Rehabilitation der Maestri? (II)

Dezember 14, 2024
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Das SWR Orchester unter François-Xavier Roth (Foto: SWR, Kremper)

Shoko Kuroe kritisiert das mediale Framing bei Machtmissbrauch. Trotzdem plädiert sie dagegen, Dirigenten wie François-Xavier Roth auszubuhen.

English summary: Shoko Kuroe critiques the media framing of power abuse cases but opposes booing conductors like François-Xavier Roth. She highlights the complexities of legal thresholds, social accountability, and the role of art as a space for public discourse. Kuroe calls for reflective approaches, avoiding divisive actions like public shaming.

Eine kleine Vorbemerkung: Es geht mir in diesem Text weniger um die Tatsache, dass Dirigenten rehabilitiert werden, auf die Konzertbühne zurückkehren oder wieder Chefpositionen einnehmen. Es geht mir auch nicht primär um konkrete Namen. Vielmehr möchte ich die Rhetorik und das Framing in der Klassikszene thematisieren, die genutzt werden, um diese Rückkehr zu rechtfertigen. Im ersten Teil ging es bereits um die erneuten Auftritte von John Eliot Gardiner.

Fall 2: François-Xavier Roth

Nach dem Bericht einer französischen Zeitung hatte es auch in Köln Vorwürfe gegen den Chefdirigenten des Gürzenich Orchesters gegeben, dass er Musikerinnen und Musikern ungewünschte Nachrichten geschickt haben soll. Aufgrund der Berichterstattung hatte die Kölner Staatsanwaltschaft von Amts wegen Ermittlungen aufgenommen. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe hatten das Orchester und der Chefdirigent den gemeinsamen Vertrag vorzeitig gekündigt – es wurde dabei auch über eine Abfindung berichtet. Derweil hielt der SWR an Roth als designierten Chefdirigenten fest. 

Der Grund für die Einstellung des Ermittlungsverfahrens ist ein »mangelnd hinreichender Tatverdacht«. Interessant ist, dass sich der SWR bei der Entscheidung, an Roth festzuhalten unter anderem darauf beruft, dass es beim SWR Symphonieorchester in Stuttgart und Freiburg keine offizielle Beschwerden gegeben hätte. Außerdem seien Vorkehrungen gegen weitere Belästigungen getroffen worden. Des Weiteren wurde darauf verwiesen, dass Roth sich entschuldigt und eine Therapie begonnen hätte. Auch andere Konzerthäuser und Künstler würden die weitere Zusammenarbeit mit ihm begrüßen, hieß es von Seiten des SWR. 

Unabhängig vom konkreten Fall halte ich unterschiedliche, grundsätzliche Aspekte für bedenkenswert:

  1. Für die Medien ist Verdachtsberichterstattung immer problematisch. In der Regel gehen Journalistinnen und Journalisten hier eher zurückhaltend vor, statt zu übertreiben. Nicht selten wird am Ende nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar. Denn tatsächlich lässt sich ja auch nur dann öffentlich auch nur über Fälle diskutieren, wenn sie bereits der Öffentlichkeit bekannt sind.

  2. »Ermittlung vom Amts wegen« bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft von sich aus, ohne Mitwirkung der Opfer, ermittelt – weil es sich um einen Offizialdelikt handelt und es ein öffentliches Interesse gibt. Wie »engagiert« die jeweilige Staatsanwaltschaft ermittelt, ist eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft selber und richtet sich auch nach der Schwere der vorgeworfenen Delikte oder der Komplexität des jeweiligen Falls.

    In diesem Fall ist es mir nicht bekannt, ob die Staatsanwaltschaft alle Mitglieder des Orchesters befragt hat, ebenfalls geht aus den mir vorliegenden Berichten nicht klar hervor, ob die Staatsanwaltschaft konkrete Namen der Betroffenen kannte, ob die Betroffenen als Zeugen vernommen wurden, ob der Staatsanwaltschaft konkrete Beweise (Chatprotokoll, SMS Nachrichten usw.) vorlagen, ob die Staatsanwaltschaft Handys beschlagnahmt hat.

  3. Wenn der Staatsanwaltschaft keine Aussagen der Betroffenen oder konkrete Beweismittel vorliegen, kann die Staatsanwaltschaft nichts anders tun, als das Verfahren einzustellen. Wenn Beweise vorlagen, obliegt es der Staatsanwaltschaft, sie strafrechtlich einzuordnen. Hier noch eine Anmerkung: Betroffene bekommen die Ermittlungsakte nur dann zu sehen, wenn sie als solche im Ermittlungsverfahren beteiligt sind (und dann teilweise auch nur über den Anwalt). Selbst, wenn sie der Staatsanwaltschaft namentlich bekannt sind und den Akteninhalt kennen, dürfen Medien nicht ohne Weiteres daraus zitieren.

