
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit Tobias Kratzer und allerhand Monstern, mit einer Stilkritik der Kritik, mit einer selbstbewussten Berliner Kultursenatorin und einem Wiener Walzer im Weltraum.
Wenn die Kritikerin am Dirigenten schnuppert

Diese Woche hat unsere klitzekleine Klassik-Welt sehr aufgeblasen über die saudumme Entgleisung des Kritikers Dieter David Scholz über den Körper einer Sängerin an der Oper Leipzig debattiert. Aber ist Christine Lemke-Matweys ZEIT-Porträt über den Dirigenten Klaus Mäkelä nicht mindestens ebenso kritikwürdig? Ich meine, die Klassik-Redakteurin hat offensichtlich ein wenig zuviel am Dirigenten geschnuppert, an seinem Duft aus »Sandelholz, Eberesche und Norden«. Der Text ist eine ziemlich berauschte Jubelhymne über den »Jung-Siegfried« der Dirigenten. Nicht nur entlarvend, dass Lemke-Matwey genau diesen Titel vor kurzem bereits an Teodor Currentzis verliehen hat, dem »Jung-Siegfried vom Ural« (sind die Klassik-Boys denn wirklich so austauschbar?). Wie auch immer: Ich habe mir Mal Gedanken darüber gemacht, warum die Klassik-Kritik in der Krise einfach besser werden muss und auf welchen Ebenen wir wieder um Glaubwürdigkeit ringen sollten: Ein guter Anfang wäre es, Einladungen und Kooperationen transparent zu machen.
Kratzers menschliche Monster
Den neuen Podcast mit Tobias Kratzer, dem Regisseur und designierten Intendanten der Staatsoper Hamburg, kann man gut auch in der halben Geschwindigkeit abspielen, um dem Schnellredner in all seinen Ausführungen zu folgen. Die meisten seiner Instant-Gedanken verdienen jedenfalls ein Nach-Denken. Im aktuellen Podcast von BackstageClassical drückt Kratzer seine Hoffnung aus, dass es im neuen Hamburger Opernhaus auch eine »seriöse kleinere Spielstätte« geben wird, um große Repertoirelücken – etwa für Kammeropern oder kleinere Barockopern – zu schließen. Außerdem gehe es ihm um das »Gesamterlebnis Oper« , das bereits bei den Snacks im Foyer beginne (»süß UND sauer!«) und um den Plan, das Publikum durch Projekte anzusprechen, die »nicht auf Krawall des Krawalls wegen« angelegt seien, sondern »menschenfreundlich, empathisch und kommunikativ auf das Publikum zugehen«. Am Ende geht es noch um die Frage, ob die Monster der Oper nicht bestens geeignet wären, um den politischen Monstern unserer Realität Paroli zu bieten. Hörenswert!

