als Seniorpartner der Regierungskoalition den Landeshauptmann Mario Kunasek stellt. Hier soll eine ORF-Landesabgabe von 4,70 Euro Pro Haushalt abgeschafft werden, die sich auf 30 Millionen Euro summiert, und von der bislang 75 Prozent in den Kulturbetrieb fließen. Kunasek findet, »Kulturpolitik hat die Interessen des Steuerzahlers zu wahren und darf kein Minderheitenprogramm selbsternannter Eliten sein.«
Vorbild Steiermark?
In Sätzen wie diesem wird der kulturpolitische Kurs der FPÖ deutlich. Die Partei kämpft gegen die aktuelle Form der staatlichen Kulturförderung, deren Sinn die Unterstützung einer Minderheitenkultur ist. Ohne Zuschüsse kann weder die freie Szene noch die Hochkultur mit ihren kostspieligen Opernhäusern und Orchestern überleben. Stattdessen propagiert die FPÖ eine neue »Volkskultur«, die eine breite Masse ansprechen soll. Nicht selten steht diese einer »völkischen Kultur« nahe. So feiert der ehemalige FPÖ-Bundespräsidenten-Kandidat Norbert Hofer wohl nicht zufällig die realistische Burschenschafts-Kunst eines Malers wie Odin Wiesinger. Und im Nationalrat kreisen Kultur-Anfragen der FPÖ gern um die LGBTQ-Agenda von Kulturinstitutionen.
In der Steiermarkt wird das Festival für zeitgenössische Kunst, der Steirische Herbst, im Regierungsprogramm nicht einmal erwähnt. Es wurde von der FPÖ stets scharf angegriffen, und Intendantin Ekaterina Degot ist »besorgt«. Ebenso wie Künstlerinnen und Künstler im Bundesland, die aktuell noch auf den Bescheid ihrer Förderansuchen warten.
Es wäre wohl naiv zu glauben, dass die Klauen eines Kanzlers Kickl kein Interesse an der Kultur hätten. Im Bundeswahlkampf sprach seine FPÖ demonstrativ von einer »Kulturschickeria«, der man eine neue »Volkskultur« entgegensetzen wolle.
Und in Österreichs Nachbarländern ist längst zu studieren, was eine rechtsnationale Regierung für Kulturschaffende bedeutet: Viktor Orbán hat die Medien- und Kulturszene seines Landes auf den Kopf gestellt, und das slowakische Kulturministerium von Martina Šimkovičová verteilt derzeit Abberufungsdekrete an Theaterdirektoren in den frühen Morgenstunden an der Haustür.
All das scheint für einen Großteil der österreichischen Kulturschaffenden derzeit noch unvorstellbar. Kein führender Leiter einer Kulturinstitution hat mit Rücktritt gedroht, sollte Herbert Kickl zum ersten rechtsnationalen Kanzler ernannt werden. Die Staatsoper plant den nächsten Opernball, die Volksoper trägt weiter Rosa, und das Fähnchen vor dem Burgtheater flattert müde. Noch warten Österreichs Kulturinstitutionen ab, woher der nächste Sturm kommt.
Dieser Text erschien zunächst im Freitag.