  4. Stutzig macht, dass die Badische Zeitung schreibt, die SWR Verantwortlichen würden sich darauf berufen, dass es keine »offizielle« Beschwerde beim SWR Orchester gegeben hätte. Aus anderen MeToo-Fällen wissen wir, dass Fälle oft nur intern und inoffiziell bekannt sind, dass es Meldungen oder Anfragen nach Rat und Abhilfe gibt, dass eventuell vor Täterpersonen gewarnt wird. All das sind aber keine »offiziellen Beschwerden« im rechtlichen Sinne. Wenn es keine »offiziellen Beschwerden« gegeben hat, bedeutet dieses nicht automatisch, dass nichts vorgefallen wäre oder niemand etwas gewusst hätte.

  5. Wenn Fälle derart gelagert sind, können sie Gruppen wie ein Orchester schnell spalten, und es kann zu Lagerbildungen kommen. In diesen Falle wäre das etwa ein Lager pro Roth, eines gegen Roth, eines pro Betroffene, eines gegen Betroffene. Es können auch Gräben zwischen nicht betroffenen und betroffenen Musikerinnen und Musikern entstehen, zwischen Betroffenen, die nicht aussagen wollen, und zwischen Betroffenen, die kämpfen wollen. Und natürlich haben derartige Fälle auch das Potenzial, das Publikum zu spalten.

  6. Problematisch ist die weit verbreitete Einstellung, dass auch nichts »passiert« sei, wenn ein Verfahren eingestellt wurde. Doch das Strafrecht ist in Deutschland »Ultima Ratio«. Das bedeutet, dass der Staat sich nur als letzte Möglichkeit in Angelegenheiten der Bürgerinnen und Bürger einmischen darf. Unter der Schwelle des Strafrechts gibt es noch jede Menge Stufen der Regelung des Zusammenlebens und auch Möglichkeiten zur Sanktionierung: Soziale Ächtung des unangemessenen Verhaltens in der Gesellschaft, zivilrechtliche Wiedergutmachung (Entschädigung, Schadensersatz), arbeitsrechtliche Konsequenzen usw..

    Unangemessene und schädliche Verhaltensweisen sind nicht per se strafbar. Das bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass alle nicht strafbaren Verhaltensweisen in Ordnung und zu tolerieren wären. Auch und insbesondere wo der Staat nicht bestraft (oder als Rechtsstaat gar nicht bestrafen darf), muss die Gesellschaft einen Umgang mit schädlichen Verhaltensweisen finden, damit alle in ihrer Würde und Integrität respektiert werden. Genau hier könnte und sollte die Kunst ansetzen, da sie ein öffentlicher Diskursraum ist – gerade darum gibt es das Prinzip der Kunstfreiheit!

  7. Im letzen BackstageClassical Newsletter wurden Abo-Kunden der SWR Konzerte zitiert, die – statt das Abo zu kündigen – vorhaben, F-X Roth so lange auszubuhen, bis er freiwillig geht. Dies könnte zwar kulturpolitisch ein  Weg sein (die Politik mischt sich nicht in die Kunstfreiheit in Form einer Maßnahme, Regulation oder Gesetzesänderung, sondern die Gesellschaft verhandelt das Problem in einem öffentlichen Kulturraum). Das Vorgehen birgt aber die Gefahr, dass es in Richtung Selbstjustiz oder Mobbing gehen könnte (Vergleiche: die AfD, die den Migranten solange das Leben schwer machen will, bis diese freiwillig wegziehen). Auch wenn man das eigene Ziel richtig findet, muss man über den Weg, mit dem es erreicht werden soll, gut reflektieren. (Ich meine: Wenn ich nicht will, dass ich auf der Bühne ausgebuht werde, nur weil ich Betroffene bin, darf ich auch nicht FXR auf der Bühne ausbuhen, nur weil er Täter ist.)

Und gerade, weil dieser Fall so vielschichtig ist und an so viele Grenze kratzt und zu unterschiedlichen Lagerbildungen führt, braucht es offene Diskursräume, um neue Optionen zu verhandeln.

Shoko Kuroe

Shoko Kuroe tritt als Solistin in Europa, in den USA und in Japan auf, auch mit Orchestern unter Dirigenten wie z. B. Volker Schmidt-Gertenbach, Horia Andreescu und Saulius Sondeckis. Sie ist eine begeisterte Kammermusikerin und arbeitete auch mit Schauspielern wie z.B. Evelyn Hamann, Christoph Bantzer und Hans-Jürgen Schatz zusammen. Ihre Interpretationen sind dokumentiert in internationalen TV- und Rundfunkaufnahmen (u.a. bei ARD, ZDF, NDR, dem Rumänischen Nationalrundfunk) sowie CD- Einspielungen. Seit 1986 ist sie regelmäßig Gast bei internationalen Festivals wie z.B. dem Schleswig-Holstein Musik Festival, wo sie auch als Dozentin an der Orchesterakademie tätig war.

Ein wichtiger Teil ihrer künstlerischen Arbeit liegt in der Musikvermittlung - so wirkte sie u.a. bei Familienkonzerten des Schleswig-Holstein Musikfestivals, am „Training for Education“ Programm des Aldeburgh Festivals sowie an den „Outreach Concerts“ in England und in den USA mit, und entwickelte das Programm „Elise im Wunderland“.

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