Nach Kassel und Wiesbaden stellt sich nun auch das Orchester in Bremerhaven gegen den Intendanten. Es geht um Mitbestimmung und den Kurs des Hauses.
Es scheint ein strukturelles Problem an deutschen Stadttheatern zu sein: der Zoff zwischen Intendanz und Orchester. Wir haben die heftigen Kämpfe in Kassel beobachtet und in Wiesbaden – und nun tobt ein ähnlicher Streit am Stadttheater in Bremerhaven zwischen Orchester und Intendant Lars Tietje. Heute hat das Orchester einen öffentlichen Brandbrief versendet.
Im Theater in Bremerhaven wurde gerade die Stelle des scheidenden GMD, Marc Niemann neu ausgeschrieben – wenige Tage, nachdem das Orchester in die Sommerferien gegangen ist. Was die Musikerinnen und Musiker auf die Palme bringt ist, dass der neue Musikchef (so ist es in der Ausschreibung zu lesen) zukünftig nicht mehr gleichberechtigt neben dem Intendanten agieren soll. Alleinige Entscheidungsträger sollen in Zukunft der Verwaltungsdirektor und der Intendant sein. Ist das die stille Aushebelung einer jahrelange Tradition, in der das Orchester als wichtige Säule des Hauses seine Geschicke auch mitbestimmen konnte?
Tatsächlich muss die seit 1991 gültige Dienstanweisung des Hauses für eine derartige Ausschreibung umgangen worden sein, denn die sieht vor, dass der amtierende Musikdirektor in derartige Ausschreibungen einbezogen sein muss.
Die Suche nach einem neuen GMD ist offensichtlich nur der Kulminationspunkt mehrerer Ereignisse, durch die sich das Orchester in Bremerhaven von seiner Intendanz nicht mehr mitgenommen fühlt. Tietje hatte kürzlich in einem Interview mit der Nordseezeitung erklärt, dass er die Zukunft des Musiktheaters im Musical sehe – was das Orchester natürlich anders sieht. Außerdem wurde die hundertjährige Tradition einer Weihnachtsproduktion kurzerhand abgeschafft. Kritik wird am Hause nicht gern gehört.
Auf die Beschwerden des Orchesters reagierte der Intendant, indem er den Musikerinnen und Musikern unangemessenes Verhalten vorwarf. Das Orchester erklärte, dass der Intendant in seiner Antwort andeute, dass er das Ensemble nicht wie üblich und mit ihm abgesprochen am Findungsprozess für die GMD-Nachfolge beteiligen wolle.
Gegenüber BackstageClassical erklärte eine Sprecherin des Orchester-»Krisenstabes«, dass man sich »einfach nicht mitgenommen« fühle und den Verdacht habe, dass der Intendant das Haus am liebsten ohne Einfluss des Orchesters führen würde. In einem offenen Schreiben heißt es: »Die Machtkonzentration innerhalb eines Theaters auf eine Person steigert die Gefahr von Fehlern und Missbrauch deutlich und es ist in höchstem Maße undemokratisch.«
Die Amtszeit von Tietje endet offiziell 2026 – über seine Vertragsverlängerung müsste also in diesen Tagen mit dem (ebenfalls scheidenden) Kulturdezernenten verhandelt werden. Derzeit schleppt das Theater Bremerhaven ein gewaltiges Defizit von 1,499 Millionen Euro mit sich.