Rehabilitation der Maestri? (I)

Dezember 11, 2024
4 mins read
Der Dirigent John Eliot Gardiner kehrt mit einem neuen Ensemble zurück aufs Konzertpodium.

Wie reagieren Publikum und Presse auf die Rückkehr von Dirigenten wie John Eliot Gardiner oder François-Xavier Roth? Betrachtungen von Shoko Kuroe.

English summary: Shoko Kuroe critiques the media and framing around the return of conductors like John Eliot Gardiner. After allegations of slapping a singer, Gardiner left his former ensemble, only to form a new one, mirroring its programming. Despite public applause and media portraying his remorse as genuine, Kuroe questions the sincerity of his rehabilitation, highlighting potential power dynamics and the media’s role in crafting a narrative of forgiveness.

Zunächst eine Vorbemerkung. In diesen Überlegungen geht es mir weniger um die Tatsache, dass die Maestri rehabilitiert werden, dass sie auf die Konzertbühne zurückkehren und wieder Chefpositionen einnehmen. Es geht mir auch nicht primär um konkrete Namen. Vielmehr möchte ich die Rhetorik und das Framing in der Klassikszene thematisieren, die genutzt werden, um diese Rückkehr zu rechtfertigen.

Fall 1: John Eliot Gardiner

Vordergründig und akut lautete der Vorwurf, dass der Dirigent einen Sänger hinter der Bühne geohrfeigt haben soll. Daraufhin trennten sich das einst von diesem Dirigenten gegründete Orchester und der Chor Monteverdi von ihm. Dann gründete Gardiner neue Ensembles unter dem Namen Constellation. Inzwischen tourt er mit ihnen mit dem selben Programm im gleichen Zeitraum wie sein ehemaliges Orchester. 

In der Elbphilharmonie trat Gardiner mit dem Constellation Ensemble eine Woche vor dem Monteverdi Ensemble auf – mit dem selben Programm. Wer einen Ticket für das Monteverdi-Konzert hatte, konnte es gegen einen Ticket des Constellation-Konzerts umtauschen. Ein solches »Entgegenkommen« ist eine große Ausnahme im Konzertbetrieb.

Die Süddeutsche Zeitung führte im Vorfeld des Konzerts ein ausführliches Interview mit dem Dirigenten.

—– Zitat Gardiner: „Ich war schockiert über mich selbst.“ 

Dieser Satz ist für mich befremdlich – und eine Red Flag

Aus dem Bereich der häuslichen Gewalt weiß man, dass eine Person, die jemanden vor anderen Leuten in der Öffentlichkeit schlägt (wenn auch in diesem Fall hinter der Bühne), schon sehr weit in der Gewaltspirale steckt. Es ist oft eine Eskalation gegenüber der ersten Phase, wo die Gewalt 1:1 ohne Öffentlichkeit stattfindet. Ich frage mich: Wie sich unter dieser Annahme das Schockiertsein über sich selbst erklärt? 

—–  Der Vorfall hätte ihn dazu veranlasst, eine kognitive Verhaltenstherapie zu absolvieren, um die Gründe für seinen Kontrollverlust zu analysieren.

Und auch hier frage ich: Warum erst jetzt? Zumal ein Jahr Verhaltenstherapie nicht lange erscheint. Eine Täterberatungsstelle (Männer gegen Männergewalt) sagte mir einmal, dass Täter oft erst dann in Therapie gehen, wenn ihnen sonst eine Strafe oder ernsthafte Konsequenzen drohen. 

—– Mit dem neuen Ensemble wolle er junge Musiker und Dirigenten fördern.

Auch diese Ankündigung wirkt auf mich eher irritierend – auch wenn es sich nach einem durchaus ehrenhaften Vorhaben anhört. Junge Musiker, die noch eine Zukunft vor sich haben, die von Meistern lernen und Netzwerke aufbauen wollen, die bei renommierten Künstlern, Agenturen und Konzerthäusern auf sich aufmerksam machen oder Wettbewerbe gewinnen wollen, sind in der Regel gutgläubiger und leichter formbar. Gerade in einer solchen Situation ist es für gestandene Meister sehr einfach, Macht zu erlangen und erhalten. 

Argumentativ macht diese Konstellation Kritik freilich schwierig, denn eine Kritik in Richtung des Dirigenten würde letztlich auch die jungen Menschen in seinem neuen Ensemble treffen (die man nicht treffen will, weil sie eben noch jung sind. Hier will man vorsichtiger sein als bei erfahreneren Musikern, denen man durchaus auch die Frage stellen möchte, warum sie immer noch mitmachen.)

Der NDR titelt in seiner Berichterstattung„John Eliot Gardiner rührt in Elbphilharmonie zu Tränen“

—– Zitat des Beitrags: »Seine Reue wirkt aufrichtig. Wohl auch deshalb haben ihm viele nach seiner selbst auferlegten Pause wieder das Vertrauen geschenkt. Rund achtzig Prozent der Mitglieder von The Constellation Choir and Orchestra sind Musikerinnen und Musiker, die aus seinen vorigen Ensembles mitgekommen sind.«

Ich frage mich: Wie kann ein Redakteur beurteilen, ob die Reue eines Dirigenten aufrichtig wirkt? Und warum ist es ihm so wichtig, zu schreiben, dass »die Entschuldigung glaubwürdig« und »der Neustart voller Wertschätzung« ist?

Meiner Meinung nach würde eine Person, die wirklich Reue zeigt, nicht eine Woche vor seinem alten Ensemble dasselbe Programm am selben Ort spielen. Das sieht für mich eher nach einem Machtkampf aus. Meiner Meinung nach würde eine Person, die wirklich Reue zeigt, seine Musiker auch nicht in Loyalitätskonflikte bringen und Betroffene und Nicht-Betroffene im Ensemble nicht gegeneinander ausspielen.

Wenn ein Musiker zu einem großen Künstler steht, geschieht das nicht immer unbedingt aus großem Vertrauen heraus, oder weil man der Meinung ist, dass sich jemand zum Positiven gewandelt hat. Es kann auch einfach die Leugnung der Vorkommnisse eine Rolle spielen (»mir ist doch nichts passiert«), es kann Schönreden sein (»aber Musizieren unter ihm ist eben künstlerisch aufregend«) und es kann auch einfach nur Loyalität sein.

Ich würde bei einem Rundfunkgespräch zu einem Konzert, bei dem ich künstlerisch beteiligt bin, Interna wie #Metoo, Gewalt oder Machtmissbrauch auch nicht thematisieren – vor allem nicht zu Lasten der Kollegen, mit denen ich gemeinsam auftrete.

Die dpa berichtete„Das Publikum in Hamburg hat ihm jedenfalls ganz offenbar verziehen. Es bedachte den Meister und seine neuen Ensembles mit minutenlangem Beifall. Am Ende des Konzerts bedankte sich Gardiner auf Deutsch beim Publikum und beim Intendanten, der nach schwierigen Monaten geholfen habe, das neue Projekt aus der Taufe zu heben.“

Warum bedient man hier das Narrativ des Verzeihens? Ein Applaus für ein Konzert muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass man das Verhaltens des Künstlers (welches man als Publikum nicht mitbekommt) verziehen hat. Es könnte sich hierbei auch einfach um Gleichgültigkeit gegenüber der Tat handeln, oder sogar um eine Täter-Opfer-Umkehr, in der man Mitleid für einen alten Mann empfindet, der sich nun mit seinem Verhalten konfrontiert wird. Und, ja, es könnte auch genau so gut sein, dass das Publikum Gewalt in Ordnung findet, oder denkt, dass es zum Künstlerleben dazu gehört, dass Künstler sich von Emotionen und Trieben leiten lassen, vor allem, wenn sie unter dem Druck des künstlerischen Perfektionsdrangs stehen. Oder das Publikum hat von den Problemen schlicht nichts mitbekommen. 

Mein Eindruck ist, dass hier auch mit Hilfe der Medien viel Mühe betrieben wird, um ein bestimmtes Bild der Rehabilitation zu erzeugen.

Lesen Sie auch Teil II: Das Beispiel Francois-Xavier Roth

Shoko Kuroe

Shoko Kuroe tritt als Solistin in Europa, in den USA und in Japan auf, auch mit Orchestern unter Dirigenten wie z. B. Volker Schmidt-Gertenbach, Horia Andreescu und Saulius Sondeckis. Sie ist eine begeisterte Kammermusikerin und arbeitete auch mit Schauspielern wie z.B. Evelyn Hamann, Christoph Bantzer und Hans-Jürgen Schatz zusammen. Ihre Interpretationen sind dokumentiert in internationalen TV- und Rundfunkaufnahmen (u.a. bei ARD, ZDF, NDR, dem Rumänischen Nationalrundfunk) sowie CD- Einspielungen. Seit 1986 ist sie regelmäßig Gast bei internationalen Festivals wie z.B. dem Schleswig-Holstein Musik Festival, wo sie auch als Dozentin an der Orchesterakademie tätig war.

Ein wichtiger Teil ihrer künstlerischen Arbeit liegt in der Musikvermittlung - so wirkte sie u.a. bei Familienkonzerten des Schleswig-Holstein Musikfestivals, am „Training for Education“ Programm des Aldeburgh Festivals sowie an den „Outreach Concerts“ in England und in den USA mit, und entwickelte das Programm „Elise im Wunderland“.

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