Berlin atmet auf
Endlich Mal ein vernünftiges Interview um die Sache! Der Spiegel hat diese Woche mit Berlins neuer Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson gesprochen. Und die hatte offenbar noch eine Rechnung mit ihrem Vorgänger Joe Chialo offen. Es habe zwischen ihnen keine enge Zusammenarbeit gegeben sagte sie, »wir hatten eine ganz unterschiedliche Auffassung davon, was Zusammenarbeit heißt, sowohl was die Arbeit hier in der Senatsverwaltung betrifft als auch die Arbeit mit der Kulturszene.« Schließungen von Kultureinrichtungen schloss Wedl-Wilson kategorisch aus, stattdessen will sie durch Kooperationen, etwa bei der Lagerung von Bühnenbildern oder gemeinsamen Werkstätten, Synergien schaffen (BackstageClassical hatte bereits berichtet). Auch die Überlegung, größere Bühnen nach dem Vorbild der Berliner Opernstiftung zusammenzuschließen, wird diskutiert – allerdings ohne das Ziel einer Privatisierung. »Privatisierung ist Fake News. Darum geht es überhaupt nicht«, stellt Wedl-Wilson klar.
Mildes Urteil für Alexander Pereira
Am Ende ist es doch noch glimpflich abgelaufen: Der ehemalige Intendant des Maggio Musicale Fiorentino, Alexander Pereira, ist in einem verkürzten Verfahren zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Die Stiftung des Maggio Musicale Fiorentino erhält eine Entschädigung von knapp 26.000 Euro, zudem wurde ein Schadenersatz von 1.500 Euro festgesetzt. Die Verteidigung betonte, Pereira habe im Interesse des Theaters gehandelt und zeigte sich mit dem Urteil zufrieden, das deutlich milder ausfiel als die ursprünglich geforderte Haftstrafe von über vier Jahren und Schadenersatzforderungen von nahezu zehn Millionen Euro.
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Eggert in der Kritik
Dass die GEMA mit ihrem Reformvorhaben zunächst gescheitert ist, war eine Überraschung. Treibende Kraft hinter dem Protest gegen eine schnelle und komplexe Reform, die am Ende eine Mehrheit hinter sich vereinigen konnte, war der Komponist und Vorsitzende des DKV, Moritz Eggert. Der wird nun scharf von der Deutschen Filmkomponistenunion (DEFKOM) kritisiert. Deren Vorstandsmitglieder fordern einstimmig Eggerts Rücktritt als Präsident des Deutschen Komponistenverbandes (DKV). Eggert hätte trotz mehrfacher Ermahnungen die Positionen des DKV nicht ausgewogen in der Öffentlichkeit dargestellt, heißt es. Eggert selber zeigte sich in einer Debatte beim NDR mit dem U-Musik-Vertreter Christopher Annen derweil durchaus gesprächsbereit. Beide betonten, dass eine GEMA-Reform notwendig sei, allerdings nicht zu Lasten einzelner Sparten. Auf BackstgeClassical-Anfrage erklärte der DKV, dass es seit der Reform zwei Abgänge und 15 Zugänge bei den Mitgliedern gegeben hätte.

Personalien der Woche
Letzte Woche habe ich ausführlich erklärt, warum ich Milo Rau bei dessen Kongressen der Wiener Festwochen abgesagt habe. Nun bin ich um so glücklicher darüber, da er für das Thema »Kulturkriege« neben FEMEN-Aktivistin Inna Schewtschenko und dem ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer auch Ulrike Guérot eingeladen hat, die mit ihren Thesen zu Russland eher in der Willkürlichkeit als in diskutierbaren Fakten zu Hause ist. +++ Seit Samstag fliegt nun also auch der Donauwalzer durch das All. Die Wiener Symphoniker und ihr Chefdirigent Petr Popelka haben das Signature-Piece der Österreicher gemeinsam mit der ESA mit Lichtgeschwindigkeit in den Weltraum gebeamt – und zwar in Richtung jener NASA-Raumsonde, die seit 1977 durch den interstellaren Raum reist, um Außerirdischen weltliche Meisterwerke wie die Zauberflöte zu vermitteln. Schon das Promo-Video hat Spaß gemacht, und es ist nicht ausgeschlossen, dass in den kommenden Tagen grüne Männchen in der Blauen Donau Walzer tanzen.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! In der zweiten Folge unseres neuen Podcasts »Takt und Taktlos« (kostenlos zu abonnieren hier für apple und Spotify) konfrontieren die Journalistin Hannah Schmidt und ich uns gegenseitig mit Kritik an unseren Texten: Was soll und was kann Kritik? Außerdem: Warum hat Joana Mallwitz das Recht auf Biederkeit? Sollte die Wiener Staatsoper weiterhin mit JJ werben? Welche Gefahren birgt die AfD-Kulturpolitik? Ist der Erfolg von Programme mit diversen Themen einfach nur gutes Marketing? Und warum haben Irritationen auf einer GMD-Konferenz auch ihr Gutes? All das diskutieren wir in der aktuellen Folge »Ich kriege Puls: Himmelfahrtskommando und Musik-Therapie«.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann