In Luzern wurde ein Konzert von Anna Netrebko abgesagt. Man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein – erst die Debatte macht uns zu Demokraten. Ein Zwischenruf von Axel Brüggemann
Gestern hat das KKL in Luzern ein Konzert von Anna Netrebko und ihrem Mann Yusif Eyvazov am 1. Juni abgesagt. Der Grund: Man habe Angst vor Unruhen im Vorfeld der Ukraine-Friedenskonferenz, die am 15. und 16. Juni auf dem Luzerner Bürgenstock geplant ist. Der Termin war bereits die Verschiebung eines vorherigen Konzertes, das nicht stattgefunden hatte – nun wurde die Veranstaltung endgültig abgesagt.
Auch in Wiesbaden bleibt es unruhig: Hier gab es letztes Jahr Proteste, als Anna Netrebko bei den Maifestspielen auftrat, die lokale Politik hatte sich von der Veranstaltung distanziert, aber Intendant Uwe Eric Laufenberg hielt dennoch an Netrebko fest. Jetzt ist der Intendant weg, und Netrebko steht erneut auf dem Programm. Und: darüber wird auch dieses Jahr wieder gestritten. Proteste sind angekündigt.
Was wie ein großes Hin-und-Her wirkt, ist in Wahrheit Teil eines zutiefst demokratischen Prozesses. Es wäre nicht richtig, Konzerte umstrittener Künstlerinnen und Künstler grundsätzlich zu verbieten, ebenso absurd ist es, »cancel culture!« zu schreien, sobald ein Konzert in Frage gestellt wird. Es ist Teil unserer Demokratie, dass wir immer wieder neu aushandeln, wo unsere Grenzen liegen. Diese Debatte unterscheidet Länder wie Deutschland, Österreich oder die Schweiz von Diktaturen.
Es gehört auch dazu, dass Grenzen durchaus Mal verschwimmen: Während der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, am Dirigenten Teodor Currentzis festhält, aber einen Auftritt von Anna Netrebko ausschließt, ist es am Konzerthaus in Wien genau anders herum. Hier erklärte Intendant Matthias Naske, dass er Currentzis derzeit nicht mehr einladen wolle, gibt Anna Netrebko aber durchaus noch eine Bühne.
Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist nichts anderes als ein funktionierender demokratischer Diskurs. Auftritte von Netrebko und Currentzis sind bei uns (zum Glück!) nicht verboten. Aber sie sorgen (zum Glück!) für Diskussionen. Am Ende bleibt es eine Frage des Publikums. Hat es in Zeiten des Krieges (und der Kriegsmüdigkeit) überhaupt Lust, Künstlerinnen und Künstler zu sehen, deren Verhältnis zu Russland umstritten ist? Auch das unterscheidet sich von Ort zu Ort: Während Konzerte sich an einigen Orten bestens verkaufen, sind sie anderenorts Ladenhüter.
Künstlerinnen und Künstler haben natürlich alles Recht der Welt, über ihre Verbindungen nach Russland zu schweigen. Aber sie können nicht davon ausgehen, dass eine demokratische Gesellschaft deshalb ebenfalls den Diskurs einstellt. In der Schweiz, in Österreich und Deutschland wird um den Zusammenhang von Politik und Kultur gerungen, und das ist auch gut so! Es wäre schön, wenn die Debatte uns im Streit als Demokraten verbindet, statt uns zu spalten.
Nachtrag: Anna Netrebkos Management erklärt derweil Enttäuschung über die Absage in Luzern und wirft dem KKL vor, vertragsbrüchig zu sein. Die Plattform OperaWire zitiert die gesamte Erklärung.